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Mechanik geht mit 200 m/min ins Rennen

Kugelgewindetriebe: Schneller durch verbesserte Geometrie
Mechanik geht mit 200 m/min ins Rennen

Mit bis zu 200 m/min verfährt ein konstruktiv verbesserter Kugelgewindetrieb. Doch gegenüber mechanischen High-Tech-Lösungen herrscht zunächst die gleiche Skepsis vor wie früher gegenüber den Linearmotoren.

Von unserem Redaktionsmitglied Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de

Wie die Helden des Motorsports wetteifern die Entwickler in der Lineartechnik um Höchstleistungen ihrer Kugelgewindetriebe. An der vordersten Front dabei ist auf der Messe Emo in Mailand die Ratinger NSK Deutschland GmbH (Halle 17.2, Stand G08). Mit einer Geschwindigkeit von über 200 m/min sollen ihre Spindelantriebe der BSS-Serie verfahren. Möglich wird dies durch eine neue Kugelrückführung mit Endumlenkung in der Mutter. Diese Konstruktionsänderung führt dazu, dass die Kugeln tangential aufgenommen werden. Damit lasse sich beispielsweise die Geräuschentwicklung um bis zu 6 dB reduzieren. „Da eine leisere Linearbewegung zugleich heißt, dass weniger Vibrationen auftreten, sind mit unseren Kugelgewindetrieben in der Werkzeugmaschine sowohl bessere Oberflächengüten als auch bessere Genauigkeiten zu erzielen“, erläutert Jürgen Kühnle, Produktmanager Europa. Die BSS-Serie wurde für einen führenden Hersteller vertikaler Fertigungszentren entwickelt. Er setzt sie in entsprechenden Antrieben bereits ein. Nach der Emo sind die Hochleistungskugelgewindetriebe auch für andere Anwender verfügbar: „Und unsere besten Kugelgewindetriebe laufen bei uns sogar mit 220 Metern pro Minute.“
Die Frage nach der Konkurrenz zu Linearmotoren bleibt da nicht aus. „Bis zu einer Schubkraft von 2000 N sind die Direktantriebe sicherlich interessant oder sogar im Vorteil“, betont der NSK-Fachmann. „Sobald es darüber hinaus geht, verursacht die Kühlung zusätzlichen Aufwand – und dann schlagen die Vorteile der Spindeln durch.“ Darüber hinaus seien Linearmotoren in der Anschaffung sowie im Betrieb teurer als mechanische Lösungen. „Was den wartungsfreien Einsatz angeht: Mit entsprechendem Schmiersystem müssen Sie sich je nach Belastung fünf Jahre lang nicht um die Kugelgewindetriebe kümmern – und damit ist die halbe Lebensdauer der Maschine verstrichen.“
Trotz solcher Fortschritte hat sich jedoch inzwischen die Einstellung der Anwender zu High-Speed-Kugelgewindetrieben und Linearmotoren in gewisser Weise umgekehrt. Zu dieser Einschätzung kommt Bernd Wiener vom Zentrum Fertigungstechnik Stuttgart (ZFS). In einer Umfrage hatte er 2001 die Anforderungen der Maschinenbauer an Linearmotoren untersucht und arbeitet heute an der Verbesserung dieser Antriebe. „So wie vor einigen Jahren gegenüber den Direktantrieben eine große Skepsis herrschte, müssen jetzt die verbesserten mechanischen Lösungen erst einmal beweisen, dass sie auch im Dauereinsatz gute Leistungen erbringen“, mahnt der Wissenschaftler.
Neben der Geschwindigkeit nennt Hersteller NSK die großen Kräfte als Vorteil, die seine neuen Komponenten in Spritzgießmaschinen bringen: Dort könnten sie in Kombination mit Elektromotoren laut Kühnle den hydraulischen Antrieben den Rang ablaufen. „Wir konstruieren eine Anwendung, die eine Schließkraft von 600 Kilonewton erfordert – mit der Vorgängerversion der Kugelgewindetriebe war bei 400 Kilonewton Schluss.“
Mechanische Komponenten für solche hohen Kräfte bietet auch die Umbra Cuscinetti Spa aus dem italienischen Foligno an (Halle 3.1, Stand E09): Bei Kräften von bis zu 1500 kN sollen sich ihre Kugelgewindetriebe einsetzen lassen. Das deutsche Tochter-Unternehmen Kuhn Präzisionsspindeln und Gewindetechnik GmbH, Freiberg a. Neckar, hingegen will die Emo-Besucher mit Gewindespindeln für Hochleistungswerkzeugmaschinen überzeugen. So präsentiert Kuhn eine Lösung, mit der sich die Reibung zwischen den Keramikkugeln in der Mutter senken lässt. Anstelle von Kettenelementen oder anders geformten Abstandshaltern übernehmen Stahlkugeln die trennende Funktion. Ihr Durchmesser ist geringer als der Durchmesser der tragenden Keramikkugeln. Solche Gewindetriebe seien bereits in Pressen im Einsatz.
Wie der Hersteller mitteilt, habe sich in umfangreichen Testreihen gezeigt, dass so die Wärmeentwicklung in Mutter und Spindel erheblich sinke. „Weil die Betriebstemperatur um bis zu 50 Prozent niedriger liegt als bei herkömmlichen Spindeln, lässt sich eine höhere Positioniergenauigkeit erreichen“, erläutert Kuhn-Betriebsleiter Nello Salemmi. Eingesetzt werden die Muttern mit Keramik- und Stahlkugeln bereits bei Anwendungen mit Geschwindigkeiten von bis 180 m/min sowie Beschleunigungen von bis zu 5 g. „Wir zeigen darüber hinaus Gewindetriebe, bei denen wir Schwingungen durch Dämpfer in der hohlgebohrten Spindel reduzieren“, ergänzt Salemmi. Das soll insbesondere bei Spindeln von über 4 m Länge interessant sein. Eine Schicht aus dämpfendem Composite kleidet die Bohrung im Innern aus und nimmt die Schwingungsenergie auf.
Die Schwingungen der Spindel vermeidet die niederländische Busschers Machinebouw B.V., Haaksbergen, in den meterlangen Zuführachsen ihrer Rohrbiegemaschinen auf andere Art: Sie setzt stehende Spindeln mit angetriebener Mutter ein, wie sie die Bosch Rexroth AG, Lohr am Main, anbietet (Halle 14.2, Stand A10/B07). Die erforderliche Verfahrgeschwindigkeit von 120 m/min erreichen die Antriebe mit Hohlwellenmotoren oder in größeren Anlagen mit einem Zahnriemen. Da ohne Spindelrotation keine Erregerfrequenz die Spindel zum Schwingen bringt und auch die präzise gefertigte Mutter laut Hersteller in dieser Hinsicht zu vernachlässigen ist, erreiche dieses System hohe Geschwindigkeiten.
Bei den heute etablierten Linearmotoren stehen nach Auskunft von ZFS-Mitarbeiter Wiener hingegen Optimierungen bei der Regeltechnik an: „Wir arbeiten mit offenen Steuerungsplattformen und erzielen gute Fortschritte bei einer achsübergreifenden Regelung.“ Wenn an einer Achse Störkräfte auftreten, wird die Information darüber anderen Achsen zur Verfügung gestellt. So ist der Regler gewissermaßen vorgewarnt und kann auf den Einfluss rechtzeitig reagieren. Das sei vor allem für Werkzeugmaschinen mit Achsen in Gantry-Bauweise wichtig, um auch bei schnellen Bewegungen ein Verklemmen zu verhindern. Durch ein modellbasiertes Regelungskonzept sollen sich die Kraftreserven besser nutzen und Führungsverhalten sowie Schwingungsdämpfung verbessern lassen.
Solange das Rennen zwischen den Systemen andauert, bringt es Verbesserungen und den Maschinenbauern in jedem Fall Vorteile. Daher ist es hier – anders als im Motorsport – im Grunde völlig egal, wer gerade auf dem Siegerpodest steht.
Mix aus Keramik- und Stahlkugeln reduziert die Reibung
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