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Mit der Potenz zum Sparen

Spritzgiessmaschinen: Rezepte für 30, 40 und 60 % weniger Stromverbrauch
Mit der Potenz zum Sparen

Was der Autofahrer fordert, täte auch der industriellen Fertigung gut: Energiesparen. Und was sollte sich besser dafür eignen als der Strom fressende Spritzgießprozess? Hier die wichtigsten Energiespar-Rezepte, recherchiert und gesammelt bei Experten, die am Thema sind.

Tatsache ist: Die Strompreise kletterten nach dem VIK-Strompreisindex im Bereich der Mittelspannung von Januar 2002 bis August 2006 um fast 80 %!

Also heißt es sparen, will man nicht ins energetische und kostenmäßige Abseits geraten. Aber wie? Thomas Breiden, Marketingleiter bei der Dr. Boy GmbH & Co. KG, Neustadt-Fernthal, meint: „Es gibt nicht die beste oder die wirtschaftlichste Lösung. Jeder Anwendungsfall mit all seinen Randbedingungen muss differenziert betrachtet und vor allen Dingen berechnet werden.“
Gehen wir also mal die Spritzgießmaschine mit ihren Energieverbrauchern von links nach rechts durch:
Links die Schließeinheit: Sie trägt, öffnet und schließt das Werkzeug, hält es gegen den Spritz- und Nachdruck zu, zieht Kerne und wirft den Spritzling aus. Sie ist der drittgrößte Verbraucher mit einem Anteil von etwa 5 bis 15 % bei normalen Teilen und ungefähr 30 bis 40 % bei schnelllaufenden Artikeln.
Rechts die Plastifizier-/Einspritzeinheit: Sie zieht das Material ein, plastifiziert und dosiert es, spritzt es in das Werkzeug ein, und übt Nachdruck auf das Massepolster im Werkzeug aus, um dessen Volumenkontraktion auszugleichen. Sie ist der absolute Großverbraucher unter den Maschinenachsen: mit dem Dosiervorgang als größtem und dem Einspritzen als zweitgrößtem Energieschlucker.
Doch letztlich schlucken alle fünf Grundachsen unserer Spritzgießmaschine Energie und sind Kandidaten für Sparmaßnahmen – Werkzeugbewegung, Auswerfer und Kernzüge ebenso wie Düsenanlage oder Einspritz- und Dosiereinheit. Nehmen wir nacheinander die Antriebsquellen unter die Lupe:
Da wäre die Ölhydraulik, die ein E-Motor über eine Pumpe antreibt. Das heißt, alle linearen und drehenden Bewegungen der Maschine werden über Drücke und Geschwindigkeiten von Ölströmen realisiert. Voilà, wir haben eine hydraulische Maschine! Der wir zugestehen wollen, dass sie für den Formschluss eine vollhydraulische Schließeinheit oder als Variante einen hydraulisch angetriebenen Kniehebel haben kann.
Um bei ihr Energie einzusparen, wird man folgende Energie-knauserigen Antriebskomponenten in Erwägung ziehen:
  • einen E-Motor für den Pumpenantrieb mit höherem Wirkungsgrad (bis etwa 95 %) oder
  • einen frequenzgeregelten Servomotor, den man in den Ruhephasen herunterfahren kann. Der braucht dazu allerdings den passenden Zyklus, in dem er sich solche Ruhephasen leisten kann, und
  • Regelpumpen mit Proportionalventil und dadurch elektronisch gesteuertem Druck und Förderstrom.
Der effektivste Schritt hin zum Energiesparen ist aber der Einsatz eines elektrischen AC-Servomotors für die Schneckenrotation, den Plastifizier-/Dosierantrieb – womit wir schon bei den Hybridmaschinen angelangt sind.
Denn innerhalb eines Zyklus ist der Dosiervorgang immer derjenige Verbraucher mit dem größten Appetit auf Strom, egal ob langsamlaufende, technische oder schnelllaufende Konsumartikel produziert werden. Und ein E-Motor muss es deshalb sein, weil er seine Kraft nahezu verlustfrei auf die Schnecke überträgt und weil die Spritzgießmaschine mit ihm fast über den gesamten Zyklus plastifizieren kann, was die Zykluszeit verkürzt. Er agiert also unabhängig von der Hydraulik und gleichzeitig mit höherem Wirkungsgrad.
Zwischenzeitlich bietet fast jeder Motorenhersteller auch Direct-Drive-Lösungen an, bei denen der E-Motor die Schnecke direkt in Drehung versetzt: Die Spritzgießmaschine erspart sich das Getriebe, wird leiser und ihr Verbrauch wird niedriger. Und es gibt weniger Verschleiß als bei der Kombination Getriebe plus E-Motor.
Nach so viel Sparerfolg durch die Elektrizität bietet es sich natürlich an, die Spritzgießmaschine komplett unter Strom zu setzen und damit noch mehr zu sparen. Und schon sind wir bei der (voll)elektrischen Maschine: Weil eben die elektrischen (und die hybriden) Achsen dank ihres höheren Gesamtwirkungsgrades grundsätzlich sorgsamer mit Energie umgehen als die hydraulischen. Und zusätzlich liegt die Vollelektrische in punkto Präzision klar vorn, also bei Konstanz, Reproduzierbarkeit und Zuverlässigkeit.
Verschiedene Hersteller geben als Einsparpotential bis zu 60 % gegenüber vergleichbaren hydraulischen Maschinen an. Dabei spielt es eine Rolle, dass in den Zyklus-Totzeiten die elektrischen Verbraucher eben nichts konsumieren.
Das Unangenehme daran: Der technische Mehraufwand hat natürlich seinen Preis, der Satz „präzise, aber teuer“ gilt bis auf Weiteres für vollelektrische Spritzgießmaschinen. So bleibt ihr Einsatz vorerst auch meist auf technische Präzisionsformteile beschränkt. Es ist aber abzusehen, dass sich mittelfristig die Preisdifferenz zwischen hydraulischen und elektrischen Maschinen verringern wird.
Und noch einen Vorbehalt gibt es gegen die Voll-Elektrifizierten, wenn auch immer seltener geäußert: ob sich die Gebrauchsfähigkeit und Prozesssicherheit auf Dauer bestätigt im Vergleich zu den jahrzehntelang bewährten Hydraulischen? Mancher Verarbeiter fürchtet auch teure Ersatzteile: Die Spindel eines E-Antriebs ist eben teurer als die Dichtung eines Hydraulikzylinders. Man kann sie aber auf lange Lebensdauer auslegen, wenn man ihr Belastungsmuster kennt, etwa beim Einspritzvorgang.
Erinnern wir uns daran, was Thomas Breiden sagte: Die Anwendungsfälle müssen differenziert betrachtet werden. Bei technischen Teilen wählt man eher die vollelektrische und bei Schnelllaufteilen eher die hybride Lösung, weil bei letzteren hohe Einspritzgeschwindigkeiten mit hohen Beschleunigungswerten gebraucht werden, die sich elektrisch so nicht realisieren lassen: Das heißt, man spritzt hydraulisch ein und treibt alle anderen Achsen elektrisch oder kombiniert an.
Eine besonders effiziente Sparmöglichkeit bei der vollelektrischen Spritzgießmaschine ist bisher noch unerwähnt – das Ausnutzen der Bremsenergie. Aus den Bremsvorgängen der schließseitigen E-Motoren lässt sich elektrische Energie zurückgewinnen und zwischenspeichern – oder direkt zu den anderen Verbrauchern leiten, beispielsweise zum Drehen der Schnecke für die Plastifizierung.
Die Netstal-Maschinen AG, Näfels, Schweiz, kann dazu schwarz auf weiß Auskunft geben: „Bei Vergleichsversuchen stellen wir in der Regel fest, dass sich 30 bis 50 % des Verbrauches einer vollhydraulischen Maschine einsparen lassen. Je nach Zyklus, Materialanteil der Herstellkosten und Peripherie (wie zum Beispiel Reinraum) ergibt sich hieraus eine Kostenreduzierung von bis zu 20 %.“
Die beim Plastifizieren benötigte Wärmemenge stammt lediglich zu etwa 15 % vom Beheizen des Plastifizierzylinders mit Keramikheizbändern. Der Rest entsteht als Friktionswärme beim Scheren des Materials durch die Schnecke. Dennoch schätzt die Krauss-Maffei Kunststofftechnik GmbH, München, den Spareffekt hoch ein, der sich beim Beheizen des Schneckenzylinders über Erdgas-Ringelemente ergibt: Die Stromkosten sollen sich nach eingehenden Vergleichen um fast 50 % senken lassen.
Kühlwasser ist eine teure Angelegenheit, weil es besonders im Sommer aufwendig erzeugt werden muss, zum Beispiel über Kühltürme (Frischwasser ist zu teuer). Deshalb darf dieser Posten in der Energiebetrachtung auf keinen Fall fehlen. Nota bene: Die Vollelektrische braucht kein Kühlwasser für die Hydraulik, weil sie keine hat. Trotzdem verursacht sie (geringere) Kühlkosten für die E-Motoren: Weil man sie zweckmäßigerweise mit Wasser kühlt, um Luftwirbel zu vermeiden, die durch Kühlluftströme entstehen und den Prozess stören können.
Es lohnt sich, auch die Prozesse selbst näher zu betrachten. Die Battenfeld Kunststoffmaschinen Gesellschaft m.b.H, Kottingbrunn/Österreich, nennt in diesem Zusammenhang mehrere innovative Verfahren, die zu Kosteneinsparungen führen. Das Charakteristische an ihnen: es sind One-Shot-Lösungen. Beim Hinterspritzen von ins Werkzeug eingelegten Folien oder Dekoren etwa entstehen in nur einem Arbeitsgang – und damit energiesparend – Formteile mit hochwertigen Oberflächen.
Oder das S-FIT-Verfahren: Auf der K 2007 wird auf dem Stand von CeraCon, Weikersheim, das Einbringen von PU-Schaum als Dichtung im Werkzeug zu sehen sein: Die Restwärme des Kunststoffs wird verwendet, um den PU-Schaum zu generieren.
Von diesen Verfahren ist es nur noch ein Schritt bis zur energie-effizienten Fertigungszelle: So hat die Arburg GmbH & Co. KG, Loßburg, im vergangenen Jahr ein Maschinenkonzept zur vollautomatischen Herstellung eines Tischtennisschlägers realisiert, bei dem alle Verfahrensschritte in einer Fertigungszelle realisiert sind: Zwei-Komponenten-Spritzgießen einer Hart-Weich-Kombination, Montage, Ultraschallschweißen.
Die Spritzgießmaschinenhersteller haben das Energiethema längst zum Marketinginstrument gemacht: Sie bieten eine Beratung an, bei der alle Verbrauchsdaten der Spritzgießmaschine erfasst werden, und erstellen darauf aufbauend einen Maßnahmenkatalog für ein Energiesparprogramm. Krauss-Maffei setzt dabei einen „Energie-Optimierer“ ein. Durch sein kluges Management von Pumpenantriebsmotoren bis 30 kW soll er den Stromverbrauch um mindestens 15 % senken können.
Klaus Diebold Freier Fachjournalist in Nürnberg
Gasheizung für Zylinder halbiert Stromkosten

Kleine Schritte zu weniger Verbrauch

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NACHGEFRAGT

Die Umweltdiskussion hat auf der IAA hohe Wellen geschlagen – wie sieht’s damit in der Kunststoffverarbeitung aus?
Da steht die Verringerung des Energieverbrauchs im Vordergrund, weniger Energie heißt auch weniger Kosten.
Was ist denn dafür bisher getan worden?
Mit dem Einsatz von hybriden und elektrischen Maschinen ist bereits ein wichtiger Lösungsschritt gemacht – nicht allein wegen des Energieverbrauchs, auch wegen der höheren Prozesssicherheit der Maschinen.
Und wie wird die weitere Entwicklung aussehen?
Das Thema ist ganzheitlich zu sehen: Auch der Energieaufwand für Kühlwasser und Heizung muss betrachtet werden. Ein weiterer, effizienter Ansatz ist die Rückgewinnung von Energie aus den Bremsvorgängen der schließseitigen E-Motoren, wie sie seit acht Jahren in der Schnelllauf-Variante unserer hybriden Elexis genutzt wird.

Kosteneffizienz
Energiespareffekte von 30, 40 und 50 % – das muss jeden Betrieb interessieren, der seine Spritzgießmaschinen im Dauereinsatz hat, wie es sich gehört. Erstaunlich viele Ansätze gibt es: von sparsameren Elektro-Antrieben, möglichst ohne Getriebe, über die Erdgas-Beheizung des Plastifizier-Zylinders bis hin zur Bremsenergie-Rückgewinnung. Genaues Hinschauen und Kalkulieren lohnt allemal. Denn Energie, die nicht verbraucht wird, kostet auch kein Geld.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 4
Ausgabe
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