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Komplett von der Rolle gefertigt

Walzprofilieren: Die flexibilisierung der Massenfertigung
Komplett von der Rolle gefertigt

Variantenfertigung ohne Werkzeugwechsel, Umformung höherfester Stähle, billige und wiederverwendbare Werkzeuge, hohe Verfügbarkeit: Walzprofilieranlagen werden flexibler und eröffnen neue Chancen in der Blechumformung. Und revolutionäre Neuerungen wie das Profilieren querschnittsveränderlicher Profile stehen schon in den Startlöchern.

„Unsere Kundenbranchen sind von der Krise massiv betroffen“, sagt Werner Suppan, Technischer Geschäftsführer der Voestalpine Krems, einem der führenden Hersteller von Walzprofilen in Europa, und sieht darin auch eine Chance. „Die Hersteller stehen unter Druck, ihre Kosten weiter zu senken. Daraus ergeben sich Chancen für alternative Profillösungen.“ Dazu müssen sich die auf Massenproduktion eingestellten Profilhersteller allerdings geänderten Rahmenbedingungen anpassen. Geringere Volumen der Profilieraufträge setzen Kapazitäten frei, die durch neue geringvolumige Profilaufträge aufgefangen werden. Die Flexibilisierung der Technik von Walzprofilieranlagen ist gefragt, in alle Richtungen: kurze Umrüstzeiten, Integration von Zusatzoperationen und möglicherweise Einrichtungen zum Profilieren mit variablen Wanddicken, veränderlichen Querschnitten und gebogenen Profilen.

Walzprofilieren ist seit den 1930-Jahren bekannt und wird seit etwa 60 Jahren als Massenproduktionsverfahren für Profile industriell eingesetzt. Umgeformt wird in einer Reihe nacheinander angeordneten Walzenpaaren, so genannten Gerüsten, durch die das Band stufenweise zum endgültigen Querschnitt geformt wird. Walzprofilieranlagen bestehen aus vier bis 60 Profilgerüsten, abhängig von Querschnitt, Material und Genauigkeiten. Anders als der Name vermuten lässt, handelt es sich beim Walzprofilieren um eine reine Biegeumformung mit drehenden Werkzeugen. Wanddickenänderungen sind in der Regel unbeabsichtigt und plastische Verformungen verlaufen ausnahmslos quer zur Bandrichtung. Weil es kein Walzen im eigentlichen Sinn ist, wird von einigen Herstellern häufiger die Bezeichnung Rollformen oder Rollumformen benutzt, die sich an das englische „Rollforming“ anlehnt.
Übliche Walzprofilieranlagen produzieren Standardprofile mit Geschwindigkeiten von 20 bis 100 m/min. Lochungen werden in Vorstanzanlagen in das plane Band eingebracht, weitere Zusatzoperationen wie Lochungen im Profil, Schweißungen oder Anschweißmuttern lassen sich in das Verfahren integrieren. Je nach Anwendungsfall werden die Anlagen kontinuierlich oder diskontinuierlich im Start-Stopp-Betrieb betrieben und erzeugen sowohl offene als auch geschlossene Profile. Die Profile finden Anwender in nahezu allen Branchen, klassischerweise in der Bauindustrie, im Stahlbau, im Fahrzeug- und Schienenfahrzeugbau oder in der Automobilindustrie. Immerhin 8 % der weltweiten Stahlproduktion kommen als Profilerzeugnisse auf den Markt. Einen Schub in der Entwicklung hat das aufkommende Interesse der Automobilindustrie am Walzprofilieren ausgelöst. In einem Markt mit zunehmender Varianten- und Modellvielfalt, kürzeren Produktlebenszyklen und dem Trend zur Plattformstrategie bietet das Walzprofilieren klare Vorteile gegenüber dem klassischen Tiefziehen: Längenvarianten lassen sich nahezu ohne Werkzeugwechsel herstellen, die Materialausnutzung liegt mit 85 bis 90 % deutlich höher als beim Tiefziehen, und wegen der in jeder Umformstufe nur lokal wirkenden Kräfte sind die Umformkräfte geringer, die Werkzeuge entsprechend kostengünstiger und verschleißärmer. Zudem lassen sich hoch- und höherfeste Stähle vergleichsweise gut profilieren, da die bei diesen Stählen problematische Rückfederung durch Kalibrierstufen oder Nachstelleinrichtungen relativ gut beherrscht wird. Deshalb lösen walzprofilierte Teile im Fahrzeugbau zunehmend Tiefziehteile ab, unter anderem für Schweller, Längsträger oder auch Stoßfänger.
Das setzt voraus, dass die Anlagen vor allem bei Produktwechseln schneller werden. Heute liegen die Umrüstzeiten moderner Walzprofilieranlagen im Minutenbereich. Modular aufgebaute Standardanlagen können so für die Herstellung unterschiedlicher Profile mit verschiedenen Gerüsten eingesetzt werden. Berechnungsprogramme vereinfachen das Auslegen und Einstellen von Profilieranlagen deutlich. Dennoch hängt dem Walzprofilieren weiterhin das Image eines Massenproduktionsverfahrens an, dem vom Wesen her eine Flexibilisierung fremd ist.
Bei Schnellwechselsystemen werden die Walzenpaare auf Kassetten oder Wechselplatten vorgerüstet, je nach Verfahren vor- oder fertigeingestellt und komplett in das Profiliergerüst eingesetzt. Selbst das Ankuppeln an die Antriebswellen erfolgt automatisch. „Wir haben ein vollautomatisches System, das eine Werkzeugkassette mit zwölf Umformstationen innerhalb von drei Minuten komplett wechselt“, sagt dazu Heinrich Weber, Vertriebsleiter der Dreistern GmbH in Schopfheim. „Auf breiter Front haben sich diese Systeme nur noch nicht durchgesetzt.“ Die früher langen Anlauf und Erprobungsphasen entfallen. Zuverlässiger und einfacher wird die Einstellung der Walzenpaare mit einem neuen Werkzeug-Mess- und -Einstellsystem von Dreistern. Für ein Profil, das schon produziert wurde, werden mit dem System Einstelldaten der Gerüste aufgenommen und gespeichert. Beim Wiedereinrüsten können dann die Mess- und Einstellvorgänge an den Werkzeugen außerhalb der Produktionsmaschine automatisch so vorgenommen werden, wie sie nach der letzten Produktion abgespeichert wurden.
Bei neuen Profilen liefern Simulations- und Berechnungsprogramme wie Copra von der Data M Sheet Metal Solutions GmbH in Valley die Produktionsdaten vorab. Mit den Programmen werden nicht nur die einzelnen Umformschritte, die sogenannte Profilblumen, generiert, sondern auch die Einstellungen der Profiliergerüste. Die Ergebnisse sind so realitätsnah, dass Data M sofort einen Mitarbeiter zur Ursachenforschung schickt, wenn eine Anlage mit den errechneten Werten nicht auf Anhieb produziert.
Ganz ohne Werkzeugwechsel stellen Duplex- oder Doppelkopf-Profiliermaschinen der Jensen A/S in Kastrup/Dänemark oder von Schuler in Göttingen auf die Fertigung anderer Produkte um, sofern diese einer bestimmten Produktfamilie angehören. Im einfachsten Fall reicht es, den Abstand der Profilierrollen zueinander zu verändern, um eine Breitenvariante eines Grundprofils zu fertigen. Mit der Genauigkeit von CNC-Achsen und entsprechend hinterlegten Programmen läuft die Produktion nach einer Umstellung sofort mit einem Gutteil weiter.
Spezielle Schrägrollen und 170 CNC-Achsen kennzeichnen die High-End-Version der ultraflexiblen Profilieranlagen von Dreistern. Die programmgesteuerte Einstellung der Rollen erlaubt es, mit ein und denselben Werkzeugen innerhalb einer definierten Bandbreite sowohl U-, als auch C-, Z- oder Sigma-Profile herzustellen. Der Wechsel zwischen den Profilformen erfolgt so schnell, dass auftragsbezogen gefertigt werden kann. „Losgrößen unter zehn bis hinunter zu Einzelteilen lassen sich wirtschaftlich herstellen“, erläutert dazu Heinrich Weber. Allerdings nicht vom Band, sondern mit einzelnen Platinen, die ähnlich wie in einer Abkantpresse durchgeschoben werden, nur sehr viel schneller. Regalbauer können damit ihre Stützen, Balken oder Pfetten nacheinander herstellen, so wie sie es für ein Projekt brauchen.
„Klarer Trend ist die Nachfrage nach zusätzlichen Funktionen, das können Lochungen im Querschnitt sein oder zusätzliche Arbeitsschritte des Kunden, die in die Walzprofilierlinie integriert werden. Das können Ausstanzungen sein oder das Setzen von Muttern und ähnliche Operationen“, fasst Werner Suppan die Tendenz bei Voestalpine zusammen. „Das geht so weit, dass auf der Linie gebogene Teile hergestellt werden.“
Vorwiegend sind es Stanzungen oder Prägungen, die entweder vor dem Profilieren am flachen Band oder auch nach dem Profilieren ins Profil gebracht werden. Gelegentlich wird die Profilierlinie dafür durch eine Stanzanlage unterbrochen. Anlagentechnisch bedeutet das vor allem für Lohnprofilierer, dass sie Stanzanlagen und Profilieranlagen vorhalten müssen, um auf jeden Einsatzfall vorbereitet zu sein. „Eine Anlage, die über die ganze Länge entweder als Profilier- oder als Stanzmaschinen oder als Kombination aus beidem eingesetzt werden kann“, beschreibt Heinrich Weber den anlagentechnischen Lösungsansatz dafür. „Jeder Abschnitt der Anlage lässt sich blitzschnell auf Profilier- oder Stanzbetrieb umrüsten. Die Stanzeinheiten arbeiten im Mitlauf und können sich mit eigenem Antrieb unabhängig voneinander bewegen.“ Für das Projekt, das dem Walzprofileren eine weitere Flexibilisierung verschafft, gibt es nach Weber bereits ernsthafte Interessenten.
„Im Walzprofilieren steckt noch viel Potenzial für den Fahrzeugbau“, sagt Dr. Karl-Heinz Füller, Teamleiter Umformtechnik bei der Daimler AG und bezieht sich damit auf die dritte Ebene der Flexibilisierung des Walzprofilierens, nämlich das Herstellen höhen- oder breitenveränderlicher Profile und das Profilieren dickenveränderlicher, belastungsangepasster Bauteile. Daimler hat hier in einer Prototypenanlage ein Verfahren entwickelt, um Bauteile aus sogenannten Tailored Rolled Blanks (TRB) zu profilieren und zu Hohlprofilen zu verschweißen. Bei TRB handelt es sich um gewalztes Band mit in Längsrichtung abwechselnden Zonen unterschiedlicher Dicke. Entsprechend liegt der Kniff der Anlagen darin, die Profilierwalzen so beweglich zu halten, dass sie dickeres Band nicht einklemmen und dünneres Band dennoch zuverlässig biegen. Dazu kommt bei geschlossenen Profilen die Anpassung der Schweißvorrichtung an die unterschiedlichen Banddicken.
Die von Daimler zusammen mit dem Institut für Produktionstechnik und Umformmaschinen (PTU) der Technischen Universität Darmstadt entwickelte Lösung setzt auf bewegliche Gerüstsätze, die in den Versuchen so weit optimiert wurden, dass seit 2009 Schweller der E-Klasse bereits mit dem neuen Werkstoff und entsprechenden Profilgerüsten gefertigt werden. Ebenfalls mit TRB von Mubea in Attendorn hergestellt wird ein von Tillmann Profil GmbH in Sundern präsentiertes geschlossenes Leichtbauprofil. Das Verfahren setzt auf eine spezielle Konstruktion der Profilierwalzen, die bei unterschiedlichen Dicken auf ihren Achsen ausweichen.
Auf eigene Entwicklungen zur Wanddickenveränderung im Profilierprozess hat sich die Welser AG in Bönen konzentriert, um nicht auf die Lieferung bestimmter Vormaterialien angewiesen zu sein. Mit einer speziellen Kaltprofiliertechnik werden dabei in einem Band konstanter Dicke durch Anstiche, Anstauchungen und Biegeumformungen über den Querschnitt Zonen unterschiedlicher Dicke erzeugt, die auch als Funktionselemente ausgebildet sein können. Der Kniff des Verfahrens liegt allerdings in der Prozesstechnik und weniger im Anlagenbau.
Fernziel vor allem der Automobilindustrie ist es, Tiefziehteile durch walzprofilierte Teile zu ersetzen. Dazu fehlt dem Walzprofilieren allerdings noch das echte Umformen in die dritte Dimension beispielsweise durch Profillängsbiegungen oder Änderungen des Profilquerschnitts über die Länge. Anlagentechnisch sehen die Lösungsansätze dazu bewegliche und gesteuerte Gerüste vor. CNC-gesteuerte Achsen und quer zur Bandlaufrichtung verfahrende Gerüste sollten dann dynamisch in den Profiliervorgang eingreifen. Wie es funktionieren kann, hat die Ortic AB, Borlänge/Schweden, mit dem Monro-Verfahren gezeigt, das 2004 mit dem Swedish Steel Price ausgezeichnet wurde. Die Monro-Technik brauche stufenlos über Elektromotoren verstellbare Walzen in den Gerüsten und eine hohe Präzision bei deren Bewegungsteuerung. Es sei möglich, damit Profile mit gewölbten Seiten, konischen Formen und variablen Querschnitten herzustellen, wurde das Verfahren seinerzeit beschrieben. Allerdings beschränkt sich der Einsatz auf toleranzunempfindliche Anwendungen im Baubereich.
Industriell eingesetzte Anlagen für die hohen Genauigkeitsansprüche der Automobilindustrie gibt es trotz immer wieder bekundetem Interesse der Autobauer nicht. Zwar unterstützen verschiedene nationale und europäische Förderungsprogramme die Erforschung der Technik unter anderem am PTU in Darmstadt und in der Automobilindustrie selbst sind Entwicklungsteams mit dem Thema befasst, der Durchbruch zur Industriereife ist aber bisher nicht gelungen.
Größtes Problem ist die Beherrschung der komplexen Anlagentechnik durch die zahlreichen steuerbaren Gerüstsätze. Die zum Beispiel von Data M entwickelten steuerbaren Gerüstsätze samt den Steuerungsprogrammen und Controllern kamen bisher nur in Prototypenanlagen zum Einsatz. Produktivanlagen sind weder im Einsatz noch in Auftrag gegeben. Eine bekannte Lösung der Kronenberg Profile GmbH in Leichlingen, bei der ein U-Profil walzprofiliert und in einer Zwischenstufe auf einer Presse in der Höhe geformt wird, entspricht nur bedingt den Wunschvorstellungen.
Volker Albrecht Journalist in Bamberg

Flexible Profile

Nachgefragt

Sie sind überzeugt vom flexiblen Walzprofilieren?
Ja. Wir haben in den letzten Jahren nicht nur an unserer Software, sondern auch intensiv am flexiblen Walzprofilieren entwickelt. Wir haben heute die komplette Steuerung, die Hardware-Komponenten für die beweglichen Gerüste und einige Hardware, um unerwünschte Effekte zu kontrollieren.
Wie geht es weiter?
Wir bauen gerade eine Prototypenanlage für das flexible Walzprofilieren. Unser Angebot an die Industrie: Wir machen die Machbarkeitsstudien für diese neuen Techniken, wir übernehmen die Werkzeugentwicklung – und wir fertigen das Profil auf unserer Prototypenanlage. Das dauert zwar, aber am Ende kann man ein walzprofiliertes Bauteil dem Vorstand vorlegen.
Das Verfahren hat nach zehn Jahren Forschung noch keine industriellen Anwender?
Deshalb machen wir jetzt das Angebot an die Industrie, damit die Sache vorangeht. Unsere Hoffnung ist, dass wir es durchkriegen, bevor das Interesse an der Sache schwindet.
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