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Nur nicht zum Schornstein hinaus

Industrielle Abwärmenutzung rechnet sich auch für KMU
Nur nicht zum Schornstein hinaus

Energieeffizienz | Bei fast allen thermischen oder mechanischen Prozessen in Industrie und Gewerbe entstehen Wärmeverluste. Diese Abwärme kann oftmals in andere Prozesse integriert werden – und so lässt sich letztlich eine Menge Energie sparen. §

Autor: Sabine Koll

Die Bilanz kann sich sehen lassen: Um knapp 1,7 Mio. kWh pro Jahr haben die Roth Werke in ihrem Stammsitz im hessischen Dautphetal-Buchenau die Energiekosten gesenkt. Dadurch spart der Hersteller von Energie- und Sanitärsystemen im Jahr gut 150 000 Euro und 590 t CO2 ein. Möglich ist dies durch die Nutzung von Prozessabwärme für Heizung und Kühlung in der 3300 m2 großen Produktionshalle: Hier entstehen im Blasformverfahren große, bis zu 3000 l fassende Öltanks aus Polyethylen.

„Da wir als Emas-zertfiziertes Unternehmen ein Energiemanagement-System betreiben, sind wir ständig auf der Suche nach Energieeinsparungen“, erklärt Volker Hedderich, Energiemanager bei den Roth Werken. Außerdem stellt das Unternehmen, das weltweit rund 1100 Mitarbeiter beschäftigt, selbst Systeme für erneuerbare Energien wie Solarkollektoren und eben Wärmepumpen her. „Da setzen wir unsere Produkte natürlich auch im eigenen Haus ein“, so Hedderich, der zunächst Leiter Instandhaltung war, bevor er eine Weiterbildung zum Energiemanager absolvierte.
Bereits als Leiter der Instandhaltung hatte er sämtliche Maschinen und Anlagen mit Stromzählern ausgestattet, sodass er bereits vor dem Abwärme-Projekt genau wusste, wo die größten Energieverbraucher waren: Der Heizölbedarf für die Halle sowie der Verbrauch der Blasformmaschinen – und hier insbesondere für Kühlzwecke.
„Am Produktionsprozess selbst können wir nicht viel verändern, der muss einfach stabil laufen“, sagt Hedderich. „Deshalb haben wir uns auf die Heizung und das Kühlwasser konzentriert.“ Beides konnte man mit der Abwärmenutzung „erschlagen“:
In den Blasformmaschinen wird der Kunststoff bei rund 220 °C plastifiziert. Das Werkzeug muss vor der Entnahme der Öltanks gekühlt werden. Dafür wird das Kühlwasser heute mit einer Temperatur von 6 °C zu und mit 12 °C zurückgeführt.
Heizung mit Sole/Wasser-Wärmepumpen
Dieses Kühlwasser wird drei Sole/Wasser-Wärmepumpen über drei externe Wärmetauscher zugeführt und dort auf ein höheres Temperatur-Niveau von rund 50 °C gehoben, sodass die Produktionshalle damit beheizt werden kann. Dadurch konnte einer der ursprünglich zwei ölbefeuerten Heizkessel abgebaut werden. Der noch vorhandene Ölkessel wird heute nur noch als Spitzenlastkessel eingesetzt. So ist die Ölheizung nur außerhalb der Produktion, bei extremer Kälte oder bei Ausfall der Wärmepumpen in Betrieb.
Ein guter Nebeneffekt: Durch den Energieentzug aus dem Prozesswasser für Heizzwecke steht wiederum 6 °C kaltes Wasser für den Fertigungsprozess zur Verfügung. Dadurch wird die Kältemaschine für die Blasformmaschinen mit einer Leistung von 1,2 MW um circa 21 % entlastet.
„Wärme spielt im industriellen Produktions- und Verarbeitungsprozess eine entscheidende Rolle“, sagt Annegret-Cl. Agricola, Leiterin des Bereichs Energiesysteme und Energiedienstleistungen der Deutschen Energie-Agentur (Dena), die den Roth Werken für das Projekt im vergangenen Jahr das Label „Best Practice Energieeffizienz“ verliehen hat.
Laut Dena haben Industrieunternehmen in Deutschland 2013 rund 64 % (460 TWh) ihres Energieverbrauchs für die Erzeugung von Prozesswärme aufgewendet. „Ein wesentlicher Teil der erzeugten Energiemengen geht jedoch häufig in Form von Abwärme verloren“, so Agricola. Das Energieeinsparpotenzial der Nutzung industrieller Abwärme wird auf etwa 125 TWh im Prozesstemperaturbereich ab 60 °C geschätzt. Dies entspricht einem Energiekosteneinsparpotenzial von circa 5 Mrd. Euro.
Wie eine Umfrage der Dena ergab, kennt aber nur die Hälfte der Unternehmen die eigenen Abwärmepotenziale. Insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) fällt es demnach schwer, diese Potenziale zu identifizieren und zu erschließen. Kein Wunder, so Hedderich: „Viele kleinere Unternehmen verfügen nicht über die personellen Ressourcen, um solche Projekte zu stemmen. Und die Kosten für externe Energieberater belaufen sich leicht auf mehrere Tausend Euro. Und mit einem von ihnen erstellten Konzept hat man noch keinen Euro Energie gespart.“ Daher unterstützt die Bundesregierung KMU seit Jahresbeginn bei der Beratung hinsichtlich Abwärmenutzung – und auch bei Maßnahmen für die Umsetzung (siehe Infobox S. 41).
Auch Druckluftanlagen geben Abwärme
Dabei gibt es ganz unterschiedliche Abwärmequellen, die Unternehmen nutzen können: Sie reicht von Produktionsanlagen und Motoren über Prozesswärme und Abwässer, bei denen Abwärme entsteht, über Druckluftanlagen bis hin zu Kälteanlagen oder Kühlsystemen. Letztere Form der Abwärmenutzung – wie sie auch die Roth Werke einsetzen – ist nach Angaben des Bayerischen Landesamts für Umwelt (LfU) besonders wirtschaftlich: Abhängig von der Art der Abwärmenutzung rechne sich die Wärmerückgewinnung bereits ab 1 kW bei direkter Einbindung der Wärmeverbraucher in das Abwärmesystem.
Auch die Drucklufterzeugung birgt hohes Potenzial: Hier lassen sich laut LfU bis zu 90 % der elektrischen Antriebsleistung als Abwärme nutzen – entweder für die Heiz- oder Brauchwasser-Erwärmung oder aber für die direkte Luftheizung durch Abluft des Druckluft-Verdichters. Als Faustformel gilt dabei, dass sich die Abwärmenutzung ab circa 5 kW elektrischer Antriebsleistung der Druckluft-Kompressoren und mehr als 2000 Betriebsstunden pro Jahr in der Heizperiode rechnet.
Doch nicht nur für Heizzwecke und Werkzeugkühlung wie im Fall des hessischen Kunststoffverarbeiters lässt sich die Abwärme nutzen. Bei der Oberflächentechnik (OFT) Döbeln versorgt seit Mai 2014 eine Kombination aus zwei Blockheizkraftwerken und zwei Adsorptionskältemaschinen die zwölf energiehungrigen Galvanik-Automaten mit Strom, Wärme und Kälte. Solche Systeme werden auch Kraft-Wärme-Kälte-Kopplungen genannt. Dabei wird die Abwärme der Blockheizkraftwerke genutzt, um warmes Wasser zu erzeugen, welches dann in die Adsorptionskältemaschinen eingeleitet wird und diese quasi antreibt. Durch den Adsorptionsprozess wird das warme Wasser in Kälte umgewandelt, ohne dass für diesen Prozess elektrische Energie verbraucht wird. Die Kälte wird in Form von kaltem Wasser zur Verfügung gestellt.
Die Adsorptionskältemaschinen von Invensor konnten die alten Kompressionskältemaschinen ersetzen, weil die Blockheizkraftwerke des Unternehmens Potenzial für zusätzliche Laufzeit hatten und somit zusätzliche Wärme entsteht. Der Vorteil der Adsorptionskältemaschinen: Sie arbeiten fast ohne Strom arbeiten und nutzen als Kältemittel reines Wasser.
Die Abwärme der Blockheizkraftwerke wird nun primär dazu verwendet, Kaltwasser zu erzeugen, was ihre Laufzeit signifikant erhöht hat. Rund 5000 Betriebsstunden pro Jahr werden die Adsorptionskältemaschinen im Einsatz sein, denn OFT Döbeln braucht das Kaltwasser quasi 24 Stunden am Tag, da im Dreischichtbetrieb gearbeitet wird. Bei niedrigen Außentemperaturen kann das System mit freier Kühlung arbeiten, sodass die Wärme aus dem Blockheizkraftwerk dann wie gewohnt direkt zur Verfügung steht. Das gekühlte Wasser wird computergesteuert mit einer Temperatur zwischen 15 und 17 °C zu den Galvanikbädern geleitet, die Rücklauftemperatur beträgt je nach Betriebsart zwischen 23 und 25 °C. Der Clou: Um die Adsorptionskältemaschinen anzutreiben, wird nicht die Abwärme von den Blockheizkraftwerken direkt genutzt, sondern der bereits über andere Prozesse auf 70 °C gekühlte Rücklauf. Dies wirkt sich positiv auf Wartungszyklen und Lebensdauer der Blockheizkraftwerke aus. Um Spitzenlasten zu überbrücken, wurden direkt neben den Adsorbern ein Kalt- und ein Warmwasserpufferspeicher installiert. Aus diesen beiden Behältern wird dann die Wärme und Kälte zugeführt. Geschäftsführer Olaf Hawlitschek: „Die Technologie kann für die Galvanikbranche die Zukunft bedeuten.“
Allerdings gibt es bei der Abwärmenutzung auch einige Fallstricke zu beachten: „Die Aufwendungen für die Anlagentechnik zur Wärmerückgewinnung führen zu teilweise langen Amortisationsdauern“, betonen Experten vom Fraunhofer ISI in ihrer Studie „Industrielle Abwärmenutzung“. Die Aufwendungen steigen demnach insbesondere an, wenn spezielle Anforderungen bezüglich der Temperatur- und Korrosionsbeständigkeit gestellt oder wenn große Wärmetauscher für Niedertemperaturanwendungen benötigt werden.
Auch bei den Roth Werken war die Amortisationsdauer der Investitionen in Höhe von 250 000 Euro ein Thema: „Alles, was sich nicht innerhalb von drei Jahren rechnet, ist zum Scheitern verurteilt. Unsere Investition hat sich indes in weniger als zwei Jahren amortisiert“, freut sich Hedderich. Mit umfangreichen Dämmmaßnahmen für die Produktionshalle hätte er es schwerer gehabt, die Controller zu überzeugen.
Auch das Fraunhofer ISI mahnt, statt der Abwärmenutzung zunächst nach Möglichkeiten zu suchen, den Energiebedarf im Unternehmen zu reduzieren: „Die Abwärmenutzung kann leicht dazu führen, dass Ineffizienzen in Prozessen verdeckt und Verluste verstetigt werden, da jede spätere Verbesserung auch die verfügbare Abwärmeleistung mindert“, heißt es in der Studie.
Auf das Gesamtsystem kommt es an
Nach Erfahrungen von Hedderich reicht es außerdem nicht, alleine an der Stellschraube Abwärmenutzung zu drehen: „Man muss sich immer das Gesamtsystem anschauen“, so sein Rat. Bei den Roth Werken waren die Wärmepumpen der Knackpunkt: Deren Effizienz hängt entscheidend von der Vorlauftemperatur des Heizsystems ab. Denn der Verdichter der Wärmepumpe muss mit steigender Heizungswassertemperatur bei konstanter Quellentemperatur mehr Arbeit verrichten – und verbraucht dabei mehr Strom. Deshalb hat das Unternehmen das System so ausgelegt, dass der benötigte Wärmebedarf bei möglichst geringen Vorlauftemperaturen gedeckt werden kann. Dabei konnte die Vor- und Rücklauftemperatur von 90/70 °C auf 50/40 °C gesenkt werden.
Doch damit nicht genug: In dem Zuge wurden auch 29 Lufterhitzer durch energieeffizientere Modelle ausgetauscht. Ein hydraulischer Abgleich des Systems wurde durchgeführt, damit die Lufterhitzer mit gleichem Volumenstrom und gleicher Temperatur heizen. Schließlich wurden die Rohre in der Halle gedämmt und die Lüftungsklappen in der Decke abgedichtet. Dadurch wird weniger Wärme abgegeben und der Heizenergiebedarf fällt geringer aus. •
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