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Kein Werkstoff hat ’ne Dauerkarte

Materialsubstitutionen: Im Automobil ersetzt ein Werkstoff den anderen
Kein Werkstoff hat ’ne Dauerkarte

Leichtbaukonzepte, neue Design-Ideen und gesetzliche Vorgaben führen im Automobilbau dazu, dass konventionell verwendete Materialien durch verbesserte und teils völlig neue Werkstoffe ersetzt werden.

Der Materialmix eines Autos änderte sich in den letzten Jahren erheblich. Stahl, Leichtmetalle und Kunststoff sind nach wie vor die wichtigsten Werkstoffe, doch innerhalb dieser Gruppen gibt es eine Vielzahl neuer Materialzusammensetzungen – und gegenseitige Substituierungen. Das hat Gründe.

Die Kunden stellen an Sicherheit, Optik und Funktionalität neuer Modelle immer höhere Anforderungen. Auch das Gewicht ist ein wesentlicher Aspekt, denn durch die vielen Sicherheits- und Komfortmaßnahmen sind die Autos immer schwerer geworden. Dem muss entgegengewirkt werden.
So werden im Karosseriebau konventionelle Tiefziehstähle in vielen Fällen durch hoch- und höchstfeste Stähle ersetzt. Aufgrund ihrer besseren mechanischen Eigenschaften ermöglichen sie den Einsatz dünnerer Bleche und senken so das Gewicht. Natürlich spielt auch die Substitution von Stahl durch Kunststoff oder Leichtmetalle eine Rolle.
Ein Beispiel für die Substitution von Stahl durch Aluminium und Magnesium im Antriebsstrang ist das Kurbelgehäuse des Reihensechszylinder-Motors, der unter anderem im BMW 330i zum Einsatz kommt. „Für unseren hohen Anspruch an Dynamik war es wichtig, die BMW-typische ausgewogene Achslastverteilung im Verhältnis von 50:50 zu erhalten“, erklärt Dr. Carsten Saager, Abteilungsleiter für Metalle, Beschichtungen und Sonderwerkstoffe bei der BMW Group. „Im vorderen Bereich der Fahrzeuge ist das Gewicht eher höher als hinten, das größte Gewichtspotenzial bot die Antriebseinheit. Deshalb haben wir das Verbundkurbelgehäuse entwickelt.“ Es besteht aus einem Alu-Grundgehäuse, das mit Magnesium umgossen wird und das Motorgewicht um 10 kg senkt.
Bei der BMW Group wird bei jeder neuen Konzeption die Werkstoffwahl für die einzelnen Bauteile hinterfragt, um dann das optimale Material für den jeweiligen Verwendungszweck auszuwählen. Die Werkstoff-Substitution ist also keine Einbahnstraße.
Es ist beispielsweise auch möglich, dass Kunststoff- oder Leichtmetallkomponenten durch Stahlbauteile ersetzt werden. So wurde bei Mercedes-Benz der Integralträger der neuen C-Klasse in Stahlleichtbauweise ausgeführt. Er ersetzt eine Aluminium-Druckgusskonstruktion. Durch die Verwendung von Stahlblech hoher Festigkeit konnten geringere Wanddicken realisiert werden. Dies führte zu einer Gewichtseinsparung bei gleichzeitig geringeren Kosten. Das Beispiel zeigt, dass nicht unbedingt nur Werkstoffe geringerer Dichte zum Leichtbau beitragen. Bei Blechen konkurrieren hochfeste und höchstfeste Stähle direkt mit Aluminiumlegierungen, insbesondere wegen der besseren Steifigkeits- und Festigkeitseigenschaften.
Selbst ein Magnesiumteil mit seiner geringen spezifischen Dichte kann im Gesamtkonzept schwerer sein als ein entsprechendes Alu- oder Stahlteil, da es aufgrund des geringeren E-Moduls größer konzipiert werden muss. Und sogar ein Schwermetall wie Wolfram kann, gezielt im Kurbelgetriebe eingesetzt, den Antrieb kompakter machen, so dass die höhere Dichte kompensiert wird.
Die Gründe für die Substitution eines Werkstoffes können auch im Design liegen. So werden die vorderen Seitenwände des 6er BMW, des BMW 3er Coupé und Cabrios nicht mehr aus Stahl gefertigt, sondern aus einem neuartigen thermoplastischen Kunststoff. Das Material lässt sich besser formen als Stahl, so dass auch scharfe Kanten realisiert werden können. Für die Designer ergeben sich dadurch neue Freiheiten in der Formgebung. Gleichzeitig lässt sich das Gewicht um 50 % reduzieren – und die neue Seitenwand ist gegen Bagatelle-Schäden resistent.
Beim Herstellen von Rädern wurde in den letzten Jahren zunehmend Stahl durch Alu ersetzt, weil Aluminium-Guss mehr Möglichkeiten für ein attraktives Design bot. Doch inzwischen kommt es hier zu einer teilweisen Resubstitution. Die Entwickler bei Hayes Lemmerz haben mit ThyssenKrupp ein neues Stahl-Design-Rad entwickelt und es 2005 erfolgreich auf den Markt gebracht. Das Besondere daran ist der Mittelteil aus fünf filigranen Speichen. Eine Kunststoffblende, die an das Rad geklemmt oder mit ihm verschraubt wird, übernimmt die Designfunktionen. Dieser zweiteilige Aufbau eröffnet vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten.
Damit sich das filigran strukturierte Rad wie ein herkömmliches Stahlrad belasten lässt, ist das Blech der Radschüssel dicker. Zusätzliche Stabilität ergibt sich durch die Form der Speichen, die einem doppelten Z entspricht. Um die hohen Anforderungen an Festigkeit und Umformeigenschaften zu erfüllen, wurde ein Dualphasenstahl verwendet.
Neben dem Design boten im folgenden Beispiel auch die gute Verarbeitbarkeit und kostengünstige Herstellung den Anlass, einen Werkstoff zu substituieren: Einen ursprünglich aus Kunststoff gefertigten Halterrahmen für die Lenksäule haben die Entwickler der Adolf Föhl GmbH + Co. KG, Rudersberg, im Kundenauftrag durch ein dünnwandiges Zinkdruckguss-Teil ersetzt. Der Halter nimmt Bedienungselemente wie Blinker und Scheibenwischer auf. Bei der Fertigung des Kunststoffteils konnten aufgrund der Schwindung beim Spritzguss die geforderten, sehr geringen Maß- und Formtoleranzen nur schwer eingehalten werden. Mit Zinkdruckguss dagegen lassen sich auch komplexe Bauteile mit komplizierten Hinterschneidungen und großen Wanddickenunterschieden problemlos herstellen. Durch die geringen Wanddicken – zum Teil nur 0,6 mm – ist die Gewichtserhöhung gegenüber dem Kunststoffteil gering. Außerdem besitzt das Zinkdruckgussteil eine deutlich höhere Steifigkeit.
Doch nicht nur im Rahmen neuer Konzepte findet Materialsubstitution statt. Äußere Einflüsse wie etwa Gesetzesänderungen können eine Substitution auch in der laufenden Serie notwendig machen, wie zum Beispiel das Blei- oder das Chrom-VI-Verbot. Hier sind die Werkstoffentwickler gefordert, das Material entsprechend zu modifizieren oder einen Ersatz zur Verfügung zu stellen. So hat die Wieland AG in Ulm auf das Bleiverbot reagiert, indem sie bleifreie Kupferwerkstoffe unter dem Namen Ecobrass und Ecocast auf den Markt brachte, die unter anderem in der Auto-Elektrik eingesetzt werden.
Dr. Barbara Wantzen Freie Fachjournalistin in Ulm
Zinkdruckguss-Halterung substitutiert ein Spritzgießteil

Neue Technologien
Bei der Werkstoffwahl im Automobilbau geht es drunter und drüber. Der Grund: Was beim einen Bauteil ein alter Hut ist, wird beim anderen zur neuen Technologie. So ersetzt Stahl Aluminium, Kunststoff substituiert Stahl und Zinkdruckguss löst ein Spritzgussteil ab – alles in den neueren Modellen. Der fortschrittliche Werkstoff ist eben immer der, der die Entwicklerziele optimal erfüllt.
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