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Lilienthals Erben fliegen vorerst im Unterschallbereich

1903 - 2003: Einhundert Jahre Motorflug
Lilienthals Erben fliegen vorerst im Unterschallbereich

Von unserem Redaktionsmitglied Michael Corban michael.corban@konradin.de

17. Dezember 2007, auf dem Flug von Singapur nach Brisbane lese ich: „In Wirklichkeit ist die Welt eine flache Scheibe, die von einer Riesenschildkröte auf dem Rücken getragen wird.“ Die Worte einer alten Dame zitiert der Physiker Stephen Hawking in seinem Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit“, bevor er ihnen eine andere Weltsicht entgegenstellt. Obwohl der Blick durch das Fenster auf die endlose Weite des Indischen Ozeans den Eindruck einer Scheibe erweckt, nehme ich Hawking ab, dass die Erde eher einer großen Murmel ähnelt. Die flache Scheibe des Mondes über dem Indik vor Augen lehne ich mich zurück und baue per Knopfdruck meinen Sessel zum Bett um. Eine feine Sache in der ersten Klasse des Airbus A 380. Da katapultiert mich ein kräftiger Ellbogenhieb meines Sitznachbarn zurück in die Realität. Stimmt, mein Finanzminister hatte nur Touristenklasse gestattet. Für Otto Lilienthal wäre aber alleine die Tatsache, dass wir fliegen, ein Triumph.
Sommer 1891, auf einem Übungsgelände bei Derwitz im Umfeld von Berlin-Lichterfelde: Otto Lilienthal gelingen die ersten Gleitflüge. Aus 5 bis 6 m Höhe erreicht er Flugweiten von 25 m. Für viele hat die Menschheit in diesem Augenblick das Fliegen gelernt. Beim Fliegen verlässt sich der Erfinder trotz Leitwerk vor allem auf seine „fast artistische Gewandtheit“. Er steuert und stabilisiert den Flug durch Schwenken des Unterkörpers. Eine Böe am 9. August 1896 ist schneller. Lilienthal stürzt ab und stirbt einen Tag später an seinen Verletzungen. Doch der Flugpionier hat die Grundlagen für die Entwicklung der kommenden Flugzeuge gelegt.
  • 17. Dezember 1903, in den Sanddünen von Kitty Hawk, nahe der Atlantikküste von North Carolina: Zwölf Jahre nach Lilienthals Gleitflügen hält Orville Wright den von seinem Bruder Wilbur und ihm gebauten Doppeldecker 12 s lang in der Luft. Angetrieben von einem Vierzylinder-Benzinmotor und zwei Propellern, startet das Flugzeug auf einer horizontalen Startschiene aus eigener Kraft. Es lässt sich steuern und während des Fluges im Gleichgewicht halten. Beim vierten und letzten Flug des 17. Dezember hält Wilbur das Flugzeug bereits 59 s lang in der Luft.
  • 17. Dezember 2003, am Unterlauf der Elbe nahe Hamburg: 100 Jahre nach den ersten Motorflügen der Wrights ist Fliegen zum Alltag geworden – zivile planmäßige Überschallflüge mit der Concorde sind seit kurzer Zeit Geschichte. Doch hier in Hamburg entstehen bereits die ersten Rumpfteile des Airbus A 380, mit dem der europäische Flugzeugbauer Airbus in der Champions League der Maschinen mit über 400 Sitzplätzen mitmischen will. Zwei durchgehende Passagierdecks sollen in der Basisversion 555 Fluggästen Platz bieten – und damit das Monopol des amerikanischen „Jumbo“, der Boeing B 747, brechen. Mit einer Spannweite und einer Länge von jeweils nicht mehr als 80 m bleibt der A 380 gerade innerhalb der Maße, für die heutige Flughäfen ausgelegt sind, und schlägt die B 747. Sie kommt „nur“ auf rund 64 m Spannweite und eine Länge von knapp 71 m. Zum ersten Mal soll der Airbus Anfang 2005 starten, ab 2006 die Reiselustigen im Linienverkehr befördern.
Just zu dem Zeitpunkt, an dem die Concorde außer Dienst gestellt wurde, ist damit vorerst auch eine wichtige Frage entschieden, die sich bereits zum Erstflug der B 747 am 9. Februar 1969 stellte: Sollen die Fluglinien auf Großraumflugzeuge setzen, die viele Passagiere mit etwa 0,85facher Schallgeschwindigkeit befördern – kurz Mach 0,85 –, benannt nach dem deutschen Physiker und Philosophen Ernst Mach? Oder ist es besser, weniger Fluggäste mit Geschwindigkeiten um Mach 2 herum sehr schnell zu transportieren? Airbus scheint die richtige Entscheidung getroffen zu haben, vorerst bleibt der Reiseflug im Unterschallbereich ökonomischer.
Dafür stößt der A 380 in neue Dimensionen vor, nicht nur bei den Abmessungen. Das Triebwerk ist so dick wie der Rumpf eines A 320, des kleinsten Mitglieds der Airbus-Familie. Der A-380-Rumpf erhält erstmals einen ovalen Querschnitt – 8,56 m hoch und 7,14 m breit. Als Rumpfmaterial kommt Glare zum Einsatz; ein Laminat, schichtweise aufgebaut aus Aluminium und glasfaserverstärktem Kleber. Es ist außerordentlich korrosionsbeständig und hinsichtlich Ermüdungs-, Feuer- und Beschädigungsfestigkeit Aluminium überlegen. Versuche haben gezeigt, dass ein künstlicher Riss sich selbst nach Tausenden von Flugzyklen kaum vergrößert. Zudem spart Glare 800 kg Gewicht ein – acht weitere Passagiere fliegen also mit.
Neue Dimensionen erreicht Airbus auch beim Zusammenbau. Zwar umspannt das bewährte Netzwerk wie bislang sieben Werke in Deutschland und Standorte in England, Frankreich und Spanien. Doch den neuen Abmessungen muss auch die Transportlogistik Tribut zollen. Über einen eigens gebauten Fähranleger verlassen vollständig ausgerüstete und über 20 m lange Rumpfsegmente das Werk in Hamburg mit Kurs Mostyn an der britischen Westküste. Bei einem kurzen Zwischenstopp werden die Tragflügel aus Broughton zugeladen. Im französischen St. Nazaire stoßen weitere Rumpfsegmente hinzu, bevor die Reise über den Atlantik in Bordeaux endet. Hier trifft – ebenfalls per Schiff – das Höhenleitwerk aus Spanien ein. Dieses Sortiment tritt nun die Reise die Garonne aufwärts an. Die Barkassen besitzen ein variables Ballastsystem, damit sie auch bei Flut unter Brücken hindurchpassen. In Langon endet die „Bootstour“. Die restlichen 200 km bis zum Ziel in Toulouse sind mit Spezial-Lkw zu überwinden. Bereits Flugerfahrung besitzt das Seitenleitwerk aus dem deutschen Stade. Es fliegt von Hamburg mit dem Großraumtransporter „Beluga“ direkt nach Frankreich. Von Toulouse aus startet dann erstmals ein aus eigener Kraft fliegender, weitestgehend nackter Airbus A 380. Ziel ist – man glaubt es kaum – Hamburg. Hier erhält das Flugzeug Kabinenausstattung und Farbe.
Von dieser Komplexität gänzlich unbelastet, werden wir mit dem A 380 fliegen – wenn auch nur in der Touristenklasse. Doch beim Anblick des Indischen Ozeans spielt das keine Rolle mehr. Kurz vor dem Einnicken drifte ich in Gedanken in den Weltraum ab und frage mich, ob nicht eines Tages riesige Weltraumschildkröten die Galaxien verbinden – vielleicht war es das, was die alte Dame meinte.
Reiselustig sind zunächst die einzelnen Bauteile
Steile Entwicklung: Erfolgsstory in „nur“ 100 Jahren
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