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Kollegin Maschine holt sich ihre Werkstücke selbst vom Band

Vertikale Pick-up-Drehzentren liefern qualitativ hochwertige Teile bei günstigen Stückkosten
Kollegin Maschine holt sich ihre Werkstücke selbst vom Band

Ihr Konstruktionsprinzip er-laubt es, unterschiedliche Fertigungsverfahren zu integrieren:Vertikal-Pick-up-Maschinen drehen, fräsen, schleifen, verzahnen, fügen oder schweißen mittels Laser – alles in einer Aufspannung des Werkstücks. Das verkürzt sowohl die Prozesskette als auch die Nebenzeiten. Und es verbessert die Werkstückqualität bei gleichzeitig geringeren Stückkosten.

Von unserem Redaktionsmitglied Haider Willrett – haider.willrett@konradin.de

Früher mussten wir diese Verzahnungsteile auf mehreren Maschinen fertigen“, erzählt Helmut Zurl und deutet auf eine Palette, in der dutzende frisch bearbeiteter Werkstücke hängen. „Heute fertigen wir sie in einer Aufspannung und erzielen so eine höhere Genauigkeit.“ Zurl ist beim Landmaschinen-Hersteller Fendt/Agco GmbH & Co. in Marktoberdorf für CNC-Programmierung und Produktionsplanung zuständig. Möglich sei der optimierte Produktionsablauf, weil die eingesetzten Vertikal-Drehzentren vom Typ VSC-400 auch Werkstücke mit einer Härte von 63 HRC ruhig und sauber zerspanen. „Angesichts der harten Einsatzbedingungen, denen unsere Traktoren ausgesetzt sind, ist die höhere Qualität des heutigen Teils ein großer Fortschritt“, sagt Zurl zufrieden.
Die Pick-up-Zentren, die von der Salacher Emag GmbH stammen, sind mit einer einfach aufgebauten, effektiven Automatisierung ausgestattet, die Nebenzeiten auf ein Minimum reduziert. Der Bediener legt die Rohteile einfach auf das Zu- und Abführband und die Maschine belädt sich selbst. Die Pick-up-Spindel positioniert, verfährt und dreht das Werkstück während der Bearbeitung und legt es danach wieder auf dem Band ab. Alles zusammen senkte die Herstellungskosten der Verzahnungsteile um rund 30 %.
Die ins Werkstück verlagerte Bewegung ist die Besonderheit dieser Maschinenart. Und sie ist der Grund, weshalb die Vertikaltechnik in Sachen Automatisierung um mehr als eine Nasenlänge vor dem traditionellen, horizontalen Wettbewerb liegt. Während bei der konventionellen Maschine das Be- und Entladen über aufwendige, externe Handlingsysteme erfolgt, die Kabinentür auf- und zugefahren werden muss und meist große Wege zurückzulegen sind, erledigt das Pick-up-Konzept dies mit kleinen Verfahrwegen über das integrierte Zu- und Abführband. Im Vergleich zu externen Handlingsystemen, etwa Portalladern, sind die Zuführeinheiten von Vertikal-Maschinen einfacher aufgebaut und kompakter. Das spart nicht nur kostbare Produktionsfläche, sondern reduziert auch das Investitionsvolumen.
Das im Arbeitsraum bewegliche Werkstück erlaubte den Konstrukteuren, den Werkzeugträger fest ins Maschinenbett zu integrieren und ihn sehr steif auszuführen. Damit haben sie die Voraussetzung geschaffen, dass die Tools große Kräfte und harte Werkstücke meistern, selbst im unterbrochenen Schnitt.
Der stabile Aufbau der Maschine und des Werkzeugträgers ist, zusammen mit dem frei im Arbeitsraum beweglichen Werkstück, entscheidend für eine weitere Spezialität der Pick-ups – ihre Multifunktionalität. Die erste Maschine, die verschiedene Bearbeitungsverfahren vereinte, präsentierte Emag 1998. Auf dem Dreh-Schleif-Zentrum, das auf der VSC-Baureihe basiert, kann der Bediener gehärtete Werkstücke in einer Aufspannung vordrehen und fertig schleifen. Weil Umspannen und die damit verbundenen Toleranzen kein Thema mehr sind, reicht ein Schleifaufmaß von 10 bis 15 µm. Folge: Der Schleifprozess fällt deutlich kürzer aus und die Schleifscheiben verschleißen weniger schnell. „Dieser Prozess erlaubt es auch, ohne Schleifbrandgefahr mit Minimalmengenschmierung oder gar trocken zu arbeiten“, sagt Manfred Winkler, bei der zur Emag-Gruppe gehörenden Reinecker Karstens Kopp GmbH in Neu-Ulm für die technische Beratung zuständig. „Daimler-Chrysler bearbeitet in einer Kombi-Anlage Getrieberäder für die A-Klasse komplett. Das ist in etwa 70 Prozent der Zeit erledigt, die früher allein das Schleifen kostete“, verdeutlicht der Schleifspezialist das Potenzial.
Was die Integration von Bearbeitungsverfahren angeht, sind die Maschinen-Hersteller inzwischen einige Schritte weiter. Je nach Anwendung und Kundenwunsch können Kombinationsmaschinen heute weich und hart drehen, fräsen, verzahnen, bohren, rund oder unrund schleifen, montieren, pressen, schweißen, messen oder wuchten. Viele Bearbeitungen in einer Aufspannung des Werkstücks – das verkürzt die Prozesskette und wirkt sich positiv auf die Qualität sowie auf die Prozesssicherheit aus. Durchlaufzeiten sinken und damit auch die Stückkosten. Eine solche Mehr-Technologien-Maschine kann mehrere Einzelanlagen ersetzen. „Ein Kombinations-Pick-up-System liegt im Investitionsvolumen weit unter einem konventionellen, etwa aus Dreh- und Schleifmaschine plus Automatisierung bestehenden System, das Vergleichbares leistet“, betont Winkler. Und obendrein verstelle es weniger kostbaren Raum. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Vorteil der Kombi-Lösung: Weil alles aus einer Hand kommt, gehören Schnittstellenprobleme beim Vernetzen der Produkte verschiedener Hersteller der Vergangenheit an.
In der Mehr-Technologien-Maschine sieht auch Norbert Heßbrüggen, Geschäftsführender Gesellschafter von Emag, die Zukunft. Die Salacher haben bereits eine Maschine gebaut, die Befestigungsflächen an eine Getriebewelle andreht, nacheinander verschiedene Blechteile vom Band pickt und diese mit der Welle verschweißt. Weitere Bearbeitungsverfahren, deren Integration denkbar ist oder die schon in ersten Maschinen laufen, sind das Umformen oder das Härten mittels Laser. Eine Induktionshärtespule hat die Esslinger Index-Werke GmbH & Co. KG bereits in mehrere horizontale Systeme integriert. Dem Einsatz in einer Vertikal-Maschine steht laut Index-Prokurist Dr. Thomas Walker nichts im Weg.
Eine Besonderheit unter den Vertikal-Zentren stellt die V 100 von Index dar. Sie ist die erste Stabkinematik-Maschine, die am Markt erfolgreich ist. Nach den ersten Versuchen war Thomas Walker „selbst überrascht, wie steif und genau die Maschine ist“. Im Vergleich zur konventionellen Kreuzschlitten-Bauweise geben die Esslinger für die Stabkinematik eine 2,5-mal höhere Steifigkeit an. Durch das völlig frei im Raum bewegliche Werkstück können Bearbeitungseinheiten und Werkzeuge beliebig platziert werden, und die Spindel pickt die Werkstücke nicht nur vom üblichen Zuführband, sondern auf Wunsch auch von einer Palette im Arbeitsraum. Das verkürzt Verfahrwege und Nebenzeiten nochmals. Bedingt durch das Konstruktionsprinzip, gehört die Y-Achse zur Grundausstattung der V 100. Bei den kartesisch geführten Geschwistern ist sie vielfach optional.
Pick-up-Prinzip ist Standard bei Futterteil-Fertigung
Das erste vertikale Pick-up-Drehzentrum präsentierte Emag 1992 auf der Düsseldorfer Fachmesse Metav. Damals reagierte die Fachwelt skeptisch. Mancher Besucher soll die VSC (Vertical Spindle Chucker) genannte Anlage zunächst für einen überdimensionierten Werkzeugschrank gehalten haben. Ein Irrtum, der sich jedoch schnell aufklärte. Innerhalb von zehn Jahren hat das neue Bauprinzip die klassische horizontale Konkurrenz aus einigen Anwendungsfeldern weitgehend verdrängt. Dr. Thomas Walker von Index meint denn auch: „Wer heute für die Bearbeitung von Halbzeugen keine Vertikal-Maschine einsetzt, muss sich schon nach dem Grund fragen lassen.“
Möglich wurde der Bau dieses Maschinentyps erst durch eine Entwicklung, die Emag gemeinsam mit Indramat machte: der Motorspindel. Ursprünglich für die damaligen horizontalen Drehmaschinen der Schwaben gedacht, ebnete sie den Weg zu einer Spindelstock-Einheit, die leistungsfähig und schnell genug war, um den Prozess wirtschaftlich zu gestalten. Eine solche angetriebene Spindel fehlte dem eigentlichen Erfinder des Pick-up-Prinzips zum Durchbruch. Als die Salacher ihre Entwicklung patentieren lassen wollten, stellten sie fest, dass der J. G. Weisser Söhne GmbH & Co. KG aus St. Georgen bereits 1984 ein Patent erteilt worden war. Das darin beschriebene Bearbeitungszentrum wurde allerdings nicht gebaut. Emag und Weisser einigten sich schnell. Die Schwaben brachten das Pick-up-System auf den Markt, und die St. Georgener zogen nach, als sich der Erfolg abzeichnete. Etwa zur gleichen Zeit entwickelten die Index-Werke mit der V 200 die erste Anlage ihrer vertikalen V-Reihe.
Meilensteine in der Weiterentwicklung sind Maschinen mit mehreren Spindeln, die simultan oder parallel arbeiten, die Erweiterung des Einsatzbereichs auf Werkstücke mit Durchmessern von 20 bis 900 mm oder horizontale Pick-up-Maschinen für die Bearbeitung von Wellen. Auf der Metav 2002 stellte Emag das erste kombinierte Horizontal-Vertikal-Pick-up-Dreh- und -Bearbeitungszentrum (HVSC) vor. Mit ihrer von 0 bis 90° schwenkbaren Spindel bearbeitet diese Maschine auch außermittige oder schräge Bohrungen, Nuten oder Schlitze, gerade oder schräge Flächen sowie Spiral- oder Schraubennuten. Und Weisser bietet für seine Endenbearbeitungs-Maschine Univertor AE optional einen Linearantrieb für die X-Achse an. Standard ist der Linearantrieb bei der CTV-Baureihe der Gildemeister Drehmaschinen GmbH, Bielefeld.
Hatten Pick-up-Maschinen früher den Ruf, nur für die Großserie geeignet zu sein, so hat sich längst gezeigt, dass sie auch bei kleinen Losgrößen Vorteile bieten. Die einfache Bedienung, das unkomplizierte Teilehandling und die integrierte Automation sorgen für große Flexibilität und erlauben sogar, Einzelteile wirtschaftlich zu fertigen. Damit sind die Systeme auch für Lohnfertiger interessant, die je nach Auftragslage alle Losgrößen darauf bearbeiten können. Traktorenhersteller Fendt fertigt rund 90 unterschiedliche Teile auf den beiden VSC-400-Fertigungszellen, die in Marktoberdorf hartdrehen. Die Losgrößen liegen zwischen 20 und 120 Stück. „Weil wir kein Lager mehr haben, müssen wir just in time bearbeiten“, begründet Fertigungsplaner Zurl.
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