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Keine Angst vorm gelben Mann

Chinesischer Werkzeugmaschinenbau internationalisiert sich mit Plan und Geduld
Keine Angst vorm gelben Mann

Seit Mai 2004 dürfen chinesische Firmen ohne staatliche Genehmigung im Ausland investieren. High-Tech-Schmieden und insbesondere Schlüsselbranchen wie der Werkzeugmaschinenbau gehören dabei zu den gefragtesten Adressen.

Dipl.-Ing. Wolfgang Filì ist Journalist in Köln fachjournalist@fili.net

Die Denkendorfer F. Zimmermann GmbH war einer der ersten, und die A. Waldrich Coburg GmbH + Co in Coburg wird sicher nicht der letzte Zukauf gewesen sein: Beide sind deutsche Traditionsbetriebe, beide entwickeln, bauen und exportieren Werkzeugmaschinen der Spitzenklasse, und beide sind heute Teil von Konzernen aus China.
Seit dem 1. Mai 2004 nämlich dürfen chinesische Unternehmen ohne ausdrücklichen Segen ihres Staates im Ausland investieren. Und sie tun es mit Plan und Elan. So wurden noch im gleichen Jahr rund 200 deutsche Unternehmen gekauft – das Gros mit technischem Betriebsgegenstand, und allesamt Mittelständler mit Umsätzen zwischen einer und 50 Mio. Euro. Nach einer 2005 in China durchgeführten Untersuchung ist Deutschland das zweitwichtigste Ziel chinesischer Investoren. Waren diese in den Jahren zuvor meist über Niederlassungen oder Joint Ventures in das Ost-West-Geschäft eingestiegen, engagieren sie sich jetzt unmittelbar. Die Unternehmen bekommen dadurch nicht allein Zugang zu den Patenten und Technologien, sondern auch zu den Vertriebskanälen der zugekauften Unternehmen und neue Absatzwege für das eigene Kernprodukt damit – wenn nicht sofort, dann halt etwas später. Der Jangtse fließt eben langsam.
Vor allem Schlüsselbranchen wie der Werkzeugmaschinenbau sind das Objekt der Begierde. Sie stehen an der Spitze jeder Wertschöpfungskette. Zum einen war China 2005 mit einem Verbrauch von 8,8 Mrd. Euro der größte und bei zweistelligem Wachstum auch der weltweit dynamischste Werkzeugmaschinenmarkt. Die nationalen Hersteller bedienen ihn aber lediglich zu 39 %, und sie tun dies bislang vorrangig im Low-Tech-Bereich. Zum anderen hat die Produktion CNC-gesteuerter Werkzeugmaschinen in dem 2005 veröffentlichten 11. Fünfjahresplan der chinesischen Regierung eine rasante Zielvorgabe. Sie soll bis 2010 zwischen 12 und 15 % pro Jahr wachsen. Der nationale Herstellerverband China Machine Tool Builders Association (CMTBA) geht für das laufende Jahr von einem Produktionsanstieg jenseits 10 % aus.
Der Zukauf renommierter Hersteller – sei es zwecks Technologietransfer oder als Brückenkopf für den Export eigener Maschinen – passt insoweit ins Bild und auch zu dem Masterplan der Chinesen. Deutsche Unternehmen gelten als innovativ und wandlungsfähig, und sie sind neben Japan schließlich auch Exportweltmeister mit den entsprechend stabilen Vertriebskontakten. Umstände und Inhalt solcher Übernahmen sind allerdings verschieden. Längst nicht jedes passende Unternehmen steht zum Verkauf an oder sucht eine Beteiligung aus Fernost.
Für Rudolf Gänzle hingegen ist die Fusion mit der Dalian Machine Tool Group Corp. (DMTG) eine Zweckehe ohne Not, gleichwohl geschlossen aus scharfem Kalkül. Der Geschäftsführende Gesellschafter der F. Zimmermann GmbH hält seit der Beteiligung im Oktober 2004 immer noch 30 % des Unternehmens und konnte dank der chinesischen Finanzspritze sowohl die Produktionsfläche als auch die Eigenkapitalquote mehr als verdoppeln. Das weitere Wachstum sei damit finanztechnisch gesichert, erklärt Gänzle. „Wir haben jetzt mehr Spielraum zum Ausbau unserer Marktposition.“ Der Umsatz der Gesellschaft war seit 2000 um durchschnittlich 2 Mio. jährlich und der mittlere Auftragswert ihrer High-Tech-Fräsmaschinen auf 1 bis 3 Mio. Euro gewachsen. Die verschärften Richtlinien der Banken zur Kreditvergabe (Stichwort Basel II) hatten es dem Mittelständler zunehmend schwer gemacht, die Projekte zu finanzieren. Solche Sorge ist Gänzle fürs Erste los.
Unter anderen Vorzeichen, jedoch mit ähnlicher Konsequenz stand die Übernahme der Schiess AG durch die Shenyang Machine Tool Group (SMTCL). Von 31,7 Mio. Euro Umsatz 2002 war der Ascherslebener Groß-Bearbeitungszentrenbauer auf 21,9 Mio. Euro 2003 eingebrochen und konnte 2004 – bei Meldung der Insolvenz – nur mehr 4 Mio. Euro Faktura vorweisen. Für die Schiess-Belegschaft war das 100-%-Engagement der Chinesen die Rettung in letzter Minute und eine ‚Strategie zum Ausbau der Marktposition’ kein wirkliches Thema mehr.
Die Shenyang Machine Tool Group hingegen hatte diese Strategie und hat sie auch weiterhin. SMTCL ist Chinas größter Hersteller von CNC-gesteuerten Dreh-, Bohr- und Fräsmaschinen. Gemessen an den Produkten von Schiess seien es lediglich kleine respektive mittelgroße Maschinen, sagt der Geschäftsführer David Hongchen Geng. Er will das zugekaufte Unternehmen zu einem Forschungs- und Entwicklungszentrum für High-End-Maschinen und als Fertigungsstandort für Hochleistungs-Produkte ausbauen. „Schiess steht für Spitzentechnologie im Werkzeugmaschinenbau. Wir wollen mit dem Unternehmen neue Entwicklungen machen und nicht etwa Gewinn durch einen Ausverkauf erzielen.“ So verbleibt der Sitz in Aschersleben und behält auch die gehabte Struktur. Dies unterscheidet SMTCL vom Auftritt von Hedge-Fonds und so genannten Heuschrecken.
Qua Vertragsabschluss hat Shenyang allerdings die Exklusivrechte an dem renommierten Namen Schiess. Und den wollen die Chinesen weiter klingen lassen, wenn auch nicht zwingend in gleicher Tonlage. Denn die alte AG habe Luxus produziert, ist David Hongchen Geng überzeugt. „Die Maschinen waren zwar exzellent, aber der Markt war es nicht.“ Das Erfolgsrezept ist aus seiner Sicht die Konzentration auf das Wesentliche. Damit soll Schiess wieder als Premium-Marke positioniert werden. SMTCL könne dem Unternehmen dabei als Türöffner dienen und seinen Marktanteil in China erhöhen. „Umgekehrt möchten wir die Schiess-Vertriebskanäle natürlich für den Export unserer Produkte nach Europa nutzen“, sagt der SMTCL-Chef. Langfristiges Ziel sei es, ein Unternehmen von Weltgeltung zu etablieren. „Dazu müssen Shenyang und Schiess weiter wachsen und weitere Unternehmen akquirieren.“
Das Traditionsunternehmen A. Waldrich Coburg GmbH+Co. dagegen ist erst im zweiten Anlauf unter die chinesische Haube gekommen. So wie das Schwesterunternehmen Waldrich Siegen in Burbach, hatten die Bayern bis 2002 zu der US-amerikanischen Ingersoll-International-Gruppe gehört. Nach deren Insolvenz hatte Zimmermanns Beteiligungspartner Dalian sich um die Übernahme des kompletten Portfolios bemüht, wurde jedoch vom Siegener Werkzeugmaschinenbauer Herkules GmbH in Teilen überboten, der seinerseits Waldrich Siegen und Coburg im Paket aus der Konkursmasse kaufte. Der Dalian-Gruppe, die seit Jahren über Joint Ventures wie mit der Esslinger Index-Werke GmbH sowie mit japanischen Unternehmen wie Mitsubishi und Fuji technisch an die kapitalistische Welt aufzuschließen sucht, blieben die auf die Fertigung von Kurbelwellen und anderen Automobilkomponenten spezialisierten Unternehmen Ingersoll CMS Systems sowie Ingersoll Production Systems.
Im Oktober 2005 dann teilte Waldrich-Eigentümer Herkules jedoch mit, dass man die A. Waldrich Coburg GmbH + Co an die chinesische Beijing No. 1 Machine Tool Plant veräußert habe, einem Unternehmen der Beijing Jingcheng Machinery Electric Holding Co, die 23 000 Mitarbeiter hat. Während Waldrich Siegen eine Ergänzung zum Programm der Herkules-Gruppe sei, bedeuteten die von Waldrich Coburg hergestellten Fräsmaschinen ein völlig neues Geschäftsfeld. Schon bei der Aufteilung der Ingersoll-Konkursmasse habe Beijing No. 1 Interesse gezeigt, das auf einer seit über 20-jährigen Kooperation mit Waldrich Coburg beruhe. Die Dalian-Gruppe – nach SMTCL Nummer zwei in Chinas Werkzeugmaschinenmarkt – ging damit ein weiteres Mal leer aus.
Der Vorgang zeigt das Handlungsmuster der Konzerne: Zum einen wird Partnern über Joint Ventures Zugriff auf den chinesischen Markt ermöglicht, wobei das dabei gewonnene Know-how im eigenen Haus und Land bleibt. Solche Kooperationen haben zwangsläufig eine geringe Halbwertzeit. Andererseits werden direkte Investitionen ins Ausland so gehandhabt, dass die dort gewachsene Technik verwertet und weiter entwickelt werden kann. Dabei entstehen zwischen den sozialistisch beheimateten Konzernen handfest-marktwirtschaftliche Interessenswidersprüche, die so auch ausgetragen werden: Man nutzt die beteiligten Firmen als Vehikel für die eigene Expansion.
Rudolf Gänzles Erfahrungen nach anderthalb Jahren sind positiv. Das von der DMTG zugeführte Kapital bleibe im Unternehmen und die Entwicklung der Produkte am Standort Deutschland. Die Verträge seien so gestaltet, dass der deutsche Partner bei wesentlichen, beispielsweise den Standort betreffenden Entscheidungen das letzte Wort habe. „Es gibt auch keine fest vereinbarte Kapitalverzinsung und keine Gewinnausschüttung ohne Zustimmung des Minderheitsgesellschafters“, bestätigt Gänzle.
Weiter von Vorteil sei die erleichterte Teilnahme an Ausschreibungen in der VR China. Den Rahmen hierfür setzten die staatlich vorgegebenen Investitionsbudgets, die die Entwicklung der nationalen Unternehmen begünstige. Dalian-Zimmermann gilt insoweit als einheimisches Unternehmen und ist bei der Beschaffung gegenüber ausländischen Anbietern besser gestellt.

Abfluss von Know-how ist nicht zwingend

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Allein 2005 hat die VR China für 792 Mio. Euro deutsche Werkzeugmaschinen importiert. Mit 13 % der hiesigen Produktion war dies das größte Exportkontingent der Branche, und nicht zuletzt deshalb geht es für Helmut von Monschaw auch in Ordnung, wenn chinesische Unternehmen sich im Gegenzug an deutschen Herstellern beteiligen. Das Geben und Nehmen sei nun einmal zentrale Komponente der Globalisierung, sagt der Geschäftsführer des VDW, Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken e.V. in Frankfurt/M.
Bei High-End-Fertigungstechnik, wie hiesige Firmen sie liefern, hinke die chinesische Branche zwischen fünf und zehn Jahre hinterher, hole aber in unregelmäßigen Schüben auf. „Die deutschen Hersteller innovieren ihre Produkte zwar laufend, jedoch lernen die Chinesen sehr schnell dazu“, sagt von Monschaw. Mit Unternehmenseinkäufen und Joint Ventures erleichterten sie sich den Zugang zu gewachsenem Know-how ein Stück.
Dass durch solche Beteiligungen Wissen oder Arbeitsplätze aus Deutschland abfließen, erachtet der VDW-Geschäftsführer indes nicht als zwingend. Wer High Tech anbiete, müsse schließlich auch den zugehörigen Service im Weltmaßstab leisten. Die hierzu erforderlichen Standards seien durch schlichte Verlegung von Firmensitzen in Richtung Kapitalquelle nicht sichergestellt. So dürften Entwicklungs- und personelle Ressourcen beteiligter Unternehmen – zumindest auf überschaubare Zeit – an den Standort Deutschland gebunden bleiben. Langfristig garantieren könne dies freilich niemand. Dies liege in der Dynamik des Marktes begründet. fi
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