Seit einem halben Jahr lässt der Rollenhersteller Torwegge seine Produkte von der Fachhochschule Bielefeld prüfen. Denn die Räder sollen halten, was den Kunden versprochen wird.
Von unserem Redaktionsmitglied Uwe Böttger
Wir sind schließlich nicht der Marktführer“, unterstreicht Siegfried Wegner. „Wenn wir neue Rollen auf den Markt bringen, die nicht halten, werden wir vom Wettbewerb zerrissen.“ Wegner ist seit mehr als 30 Jahren Prokurist bei dem Rollenspezialisten Torwegge in Bielefeld. Er kennt die Unkenrufe der Konkurrenz, wenn die Kunden reklamieren: „Die Rollen von Torwegge sind mal wieder weggeknickt – heißt es dann“, so Wegner.
Alle Hersteller in dieser Branche haben das gleiche Problem. Sie wissen nicht, wo und wie sie ihre Produkte richtig austesten sollen. Entsprechende Prüfstände für Radrollen haben nur eine Hand voll Firmen in Deutschland. Früher war das für Torwegge kein Thema. Da war der Bielefelder Mittelständler ein reines Handelshaus. Inzwischen hat der Betrieb mit seinen 65 Mitarbeitern ein eigenes Rollenprogramm entwickelt. Mehr als 1000 Kombinationen aus Durchmesser, Lager, Belag, Gehäuse und Felge haben die Westfalen im Angebot. Und natürlich wollen die Kunden wissen, was das Rad aushält und wie lange es läuft – auf Beton, Teppichboden oder Rasen. Wegner: „Wir hatten keine andere Wahl, als unsere Produkte beim Wettbewerb testen zu lassen. Aber das machen ja alle.“ Die Sache hatte einen Haken. Brachte die Konkurrenz gerade ein vergleichbares System auf den Markt, schnitten die Rollen von Torwegge schlechter ab.
Vor knapp zwei Jahren zeichnete sich eine Lösung ab. Professor Ralf Hörstmeier von der Fachhochschule Bielefeld klopfte bei Torwegge an. Der Dozent für industrielle Bewegungstechnologie trug sich schon seit geraumer Zeit mit dem Gedanken, einen Prüfstand zum Testen von Radrollen zu entwickeln und war auf der Suche nach Partnern. Er kannte die Szene und wusste, dass hier Bedarf bestand: „Das Problem um die Rolle ist groß.“ Im Rahmen mehrerer Diplomarbeiten hatte Hörstmeier das Thema gründlich aufbereitet, Konzepte entwickelt und kam „mit einem gedanklichen Vorlauf“ zu Siegfried Wegner.
Es stellte sich bald heraus, dass es nicht nur um das Prüfen der Räder geht. In allen Bereichen, wo Mitarbeiter einen Wagen anschieben müssen, wo irgend etwas auf Rollen bewegt wird, tauchen Fragen auf: Wieviel Kraft ist erforderlich, um einen leeren Kommisionierwagen auf Betonboden anzuschieben? Wieviel größer ist die Kraft, wenn er mit 100 kg beladen ist? Wie schwergängig läuft das Vehikel um eine Kurve? Wie sieht das Ganze auf einem Teppichboden aus? „Die Kunden wollen klare Antworten“, versichert Wegner. „Denen können sie nicht mit Vermutungen kommen.“
Die Anfrage der Fachhochschule stieß bei dem Bielefelder Unternehmen auf offene Ohren. Hörstmeier kam auch nicht mit leeren Händen. Ihm waren bereits Mittel vom Bundesministerium für Forschung und Wissenschaft für das Projekt zur Verfügung gestellt worden. Mit Hilfe einer weiteren finanziellen Spritze von Torwegge konnten der Professor und seine Gehilfen die gedankliche Vorarbeit in die Praxis umsetzen.
Ein halbes Jahr später standen in der Fachhochschule nicht weniger als drei Prüfstände für die ersten Testläufe bereit. Hörstmeier: „Das ging sehr schnell bei uns. Ich kenne Firmen, die sitzen drei Jahre an der Entwicklung eines Prüfstandes. Aber wir haben natürlich auch mehr Kapazitäten frei als die Hersteller.“ Bei der Entwicklung der Prüfstände haben sich Hörstmeier und seine Studenten in erster Linie an dem Produktspektrum von Torwegge orientiert: „Wir haben versucht, ein modulares Konzept zu entwickeln, das breit gefächert ist.“ Das war schwer genug, denn zu den Prüflingen zählen kleine Rollen für Möbelstücke ebenso wie die Räder von Staplern. „Da vergleicht man schnell Äpfel mit Birnen“, warnt der Professor.
Ausgangspunkt der Prüfprozedur ist eine Maschine für statische Untersuchung. Hier werden Aussagen über die statische Tragfähigkeit sowie das statische Verhalten von Rädern und Rollen gesammelt. Die Prüflinge werden mit maximal 6000 kg beaufschlagt, entweder kurz oder kontinuierlich über Tage. Die Belastung lässt sich über Hydraulikzylinder steuern. Hörstmeier: „An diesem Gerät werden die Grenzen des Produkts sichtbar.“ Die sind vor allem dann interessant, wenn der Hersteller zum Beispiel neue Werkstoffe einsetzen will. Dann muss er wissen, wie sich die Muster in der Praxis verhalten, wo die Knackpunkte liegen.
Nach der statischen Prüfung landen die Räder im so genannten dynamischen Prüfstand, wo es richtig zur Sache geht. Die Maschine besitzt eine rotierende, kreisförmige Lauffläche auf einer horizontalen Ebene. Im Test wird die Rolle mit maximal 6000 kg belastet. Dabei wird die Kraft bis 3000 kg mit einer realen Masse erzeugt. Zusätzlich erfolgt eine hydraulische Verstärkung. Bei einer maximalen Geschwindigkeit von 16 km/h fährt Hörstmeier an dieser Maschine mitunter einen heißen Reifen – im wahrsten Sinne des Wortes. So manche Rolle von Torwegge hat auf dieser Platte ihre letzte Runde gedreht.
Aber damit nicht genug. Um die dynamische Grenzbeanspruchung zu ermitteln, wurden zusätzlich zwei Schwellen in die Lauffläche eingebaut. „Wir erfassen die Beschleunigung der Rollen, wenn sie auf das Hindernis treffen“, berichtet der Professor. Auch die Bildverarbeitung ist an dieser Stelle bereits im Einsatz. Mit Hilfe einer High-Speed-Kamera, die 8000 Bilder/s liefert, lassen sich alle Bewegungen beim Auftreffen auf die Schwelle auflösen. Das Materialverhalten wird en Detail sichtbar.
Die letzte Station des prüftechnischen Triathlons nennt sich „System Bewegungswiderstand“. Hier lassen sich Aussagen über Abnutzungsverhalten und Verschleißkriterien der Produkte gewinnen. Roll-, Lager-, Lenk- und Anfahrwiderstand sind nach dem Test in übersichtlichen Grafiken zusammengefasst. Ebenso lassen sich Daten über das Abriebsverhalten unterschiedlicher Werkstoffpaarungen ermitteln.
Nach Ansicht von Hörstmeier steht das Projekt erst am Anfang: „Unsere Prüfstände entsprechen der aktuellen, europäischen Norm und beschreiben somit einen Qualitätsstandard in Europa. Wer seine Produkte bei uns testen lässt, hat einen klaren Wettbewerbsvorteil. Das wollen wir rüberbringen.“
Bis dahin ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Siegfried Wegner: „In Mailand kenne ich einen Prüfstand, der sieht immer noch so aus wie vor 30 Jahren, als ich ihn das erste Mal gesehen habe. Mit heutigen DIN-Vorschriften hat der nichts mehr zu tun. Aber die Italiener messen auf dem Modell – oder lassen es gleich bleiben.“
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