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Markt ist dort, wo die Kunden sind

Teil 3: Global Selling heißt die Antwort auf Global Sourcing
Markt ist dort, wo die Kunden sind

Markt ist dort, wo die Kunden sind
Der Industrieanzeiger-Autor Hans Andreas Fein ist selbständiger Marketing- und Strategieberater in Stuttgart. Er berät speziell deutsche und amerikanische Unternehmen der Investitionsgüter-Branche
Mit Global Sourcing als Beschaffungskonzept der Konzerne verschwinden allmählich die Grenzen. Parallell dazu wandert durch die Produktionsverlagerungen des Maschinenbaus mehr und mehr Marktvolumen ins Ausland. Deshalb müssen im Gegenzug auch Autozulieferer und Fabrikausrüster ihre Vertriebsorganisation neu ausrichten.

Einige unserer Präzisionsteile für die M-Klasse sollen künftig von einem Chrysler-Lieferanten in den USA bezogen werden.“ Der Schock war groß bei der Firma Häberle Präzisionstechnik*, als der Vertriebsbeauftragte für den Raum Stuttgart über seine guten Kontakte „beim Daimler“ erfahren hatte, dass der Liefervertrag mit Daimler-Chrysler im nächsten Jahr auslaufen soll. Die Nachricht versetzte das ganze Unternehmen in Alarmstimmung, schließlich lieferten sie ähnliche Teile auch für andere Modellreihen von Mercedes. (* Name der Firma vom Autor geändert)

Wie konnte das passieren? Häberle Präzisionstechnik aus dem Filstal bei Stuttgart, belieferte „den Daimler“ schon seit über 40 Jahren mit beschichteten Präzisionsteilen. Auf diese solide Geschäftsverbindung – noch vom Vater des heutigen Inhabers aufgebaut – war der traditionsreiche Zulieferer immer besonders stolz. Und mit den anderen Kunden des schwäbischen Präzisionsteileherstellers verhält es sich ähnlich: Häberle hat sich mit bester Qualität und Zuverlässigkeit über Jahrzehnte hinweg einen guten Kundenstamm mit vielen Großunternehmen aufgebaut. Doch offensichtlich waren diese guten, langjährigen Geschäftsbeziehungen plötzlich nicht mehr viel wert.
Global operierende Großunternehmen wie beispielsweise in der Automobilindustrie haben ihre Beschaffungspolitik verändert und dadurch ist ein dramatischer Wandel für die Zulieferer im Gange. Lange Zeit war Global Sourcing vor allem ein modisches Schlagwort in Management-Seminaren, doch mittlerweile hat es Eingang in die tägliche Praxis der Einkäufer gefunden. So sind bei der Lieferantenbewertung heute Qualität und Zuverlässigkeit längst nicht mehr entscheidend, sie sind nur noch selbstverständlich. Für die Automobileinkäufer stehen andere Leistungskriterien im Vordergrund: zum Beispiel die Verzahnung des Entwicklungsprozesses vom Lieferanten mit den eigenen Entwicklungs- und Fertigungsabläufen. Und nicht weniger wichtig ist die Fähigkeit zur Belieferung aller Auslandswerke des Konzerns durch ein und denselben Lieferanten. Dadurch geraten die mittelständischen Lieferanten ohne Auslandspräsenz immer mehr in Zugzwang.
Für Zulieferer oder Lieferanten der Automobilkonzerne heißt das in erster Linie eine eigene Präsenz oder eine Allianz in den USA, zuerst für Engineering und Logistik und bald danach auch mit einer eigenen Produktion: Ein Autoteil für die M-Klasse in Alabama als Beispiel kann langfristig nicht mehr im Schwabenland produziert und dann nach USA exportiert werden. Und für die Entwicklungsphase der nächsten Modellgeneration ist schon jetzt Engineering-Arbeit mit allen spezifischen Anforderungen der Verhältnisse vor Ort notwendig. So muss der andere Montageablauf mit überwiegend angelernten Arbeitskräften in Amerika und das feucht-heiße Klima der Produktionsstätte in Alabama berücksichtigt werden. Auch die besonderen Wünsche der amerikanischen Kundschaft, ob bei der Klimaanlage oder bei der Fahrzeug-Federung, lassen sich nur vor Ort erfassen und unmittelbar in die Produktentwicklung einbeziehen.
Doch wie gut sind deutsche Zulieferer, besonders die große Zahl mittelständischer Unternehmen wie Häberle, auf diese künftige Aufgabenstellung eingestellt? Anders als früher, müssen deren Ingenieure künftig in der Lage sein, heute in Untertürkheim, morgen in Rastatt und übermorgen vielleicht bei einem Projekt in Auborn Hills mitzuentwickeln. Mobilität und vor allem Präsenz vor Ort ist das Gebot der Stunde. Das gilt natürlich nicht nur für die Entwicklung, sondern auch für die Logistik. Just-in-time-Lieferungen auch an alle Autowerke eines Konzerns in Europa und Amerika gehören heute zur Selbstverständlichkeit. Geben die Ingenieure, Produktionsplaner oder Disponenten eines Zulieferers den Auslandsprojekten nicht dieselbe hohe Priorität wie Inlandslieferungen, kann das fatale Folgen haben. Lieferungen über den Atlantik werden sowieso mit größten Vorbehalten betrachtet, bei den amerikanischen Autokonzernen in der Regel gar nicht erst zugelassen. Kommt es dennoch zu einem Auftrag, dann sollten nicht einmal leise Zweifel an der Termintreue aufkommen oder gar Probleme bei der Abwicklung einer Serienlieferung über den Atlantik entstehen – die Geschäftsverbindung könnte sonst sehr schnell beendet sein. In einem solchen Fall geht der Auftrag an einen Anbieter mit Präsenz vor Ort. Und ist dieser amerikanische Wettbewerber erst drin, wird er sich nicht nur für die Geländewagenproduktion in Tuscaloosa, sondern weltweit auch für andere Daimler-Chrysler-Werke empfehlen: Hughes Precision Inc. gegen Häberle Präzisionstechnik GmbH sozusagen.
Sinnvolle Stufen zwischen Drehen und Komplettbearbeitung
Global Sourcing und die dadurch veränderte Lieferantenbewertung bringt heute Leistungsdefizite und mangelnde Auslandspräsenz fast jedes Zulieferers wie auch jedes Fabrikausrüsters schonungslos an Licht – und zwar ohne Rücksicht auf traditionelle Kunden-Beziehungen. Und dabei handelt es sich nicht um ein branchenspezifisches Problem, – denn den Zug über die Grenzen kann man nicht nur bei den Großkonzernen der Automobilindustrie verfolgen.
Seit Beginn der 90er Jahre verlagert der deutsche Maschinenbau seine Produktion nach und nach in Richtung Tschechien, Ungarn und Polen oder aber nach Spanien und Portugal als kostengünstigere Standorte. Was vor 10Jahren als verlängerte Werkbank für einfache Teile begann, hat sich vielerorts inzwischen zu beachtlichen Produktionsstandorten für die Herstellung kompletter Maschinen oder Werkzeugsysteme entwickelt.
Mit diesem schleichenden Prozess der Produktionsverlagerung wanderte natürlich auch ein Teil des Beschaffungsvolumens des deutschen Maschinenbaus vom Inland ins Ausland mit. Nun ist der weltweite Konzentrationsprozess noch lange nicht zu Ende, und die Vernetzung innerhalb der Schlüsselbranchen wird immer noch mehr Fusionen und Standortverlagerungen mit sich bringen. Und mit jedem Mal verlagern sich für die mittelständischen Lieferanten die Gewichte des Geschäfts weiter auf die Auslandsmärkte. Nicht allein, dass das Umsatzwachstum mit den Großkunden vor allem in deren Auslandswerken stattfindet, zum Teil verlagert sich sogar das bestehende Auftragsvolumen vom Inland ins benachbarte Ausland. Auf diese Weise wird der Inlandsmarkt mehr und mehr „ausgehöhlt“, die Grenzen verwischen allmählich. Spätestens wenn dieses Phänomen bei mehreren der Top-10-Kunden auftritt, ist es für Zulieferbetriebe oder Fabrikausrüster allerhöchste Zeit, auch die eigene Organisation auf globale Verhältnisse zuzuschneiden. Denn bei der Betreuung eben solcher Großkunden mit vielen Auslandsstandorten greift die herkömmliche Trennung der Verkaufsabteilung in Inland und Export immer weniger. Schlüsselkunden müssen heutzutage jeweils selbst als ein Markt betrachtet und mit einem einheitlichen Verkaufskonzept bearbeitet werden. Schließlich bietet das „Land Daimler-Chrysler“ mit allen Werken weltweit für die meisten Lieferanten ein weitaus größeres Potenzial als Länder wie Belgien, Holland oder Dänemark.
Die Herausforderungen des Globalen Marktes spielen sich mit dem Jahr 2000 in einer Dynamik ab, die speziell für mittelständische Unternehmen bisher ungewohnt ist und manchem vielleicht sogar beängstigend erscheint. Und in der Tat, die Sorge ist berechtigt – mit den Rezepten von gestern, mit den klassischen Strukturen im Verkauf oder mit nur leichten Veränderungen wird man dieser großen Aufgabe in aller Regel nicht mehr gerecht. Vor allem die mittelständischen Unternehmen brauchen auf das Global Sourcing der Großkunden eine strategische Weichenstellung: Global Selling.
Die Serien-Teile
Teil 1: Vorschriften und Standards für deutsche Maschinen in den USA; erschienen in IA 40 am 2.10.
Teil 2: Matrix-Distribution als Zauberformel für USA; erschienen in IA 41 am 9.10.
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