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Keramik bleibt hart, aber die harten Zeiten für die Werkzeuge sind vorbei

Hybride Bearbeitung: High-Tech ist ein Thema für Forscher – und passt in eine Serienmaschine
Keramik bleibt hart, aber die harten Zeiten für die Werkzeuge sind vorbei

Ultraschall und Laserstrahl ergänzen die herkömmlichen Fertigungsverfahren und machen auch sprödharte Werkstoffe wirtschaftlich bearbeitbar. Entwickler stellen nun ihr maschinenbauliches Know-how mit der DMS Ultrasonic in serientauglicher Form zur Verfügung. Damit schafft der High-Tech-Ansatz den Sprung in die Produktion.

Von unserem Redaktionsmitglied Dr. Birgit Oppermann – birgit.oppermann@konradin.de

Was für Teams im Allgemeinen stimmt, gilt auch für die Bearbeitung in Werkzeugmaschinen: Wenn es jemand schafft, verschiedene Verfahren zu kombinieren, kann er mehr erreichen als mit zwei Einzelkämpfern. Ohne Abstimmung aber läuft gar nichts – was sowohl für die ultraschall- als auch für die laserunterstützte Bearbeitung gilt. Beide Ideen verfolgen Forscher und Entwickler, um bessere Fertigungsmöglichkeiten für sprödharte Werkstoffe wie Keramik oder Glas zu schaffen.
„Es ist weniger komplex, als es klingt – zumindest für den Anwender“, sagt Christian Thönes, Geschäftsführer der Hermann Sauer GmbH & Co. KG. Das Stipshausener Unternehmen, das seit Herbst 2001 zum Gildemeister-Konzern gehört, blickt auf 30-jährige Erfahrung mit dem Einsatz der Ultraschall-Technik zurück. „Über lange Jahre waren die Maschinen für die ultraschallunterstützte Zerspanung Sonderanfertigungen“, berichtet Thönes. Jetzt haben sich die Entwickler ein neues Konzept auf die Fahnen geschrieben: „Mit der DMS Ultrasonic bieten wir eine prozesssichere Serienmaschine, die eine einfache Anpassung an verschiedene Produkte erlaubt.“
Was am Werkstück passiert, wenn das Zerspanen und der Ultraschall als Partner antreten, unterscheidet sich erheblich von den herkömmlichen Bearbeitungsverfahren. „Eigentlich kann man gar nicht mehr vom Zerspanen reden“, erläutert Thönes, „sondern eher von einem Zerschlagen der Oberfläche in Kleinstpartikel.“ Denn die Drehbewegung der Schneide wird von einer Vertikalbewegung mit 20 kHz überlagert, so dass wegen der geringen Prozesskräfte das Material geschont wird und das Werkstück wirtschaftlich zu bearbeiten ist. Die Vertikalbewegung bringt die Hauptzerspanleistung. Sie schont auch das Werkzeug und lässt eine Oberfläche entstehen, deren Rauigkeit unter 0,2 µm liegt – was auf den wiederholten, aber jeweils nur kurzen Kontakt zwischen diamantbestücktem Werkzeug und Werkstück zurückzuführen sei.
Erforderlich sind die neuen Verfahren, weil High-Tech-Werkstoffe wie die sprödharten Materialien Glas, Keramik und Silizium extremen Belastungen sehr gut widerstehen, aber auch der herkömmlichen spanenden Bearbeitung. Diese stößt grundsätzlich, oder zumindest unter dem wirtschaftlichen Aspekt, schnell an ihre Grenzen.
Mit der Kombination von Ultraschall und Zerspantechnik hingegen lässt sich die Produktivität um das Fünffache steigern, wie es aus Stipshausen heißt. Interessenten für solche Verfahren gibt es bereits – Thönes spricht von bis zu 40 Anfragen pro Monat. Dennoch ist der Bekanntheitsgrad der Technologie seiner Ansicht nach bisher zu gering.
„Anfragen zur ultraschallunterstützten Bearbeitung bekommen wir von großen sowie von kleinen Unternehmen“, bestätigt Dr. Hendrik Engel, der die Abteilung Fertigungstechnik am Berliner Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb leitet Für die ultraschallgestützte Bearbeitung bieten die Forscher Machbarkeitsstudien an. Rund zwei Monate dauert es, bis die Tests an einem Bauteil abgeschlossen sind – mit extra für diese Anwendung ausgelegten Werkzeugen. „Wenn die Tests ergeben, dass sich die Investition in eine Maschine lohnt, entwickeln wir auch die zugehörige Bearbeitungstechnologie“, sagt Engel. Die Berliner Forscher arbeiten mit den Stipshausenern seit Jahren zusammen, und aus dem Hunsrück kommt auch die Maschine, auf der die Tests laufen.
Über die Anwendungsmöglichkeiten der neuen Technik beraten auch die Sauer-Mitarbeiter potenzielle Kunden intensiv. „Wir passen den Prozess und die Werkzeuge an die Anwendung an“, berichtet Thönes. Know-how stecke beispielsweise in den diamantbeschichteten Werkzeugen, deren Körner so gebunden sein müssen, dass sie trotz der Schwingungen halten.
Sowohl die Anwendungen als auch die möglichen Materialien variieren und erfordern Anpassungen. Bei den Werkstoffen stehen den Kunden Aluminiumoxid, Zirkonoxid, Quarzglas, Carbonfaser, Wolframcarbid und Silizium zur Verfügung. „Das Bedienen der Maschine ist nicht schwieriger als bei einer herkömmlichen Fräsmaschine“, betont Thönes. In letzter Zeit seien auch schon Anfragen eingegangen, weil Unternehmen die sprödharten Werkstoffe für neue Geschäftsbereiche einsetzen wollten. „Dann über Referenzen zu sprechen, ist allerdings schwierig, weil die Kunden ihren Vorsprung mit dieser Technik sichern wollen.“
In der Produktion seien die Maschinen mehrfach im Einsatz. „Eine Prestige-Anwendung ist das Fertigen von Keramik-Bremsscheiben für die Automobilbranche oder von Glaslinsen für die optische Industrie“, sagt Thönes, „dafür sind Serientauglichkeit und Prozesssicherheit Voraussetzung.“
Das große Interesse an der Technologie schlägt sich auch in Projekten am Aachener Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie (IPT) nieder, wie Bernd Bresseler, wissenschaftlicher Mitarbeiter, berichtet. Das Schleifen ergänzt die jahrelangen Aktivitäten in Richtung ultraschallunterstützter Bearbeitung am Institut – und seit Anfang des Jahres 2002 steht eine DMS Ultrasonic 50 für technologische Untersuchungen und die Zusammenarbeit mit der Industrie zur Verfügung.
Neue Möglichkeiten bietet das ultraschallgestützte Bearbeiten aber vielleicht nicht nur bei den sprödharten Werkstoffen, sondern auch bei Metallen. „Wenn man monokristallinen Diamant einsetzt, sollten auch bei Metalloberflächen optische Qualitäten zu erreichen sein“, ist Bresseler optimistisch. Erste Untersuchungen hätten Hinweise darauf ergeben, dass durch den zusätzlichen Ultraschalleinsatz der Verschleiß an der Diamantschneide sinkt. Bisher sei es wegen der großen Affinität zwischen Kohlenstoff und Eisen nicht möglich gewesen, eisenhaltiges Material mit monokristallinen Diamantwerkzeugen zu bearbeiten. Im Laufe eines dreijährigen, von der EU geförderten Forschungsprojektes wollen die Aachener das Verfahren in eine Werkzeugmaschine integrieren und den Sprung zum industriellen Einsatz schaffen.
Der Begriff des Teams ließe sich allerdings auch erweitern. Abgesehen von den kombinierten Verfahren könnte man auch den Werkstoff und die Maschine als Partner betrachten, die gemeinsam das Ziel erreichen sollen, ein leistungsfähiges Werkstück hervorzubringen. An diesem Ansatz arbeiten Wissenschaftler vom Fraunhofer IPT gemeinsam mit Forschern vom Institut für Gesteinshüttenkunde der RWTH. Sie untersuchen verschiedene sprödharte Werkstoffe daraufhin, ob sie sich durch laserunterstütztes Drehen bearbeiten lassen.
Dass das Verfahren für die Praxis taugt, ist schon bewiesen. Gemeinsam mit den Maschinenbauern der Carl Benzinger GmbH aus dem baden-württembergischen Unterreichenbach haben die Aachener 1998 einen Maschinenprototyp entwickelt, mit dem sich Siliziumnitrid drehen lässt. Der Laser erwärmt das Werkstück an der zu bearbeitenden Stelle und senkt die Stabilität des Materials, so dass eine Drehbearbeitung mit konventionellen Diamantwerkzeugen möglich wird.
Anfragen dazu erhält Benzinger-Geschäftsführer Rainer Jehle unter anderem aus der Automobil-, der Wälzlager- sowie der Kompressorenbranche. Dass sich noch keine Anwendung ergeben hat, führt Jehle darauf zurück, dass bislang Siliziumnitrid das einzige bearbeitbare Material ist und sich das Verfahren nicht einfach übertragen lässt. „Man könnte sagen, dass die Technologie für jeden Werkstoff neu erfunden werden muss.“
Daher pflegen die Unterreichenbacher weiter den Kontakt zu den IPT-Wissenschaftlern. Die haben sich der Werkstofffrage bereits angenommen. „Gerade Kleinserienhersteller, die häufiger Produkte und damit vielleicht den Keramikwerkstoff wechseln müssen, wären mit nur einem möglichen Material zu sehr eingeschränkt“, ist IPT-Mitarbeiter Sascha Bausch überzeugt. Auf der Liste der Kandidaten, die das Spektrum erweitern könnten, stehen zurzeit Zirkonoxid, Aluminiumoxid sowie Siliziumcarbid. Deren Eigenschaften untersuchen und verbessern Forscher vom Institut für Gesteinshüttenkunde. In einem iterativen Austausch entwickeln sie dichte Sinterkörper, die das Laserlicht optimal absorbieren. Deren Zerspanbarkeit überpüfen die IPT-Mitarbeiter im Anschluss. Bis zum Mai 2003 sollen in diesem Projekt nicht nur Demonstrationsteile aus den unterschiedlichen Werkstoffen entstanden sein, sondern auch eine Matrix, die potenziellen Anwendern weiterhilft: Aus ihr wird hervorgehen, welcher Werkstoff für welche Anwendung geeignet ist und ob er sich bereits wirtschaftlich bearbeiten lässt.
Und auch auf der maschinenbaulichen Seite sind für das laserunterstützte Drehen Verbesserungen denkbar. „Eines unserer Ziele ist, den Laserstrahl am Werkstück noch flexibler auszurichten“, berichtet Bausch. „Das würde das Spektrum möglicher Werkstückgeometrien erheblich erweitern.“ Da sich seit der Fertigstellung des Prototypen die Lasertechnik weiterentwickelt hat, gibt es konkrete Ideen, wie die Aufgabe zu lösen ist: Den Strahl eines Hochleistungsdiodenlasers wollen die Wissenschaftler durch biegsame Glasfaserkabel an den Ort der Bearbeitung lenken. Die Konstruktion würde sich so vereinfachen, da das Lasergerät selbst nicht in die Maschine integriert werden müsste, und auch die Investitionskosten würden sinken. Geschäftsführer Jehle nennt einen weiteren Vorteil: Mit den kleineren Fokuspunkten moderner Laser seien auch weit filigranere Strukturen zu fertigen als bisher.
Auch wenn sich die Teamarbeit bei den Bearbeitungsverfahren noch in verschiedenen Stadien der Entwicklung befindet, ist die Tendenz der Ergebnisse so positiv, dass weitere Partner ins Rennen geschickt werden. An den Hochschulen laufen beispielsweise Untersuchungen für die Kombination von Ultraschall mit der Funkenerosion sowie von Laserstrahl und Drückumformen. Und auch die Entwickler bei Sauer haben weitere Pläne: Unter anderem ist als neues Team in der Maschine eine Kombination von Ultraschall und Drehen in Vorbereitung, die vielleicht schon Mitte des Jahres antreten könnte.
Ausblick: Hybride Verfahren – in Zukunft unverzichtbar
Professor Dr.-Ing. Fritz Klocke ist Direktor des Aachener WZL sowie des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie
Hybride Prozesse eröffnen neue Perspektiven für die Fertigung: Durch das Einkoppeln zusätzlicher Energie, sei es in Form von Ultraschall oder Laserlicht, lassen sich Leistungsgrenzen überwinden. Für das Bearbeiten schwerzerspanbarer Hochleistungswerkstoffe sind hybride Verfahren oft die einzige Alternative. Das ultraschallunterstützte Schleifen hat sich hier bereits etabliert. Entsprechende Maschinen sind verfügbar und werden industriell genutzt. Damit ist der erste Schritt für den Einsatz hybrider Prozesse in einem breiten Anwendungsspektrum getan. Bis sich weitere hybride Technologien für die Praxis qualifizieren, müssen jedoch noch grundlegende Fragen geklärt werden, um die Prozesse im Detail zu verstehen und eine stabile Prozessführung zu gewährleisten. Neuen Anschub bringen aktuelle Entwicklungen im Bereich der Energiequellen. Fasergeführte Hochleistungsdiodenlaser lassen sich beispielsweise leichter in Werkzeugmaschinen integrieren und sind im Einsatz wesentlich flexibler als konventionelle Laser. Hier konnten wir besonders im Bereich des laserunterstützten Drehens von Keramik Erfolge erzielen und stehen kurz vor der Industriereife. Ausgehend von solchen Spezialanwendungen, werden hybride Verfahren in Zukunft für breite Anwendungsbereiche unverzichtbar sein.
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