Startseite » Allgemein »

Luftlager lässt Teleskop im Raum schweben

Druckluftgelagerte Laserkanone dient der Erdvermessung
Luftlager lässt Teleskop im Raum schweben

Luftlager lässt Teleskop im Raum schweben
Neben hoher Tragkraft und Steifigkeit bieten Luftlager besondere Präzision, nicht nur für Teleskope: Stick-slip-freie Spindeln werden mit Führungsabweichungen unter 20 nm und einer Winkeleinstellung von wenigen Winkelsekunden gefertigt (Bild: Systemtechnik Hölzer)
Höchste Präzision erfordert ein Spiegelteleskop, das zur Erdvermessung kurze Laserblitze auf Geosatelliten und Quasare schießt. Es ruht auf Luftlagern, die von einem ölfreien Scroll-Kompressor von Atlas Copco gespeist werden.

Arnold G. Stapel ist Fachjournalist in Hückelhoven

Geodäten bereiten in der Oberpfalz die weltweit erste mobile Erdvermessungsstation auf ihren Einsatz vor. Sie soll neue Referenzpunkte zur Erdvermessung in abgelegenen Gegenden der Welt liefern, wobei sie sich Quasare und Geosatelliten zu Nutze macht. Solche geodätischen Mutter-Referenzpunkte werden bislang nur in ortsgebundenen Fundamentalstationen bestimmt, per Radio- und Laserteleskop immer wieder überprüft und in ihrer Präzision verbessert.
Damit deren weltweites Netzwerk immer dichter geknüpft werden kann, hat das deutsche Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) für 25 Mio. DM das erste transportable Geodätische Observatorium „TIGO“ (Transportable Integrated Geodetic Observatory) zur Erdvermessung entwickelt. Obwohl TIGO in sechs 40-Fuß-Containern transportiert wird, verfügt es praktisch über das gleiche Instrumentarium wie eine Fundamentalstation und hat zum Anpeilen von Quasaren ein zerlegbares Radioteleskop mit 6 m Spiegeldurchmesser an Bord. Ab Januar 2001 soll es in der mittelchilenischen Provinz Concepción eingesetzt werden. Denn insbesondere auf der Südhalbkugel sind Mutter-Referenzpunkte dünn gesät.
Genauigkeit hat höchste Priorität bei diesem Instrument: Angefertigt wurde es nach BKG-Vorgaben von niederländischen Spezialisten. „Ein Unikat“, sagt Armin Böer stolz, der als einer von drei Ingenieuren fürs TIGO und insbesondere für Entwicklung, Ausführung und Bau der Laserentfernungsmessung zuständig ist – also für das integrierte Laserteleskop. Im Prinzip handelt es sich bei dem Spiegelteleskop mit 50 cm Öffnung um eine Laserkanone. Sie feuert zielgerichtet kurze Laserpulse auf Geosatelliten und fängt deren Reflexe mit hochempfindlichen Detektoren wieder auf. „Wir erzeugen pro Sekunde zehn Laserpulse von je 80 Picosekunden Dauer. Das entspricht winzigen Lichtblitzen von umgerechnet drei Zentimetern Länge“, erklärt Böer. Die Bahnen der Geosatelliten sind genau bekannt. So lässt sich aus der Laufzeit der reflektierten Laserpulse und der Ausrichtung des Teleskops millimetergenau dessen Position auf der Erde bestimmen.
„Wir fordern eine Genauigkeit von plus/minus einer Winkelsekunde“, betont Armin Böer. Um diese Präzision von ±1/3600° zu erreichen, ist das optische System luftgelagert. Denn Geosatelliten sind keine geostationären, sondern rein passive, in 300 bis 36 000 km Höhe freifliegende Himmelskörper. Sie umkreisen die Erde wie der Mond, jedoch viel schneller. Um überhaupt eine Chance zu haben, sie punktgenau zu treffen, muss man ihre Bahnen vorausberechnen, das Teleskop exakt ausrichten und automatisch nachführen. Das geschieht über Schrittmotoren, angesteuert von einem echtzeitfähigen Computersystem. Die Mechanik muss entsprechend präzise mithalten können. Böer: „Die Luftlager lassen völlig ruckfreie und stufenlose Teleskopbewegungen zu, sorgen für hohe Messgenauigkeit und schützen vor Vibrationen.“
Scroll-Kompressor läuft mindestens drei Jahre im Nonstop-Betrieb
Zur Luftversorgung des Laserteleskops ist ein dauerlauffester Industriekompressor der ölfrei verdichtenden Scroll(-Spiral)Bauart in einem Container installiert. Der mit 59 cm x 60 cm x 85 cm kaum kühlschrankgroße, mit 57 dB(A) flüsternde Kompaktkompressor SF2 der Atlas Copco Kompressoren GmbH, Essen, hat eine Kapazität von 4 l/s bei 8 bar Überdruck. Die Luftlager verbrauchen jedoch nur einen geringen Anteil davon. Rund 90 % der Druckluft benötigt allein die Optik des Laserteleskops – um ungetrübt zu bleiben. Böer: „Wir blasen ständig Druckluft hinein, damit die Spiegel und Linsen nicht beschlagen und keine Staubpartikel hineingelangen.“
Damit die Druckluft als Antibeschlag-Mittel funktioniert und um ein Vereisen der Luftlager bei niedrigen Temperaturen auszuschließen, ist dem Kompressor ein kleiner CD-Adsorptionstrockner nachgeschaltet. Der verbraucht gerade mal 10 W, um Drucktaupunkte bis zu -20 °C zu erzeugen. Ein Feuchte-sensor gibt Alarm, wenn der Taupunkt über -18°C steigt. Sollte der Netzdruck mal unter 3 bar fallen, stoppt sofort das gesamte Laser-Nachführsystem. Denn dessen Schrittmotoren sind so stark, dass sie das Teleskop auch ohne Luftlagerung bewegen könnten. Nur würde dann der polierte Granitblock beschädigt, auf dem die präzise Lagerung aufgebaut ist.
Sobald TIGO an einem Einsatzort in Betrieb genommen ist, warten drei Jahre Dauerlauf auf den Scroll-Kompressor. Denn so lange dauert es, bis die Station genügend Messungen aufgenommen und die minimalen Lageveränderungen erfasst hat, die relativ zu anderen Mutterreferenzpunkten durch die globale Plattentektonik entstehen.
Messungen mit einem Radioteleskop sind wetterunabhängig. Das Laserteleskop kann jedoch nur bei wolkenlosem Himmel arbeiten. Doch auch an arbeitsfreien Tagen wird Druckluft benötigt, um die Laserkanone einsatzbereit, sauber und trocken zu halten.
Darum ist sicherheitshalber ein zweiter, baugleicher Scroll-Kompressor als Reserve im Container installiert. „Wir wissen ja nicht, ob uns immer ein Kundendienst vor Ort zur Verfügung stehen wird“, erklärt Böer. Und wohin TIGO nach dem Chile-Einsatz verlegt werden wird, steht noch in den Sternen.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de