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Kreative Ideen gefragt

Forschung: Woran Umformtechnische Institute arbeiten
Kreative Ideen gefragt

Wandlungsfähige Produktionssysteme, gentelligente Bauteile oder ressourceneffiziente Fertigung sind vielversprechende Schlagworte für aktuelle Programme der Produktionsforschung. Die realen Projekte im Bereich Umformtechnik sind dichter an der Realität als ihre Titel.

Schlagkräftig sind sie, die Titel der neuen Forschungsförderprogramme: „Wandlungsfähige Produktionssysteme für die Produktion von morgen“ oder „Ressourcen- und energieeffiziente Fertigung“ heißen beispielsweise zwei Programme des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), „Genetik und Intelligenz – Neue Wege in der Produktionstechnik“ überschreibt die deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) ihren Sonderforschungsbereich SFB 653 zur Erforschung gentelligenter Bauteile.

„Es wird viel probiert“, sagt Norbert Wellmann, Geschäftsführer der europäischen Forschungsgemeinschaft Blechumformung e.V. (EFB), der sich über einen mangelnden Eingang von Forschungsanträgen zurzeit nicht beklagen kann. Die Vorschläge seien sehr vielfältig und man merke, dass nach neuen Wegen und Ideen gesucht werde.
Befeuert durch die Wirtschaftskrise und die Energieverteuerung im letzten Jahr steht das Thema Energie- und Ressourcenschonung hoch im Kurs, und zwar sowohl bei den Produkten selbst als auch bei ihrer Herstellung. Das Ergebnis des Ideenwettbewerbs zur ressourceneffizienten Produktion des BMBF bezeichnet Rüdiger Sehorz, einer der Betreuer des Projekts beim Projektträger Forschungszentrum Karlsruhe, als Erfolg. Für fünf ausgewählte Projekte wird derzeit über die Verteilung der Fördermittel entschieden.
Gleichzeitig verschafft das Thema der Forschung für den Leichtbau einen neuerlichen Schub – nicht ohne Folgen für die Umformtechnik. Denn die neuen Leichtbaumaterialien, zu denen sowohl moderne Stähle mit hohen und höchsten Festigkeiten zählen als auch Materialverbunde, Metallschäume und modifizierte Bleche, müssen umgeformt werden. Das Spektrum der Forschungsthemen spreizt sich dabei von einfachen, aber praxisrelevanten Problemen bis zu visionären Konzepten. Ganz praktisch untersucht beispielsweise eine Forschergruppe am Institut für Umformtechnik der Universität Stuttgart den Einfluss des Scherschneidens auf die Umformbarkeit hochfester Bleche. Das Problem bezieht sich auf so genannte Kantenrisse, die bei schergeschnittenen Kanten hochfester Umformteile zu beobachten sind.
Visionärer ist die Idee, belastungsangepasste Bauteile zu erzeugen, indem das Gefüge an höher belasteten Stellen gezielt beeinflusst wird. Im Rahmen des SFB 675 erforscht das Institut für Umformtechnik und Umformmaschinen Hannover (IFUM), wie eine lokale Martensitbildung zur partiellen Festigkeitssteigerung eines Bauteils genutzt werden kann. Diese Martensitbildung wird bei metastabilen austenitischen Stählen durch lokale Verformungen hervorgerufen.
Im Rahmen des BMBF-Forschungsprojekts Lokwab wird die lokale Wärmebehandlung von Blechwerkstoffen zur Verbesserung der Umform- und Funktionseigenschaften untersucht. Hier wird nach Wegen gesucht, die Stähle höherer Festigkeit auch Branchen über die Automobilindustrie hinaus zugänglich zu machen. Dem steht bisher der Aufwand zur Umformung dieser Stähle entgegen, die entweder hohe Kräfte oder eine Erwärmung und Kühlung des Werkstücks erfordert. Ansatz im „Lokwab“ ist es, durch gezielte lokale Wärmebehandlungen – zum Beispiel mit einem Laserstrahl – das Bauteil zunächst zu entfestigen, umzuformen und wieder zu verfestigen.
Auf die Verbesserung des bestehenden Prozesses durch Regelung zielt eine ganze Reihe von Aktivitäten. Im SFB 362 wurde beispielsweise eine Methode entwickelt, den Umformprozess von Feinblechen durch eine In-Prozess Stoffflussmessung zu verbessern. Die Ergebnisse werden jetzt in einem industrietauglichen Modell umgesetzt. Dabei wird mit einem optischen Sensor berührungslos der Stofffluss im Blech erfasst.
Direkt ins Werkzeug geht es im Projekt „Orum“, optimierte Regelung von Umformprozessen durch Werkzeuge mit integrierter Dünnschichtsensorik. Die mittlerweile entwickelten Sensorelemente geben während des Umformgangs, sei es Tiefziehen oder Innenhochdruckumformen, Informationen zum aktuellen Ausformgrad und zur aktuellen Lage des Werkstücks im Werkzeug an einen Rechner, der den Prozess regelt.
Flexibilität war gestern, wandlungsfähige Produktionssystem sind morgen. Eine weitgehend akzeptierte Analyse zur Entwicklung der Fertigungsverfahren besagt, dass kürzere Produktlebenszyklen und zunehmende Variantenvielfalt bei kleiner werdenden Losgrößen die Zukunft der Fertigungstechnik prägen werden. Handlungsbedarf besteht für hochproduktive Verfahren wie Tiefziehen, bei denen die Form des Werkstücks im Werkzeug festgelegt ist. Hier teilen sich die Forschungsprojekte auf. Ein Teil der Projekte bleibt bei den bekannten Verfahrensprinzipien samt ihrer Maschinen und Werkzeuge und sucht günstigere Lösungen innerhalb dieses Systems. Ergebnisse sind beispielsweise neue Werkzeugwerkstoffe, die sich schnell herstellen lassen aber nur geringe Stückzahlen überstehen. Auch generative Verfahren zum Herstellen von Tiefziehwerkzeugen aus Laminatblechen oder Werkzeuge mit auswechselbaren Segmenten zur schnellen Anpassung an Varianten werden untersucht.
Einen anderen Weg eröffnen inkrementelle Umformverfahren. Anders als beim Tiefziehen wird die Endform des Werkstücks hier durch viele kleine aneinandergereihte Umformoperation erreicht, wobei die Endform nicht im Werkzeug festgelegt ist. Bekannt ist das Prinzip vom Dengeln oder im industriellen Maßstab vom Drückwalzen. Relativ jung ist die inkrementelle Blechumformung mit CNC-gesteuertem Umformstift, die für Prototypen und Kleinserien eingesetzt werden kann. Der Umformstift formt dabei programmierte Bahnen in ein eingespanntes Blech, die sich zur Werkstückform addieren. Einen interessanten Ansatz liefert das BMBF-Projekt Roboforming, das federführend bei der Dieffenbacher GmbH & Co. KG durchgeführt wird. Ein Werkzeugpaar, das von zwei Robotern synchron bewegt wird, formt dabei Blech aus (lesen Sie dazu auch unser Titelthema). Im BMBF Projekt Sibuform wird die Kombination aus Streckziehen und inkrementeller Umformung erforscht. Die Zusammenhänge der inkrementellen Umformung werden im DFG-Schwerpunktprogramm (SPP) 1146, Modellierung inkrementeller Umformverfahren, beschrieben und für die Prozessauslegung und Simulation verfügbar gemacht.
Allein die Flexibilität der Maschinen und Organisationen wird nicht ausreichen, den Produktionsstandort Deutschland zu sichern. Das zeigen auch Voruntersuchungen im BMBF-Programm WPS an Instituten der Universitäten München und Hannover. Organisation und Produktionssysteme müssen wandlungsfähig sein, wenn sich Fabriken auf die turbulenten Anforderungen der Märkte einstellen wollen. Sind flexible Systeme für Lösungen innerhalb einer abschätzbaren Bandbreite ausgelegt, so sollen wandlungsfähige Systeme vielfältiger nutzbar sein. Deshalb werden wandlungsfähige Produktionssysteme, so die Vorstellung der Forscher, ohne explizite Grenzen konzipiert. Sie sind universell, offen für später entwickelte Fertigungseinheiten, produktneutral, skalierbar und mobil. Auf die Vorschläge des gerade ausgeschriebenen Ideenwettbewerbs des BMBF kann man gespannt sein.
Die auf diesen Produktionssystem hergestellten Werkstücke, könnten dann noch Informationen über ihre Herstellung und ihre Belastungshistorie speichern und lange vor dem Auftreten erster Risse anzeigen, dass sie ausgestauscht werden müssten. Die Vision hinter dem jetzt verlängerten Sonderforschungsbereich „Gentelligente Bauteile im Lebenszyklus – Nutzung vererbbarer, bauteilinhärenter Informationen“ der DFG reicht zwar weit in die Zukunft, die Grundlagen sind aber vorhanden. Nach Untersuchungen am IFUM Hannover sind es die metastabilen austenitischen Stähle, die auf Spannung, Dehnung oder Temperatur mit Martensitneubildung reagieren. Eine während der Umformung eingebrachte lokale Dehnung, beispielsweise in Form einer Delle, erhöht durch die induzierten Eigenspannungen die Sensitivität für die Bildung von Martensit bei elastischen Verformungen des Bauteils. Aus dem Anteil des neugebildeten Martensits lässt sich nicht nur die Verformungsgeschichte des Bauteils ableiten, auch Hinweise auf Schädigungen sind enthalten.
Und diese Verformungsgeschichte wird komplexer, fasst auch Norbert Wellmann eine Erkenntnis aus den Forschungsanträgen zusammen. Es gibt die Tendenz, mehr Elemente in einem Umformprozess ausformen zu wollen. Der passende Forschungsbereich „Umformtechnische Herstellung von komplexen Funktionsbauteilen mit Nebenformelementen aus Feinblechen“, wurde gerade von der DFG aufgenommen.
Volker Albrecht Journalist in Bamberg
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 5
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