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Mach’s doch wie die Schlupfwespe

Bionik: Systematische Lösungssuche liefert Innovationsimpulse
Mach’s doch wie die Schlupfwespe

Die Kooperationspartner Fraunhofer IPA und Bionic Solutions bieten die systematische Suche nach Lösungsprinzipien aus der Natur an. Dabei können sich völlig neuartige Lösungswege auftun – auch für altbekannte technische Problemstellungen.

Oft reichen die herkömmlichen Wege der Produktentstehung nicht mehr aus, um den Bedarf an Innovationen zügig und effektiv zu decken. Hier kann es sich lohnen, nach Vorbildern aus der Natur zu suchen: Sie liefert eine unermessliche Vielfalt an Wirkprinzipien, die sich innerhalb evolutionärer Prozesse bewähren mussten. Knut Drachsler vom Fraunhofer IPA, Stuttgart, und Georg Rummel von Bionic Solutions, Saarbrücken, sind darauf spezialisiert, dieses Potenzial zu erschließen.

Ihrer Meinung nach kann die Bionik schnell zu geeigneten, patentfähigen Lösungen führen, wenn sie systematisch eingesetzt wird. „Dabei tun sich Lösungsmöglichkeiten auf, an die kaum ein Techniker denken würde“, sagt Drachsler. „Bei unseren Datenbank-Recherchen reicht die Trefferliste bis in die Urzeit zurück – mit Phänomenen, die wir in der heutigen Tier- und Pflanzenwelt gar nicht mehr beobachten können.“
Der große Vorteil der Bionik liegt darin, dass sie die gewohnten Denkmuster durchbricht. Sie ermöglicht Innovationen, wo traditionelle Konzepte ausgereizt sind und Produkte nur noch inkrementell verbessert werden können. Ein Beispiel dafür ist das jüngste Projekt, bei dem IPA und Bionic Solutions nach neuartigen Mechanismen suchten, um poröse Materialien zu trennen. Den Auftrag dazu gab ein großer Werkzeughersteller. Er wollte über den Tellerrand hinausschauen, um Anregungen für neue Verfahren und Produkte zu erlangen: Gibt es neben Verfahren wie Spanen, Bohren, Sägen oder Spalten – die in der Natur wie in der Technik eingesetzt werden – noch weitere Wirkprinzipien? Die Bioniker wurden fündig bei ihrer Recherche. Die Ergebnisse lenkten das Augenmerk unter anderem auf gekoppelte Verfahren.
Ein Beispiel dafür ist das Pendelhubverfahren in Kombination mit „lytischen“ (oder Verdauungs-)Mechanismen, wie sie die Schlupfwespe einsetzt. Georg Rummel, Geschäftsführer von Bionic Solutions, erklärt diesen Vorgang so: „Die Schlupfwespe dringt mit ihrem Hinterleib in rhythmischen Vor- und Zurückbewegungen immer tiefer ins Holz ein, bis sie dort ihr Ei ablegt.“ Als „Werkzeug“ dient der Schlupfwespe eine Art Stachel, der aus dem Hinterleib herausragt. Dieser „Ovipositor“ ist bis zu 140 mm lang und im Gegensatz zu technischen Werkzeugen nicht starr. Ein mögliches Vorbild für eine technische Lösung? Das entschieden die Bioniker erst zu einem späteren Zeitpunkt ihrer Projektarbeit, als sie alle Ergebnisse ihrer Suche vorliegen hatten und auf ihr Lösungspotenzial hin überprüften.
Die bionische Produktentwicklung ist gekennzeichnet durch eine streng systematische Vorgehensweise. Die Bioniker beginnen damit, die Problemstellung zu abstrahieren, damit bei der Suche in biologischen Datenbanken ausreichend vielversprechende Treffer auftreten. Im Falle der Trennmechanismen identifizierten sie beispielsweise zehn biologische Lösungskategorien. Die Wirkprinzipien reichten von physikalisch-chemischen Aufschlussmechanismen der Pilze (die Holzwerkstoffe aufquellen lassen) bis hin zu Mehrschnittsystemen der Hadrosaurier. „Von den gefundenen zehn Lösungen werden zwei weiterentwickelt“, erläutert IPA-Projektleiter Knut Drachsler. „Wir dürfen selbstverständlich nur diejenigen vorstellen, die nicht weiter verfolgt werden.“
Verständlich, denn dem Auftraggeber ist natürlich an Vertraulichkeit gelegen. Doch auch die ausgeschiedenen Lösungsansätze machen deutlich, dass die Natur technisch relevante Entwicklungsansätze hervorbringt. Gerade am Beispiel des Hadrosaurier-Gebisses zeigt sich, dass die Evolution sehr unterschiedliche Wege gegangen ist, um veränderten Umgebungsbedingungen Paroli zu bieten. Im Unterschied zu modernen Gebissen weisen die versteinerten Unterkiefer des Hadrosauriers mehrere Zahnreihen neben- und hintereinander auf, wie bei einer Raspel. Biologe Rummel: „Die Unterkonstruktion des Gebisses erlaubte ein permanentes Nachschieben von Zähnen, wenn Zahnelemente ausfielen. So waren 90 Prozent des Gebisses immer funktionsfähig – und das reichte dem Hadrosaurier damals.“ Mit seinen Schnittwerkzeugen zerkleinerte der Saurier hartfaserige Urweltpflanzen. Die Natur verbesserte also nicht die Schärfe oder die Härte des Einzelzahnes, sondern antwortete durch geschicktes Anordnen von Zahnreihen auf die Anforderungen der Umgebung. Hier liegt also eine Optimierung auf der System- und nicht auf der Bauteilebene vor.
Nach der inzwischen abgeschlossenen Evaluationsphase verfolgt der Werkzeughersteller diejenigen Lösungsmechanismen weiter, die am erfolgversprechendsten sind, und startet mit Vorentwicklungen. Die Natur hat damit die Grundlagen für eine technische Modellierung gelegt.
Jedes bionische Projekt gliedert sich in Phasen, die variabel definiert werden können. In der Regel erstreckt sich die Arbeit von der Potenzial- und Problemanalyse über die Entwicklung einer Suchstrategie bis hin zur Suche, Bewertung, Auswahl und Modellierung der technischen Umsetzung. „Wir bieten dazu das biologische Wissen, gebündelt mit methodischem und technischem Know-how“, betont Drachsler vom Fraunhofer IPA. Der Partner, Bionic Solutions, wurde 2003 als Start-up-Unternehmen aus der Universität des Saarlandes ausgegründet. Dort ist auch der Ansatz SQAT (Suchen, Qualifizieren, Analysieren, Transferieren) entwickelt worden, nach dem die Kooperationspartner systematisch bionische Lösungen für techische Aufgabenstellungen ermitteln. Als Bestandteil des SQAT-Konzeptes entsteht zurzeit eine Software, die das Suchen in biologischen Datenbanken optimiert. Ansprechpartner für weitere Infos:
Knut Drachsler, Tel. 0711/9701784,
Georg Rummel, Tel. 0681/8765807,

Neue Technologien
Die Natur hält Wirkprinzipien parat, die den bekannten technischen Lösungen überlegen sind. Dienstleister bieten dafür ausgefeilte, bionische Suchmethoden an.
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