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Mit dem nötigen Feingefühl

Mechatronik: Viel mehr als die Summe der Einzeldisziplinen
Mit dem nötigen Feingefühl

Mechanik, Elektronik und Informationstechnik wachsen seit einiger Zeit zusammen. Der Systemgedanke muss sich aber vor allem in der Entwicklung noch durchsetzen: Erst wenn die Stärken aller drei Technologien früh kombiniert werden, entstehen neuartige, mechatronische Lösungen.

Systemkomponenten, die früher nur mechanisch arbeiteten, verfügten heute zunehmend über „Intelligenz“, berichtet Dr. Rainer Stetter, Geschäftsführer der Münchner ITQ GmbH. „Handhabungsgeräte werden mit Mechatronik feinfühliger, denn durch die Integration von Antriebskomponenten, Sensorik und Regelalgorithmen lassen sich Bewegungen adaptiv an aktuelle Rahmenbedingungen anpassen.“ ITQ hat daher mit der Esslinger Festo AG & Co. KG die Sonderschau „Mechatronik begreifen“ auf der Messe Motek initiiert (Halle 1, Stand 1301/1401). In Kooperation mit dem Messeveranstalter zeigen auch Phoenix Contact, Eplan, Stein Automation, Sick, Sommer-Automatic und Systec sowie die Hochschule Esslingen und das Kompetenznetzwerk Mechatronik Göppingen, was Stand der Technik ist.

„Die Hebe- und Handhabungstechnik profitiert innerhalb des Maschinenbaus am offensichtlichsten von der Mechatronik“, erläutert Claus Kühnl, Mitarbeiter im Bereich Automation Systems bei der Blomberger Phoenix Contact GmbH & Co KG. Mechatronik erschließe neue Möglichkeiten, wenn etwa der Regler für die Greifmomentenregelung direkt im Greifer sitze und zu kurzen Regelzeiten und damit genaueren Regelungen führe. Spezielle, geschwindigkeitssensible Anwendungen, das Condition Monitoring oder Fail-Soft-Strategien und fehlertolerante Maschinen und Anlagen würden durch Mechatronik überhaupt erst möglich.
Es wachse aber noch mehr zusammen als Mechanik, Elektronik und Software, ergänzt Peter Kamp, zuständig für strategische Initiativen bei der Waldkircher Sick AG. „Genau genommen gilt das auch für Komponenten gleicher oder unterschiedlicher Disziplinen. Diese rücken sich näher und bilden ein mechatronisches System.“ Das praktizierten etwa die Elektromotorenhersteller schon seit geraumer Zeit, indem sie Geber mit dem Elektromotor zu einer Einheit verschmelzen. „Ähnliches gilt für Pneumatikantriebe in Verbindung mit IO-Link-fähigen Sensoren, was wir zusammen mit Festo auf der Sonderschau zeigen.“
Laut Paul Kho, Manager Technical Press Coordination bei Festo, ist „der Nachteil der fortschreitenden Mechatronisierung, dass der Einsatz intelligenter Antriebskomponenten dem Konstrukteur mehr abfordert.“ Der müsse schon während des Konstruktionsprozesses mehrere Disziplinen im Auge behalten. Anbieter solcher Systeme müssten sich also darauf einstellen, den klassischen Konstrukteur mit neuen Konzepten zu unterstützen. „Die Funktionsvielfalt und die Spezialisierung der Produkte wird sich in den nächsten Jahren noch einmal potenzieren“, bestätigt Claus Kühnl von Phoenix Contact. Damit der Anwender die Technik im Griff behalte, müsse das Engineering im Antriebsbereich vereinfacht werden. „20 000 Parameter oder mehr für einen Antrieb wird kein Anwender mehr akzeptieren – hier sind Softwaretools mit mehr Komfort und integriertem Know-how gefordert.“ Denn die Mechatronik führe oft zu mehr und kleineren Antrieben, da jedes autarke Modul seine eigenen Antriebe mitbringe.
„Wir haben deshalb mit dem Eplan Engineering Center eine disziplinübergreifende Lösung geschaffen, die Engineeringsysteme integriert – etwa für die Elektro-, Fluid- und EMSR-Technik, Mechanik sowie SPS-Programmiersysteme“, berichtet Dieter Pesch, verantwortlich für Strategische Marktentwicklung bei der Eplan Software & Service GmbH & Co. KG in Monheim. Durch das funktionale Engineering würden alle am Prozess beteiligten Engineeringsysteme mit Daten versorgt. Allerdings, so Pesch weiter, wäre vom Start einer Konstruktion an Abstimmung gefragt: „Unterschiedliche Disziplinen müssen miteinander reden lernen.“ Dies sei auch der vielleicht wichtigste Schlüssel für Schnittstellenprobleme.
Mit Hilfe moderner 3D-Simulationssoftware könnten zudem Maschinen und Anlagen vor dem ersten Aufbau getestet werden, ergänzt Peter Kamp. Dies sorge dafür, dass Fehler früh entdeckt und zum „Nulltarif“ beseitigt werden könnten. Allerdings verweist der Sick-Mitarbeiter darauf, dass hier noch Hausaufgaben zu machen sind. So sei ein Be- schreibungsstandard erforderlich, um mechatronische Komponenten – also ihren mechanischen Aufbau und ihr funktionelles Verhalten – in die Simulationsprogramme einzubinden. Dann könnten aus der Simulation fertige Steuerungssoftwarefragmente entstehen, die dem SPS-Programmierer die Arbeit erleichtern.
Auf einen weiteren Punkt weist Claus Kühnl von Phoenix Contact hin: „Haben bisher Spezialisten mit den Softwaretools gearbeitet, müssen zukünftig auch Mitarbeiter mit anderen Qualifikationen zumindest informationshalber damit zurecht kommen.“ Die Anzahl der Mitarbeiter in einem Projekt, die mit breiter angelegtem Wissen über mehrere Disziplinen hinweg arbeiten, werde größer und damit das Spezialwissen geringer. „Hinsichtlich der Engineering-Tools führt dies zu einem größeren Einschnitt in Richtung Simplifizierung und eingebautem Know-how.“
Schön wäre es deshalb, so Festo-Mitarbeiter Paul Kho, „wenn die Schnittstellen mechatronischer Systeme besser aufeinander abgestimmt wären.“ Meist seien die Schnittstellen zwischen den Disziplinen bildlich gesprochen „etwas ausgefranst“.
Neben den Engineering-Schnittstellen betrachte man in mechatronischen Systemen die Laufzeitschnittstellen, ergänzt Phoenix-Contact-Mitarbeiter Kühnl. Diese seien das größere Problem, wobei es hier vor allem um die Standardisierung gehe. „Es gibt heute viele Bussysteme und Schnittstellen, die für mechatronische Systeme genutzt werden. Der Hersteller eines Moduls entscheidet, welche davon er nach außen anbietet.“ Oft sei dies der für die Applikation technisch am besten geeignete Bus oder die in einer Branche am weitesten verbreitete Technik. „Es gibt heute Maschinen mit mehr als 20 verschiedenen Bussen“, sagt Kühnl. Hier müsse man zu weniger, aber standardisierten Schnittstellen und Protokollen kommen.
„Wichtig ist es, nicht neue Standards zu kreieren, sondern vorhandene zu nutzen“, meint Dr. Stetter von ITQ. Am Beispiel Industrial Ethernet sei zu sehen, was passiert, wenn es zu viele – mittlerweile rund zehn verschiedene, teilweise firmenspezifische – Standards gebe. „Im Umkehrschluss heißt das für mich, dass es eigentlich keinen Standard gibt.“
Weiterenwicklung in der Mechatronik zeigt sich für Peter Kamp von Sick auch daran, dass Einflüsse aus der virtuellen Spielewelt in Simulationsprogrammen – und damit in der Automatisierungstechnik – zu spüren seien. „Wir dürfen gespannt sein, wie die Mechatronik die Zukunft gestaltet.“
Michael Corban Fachjournalist in Nufringen
Auch ohne Spezialwissen verständlich

Ausbildung: Treffer ins Schwarze
Handlungspotenziale hinsichtlich der mechatronischen Ausbildung im Studium und im Ingenieursberuf sieht ITQ-Chef Dr. Rainer Stetter. Seit mehreren Jahren sei man sehr intensiv damit beschäftigt, die Hochschulausbildung praxisnäher zu gestalten. „So stellen wir studentischen Teams herausfordernde, mechatronische Aufgaben.“ Das wohl publikumswirksamste Beispiel dafür sei die so genannte Treffsichere Dartscheibe. Diese Maschine sei in der Lage, eine Dartscheibe innerhalb von 150 ms bis zu 50 cm so zu verfahren, dass ein Dartpfeil immer ins Bullseye treffe. „Aufbauend auf den Erfahrungen aus diesem Projekt, haben wir mit der TU München ein Vorlesungskonzept entwickelt, welches wir nun zusammen mit dem VDMA zu einem Konzept für die Ingenieurausbildung ausbauen wollen.“

Neue Technologien
Neues entsteht vor allem aus dem Zusammenspiel von Bewährtem. In diesem Sinne eignet sich insbesondere die Mechatronik als Kombination von Mechanik, Elektronik und Software dazu, bislang ungelöste Regelaufgaben nun besser zu lösen – etwa in feinfühligeren Greifern der Hebe- und Handhabungstechnik. Wie so oft, müssen vorab aber die beteiligten Disziplinen lernen, miteinander zu reden.
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