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Papierloses Picken reduziert Falschlieferungen und Fehlbestände

Kommissionieren: Hohe Zeitersparnis durch mobile Erfassungsgeräte, Light- und Voice-Systeme
Papierloses Picken reduziert Falschlieferungen und Fehlbestände

Papierne Picklisten sind out. Wer auf der Höhe der Zeit ist, stattet seine Kommissionierer im Lager mindestens mit mobilen Erfassungsgeräten aus. Oder gleich mit Pick-by-voice-Systemen: Die Picker haben beide Hände frei, um auch unhandliche Teile einzusammeln, und sprechen die Daten fürs Lagerverwaltungssystem ins Mikro.

Von unserem Redaktionsmitglied Thomas Preuß thomas.preuss@konradin.de

Falschlieferungen? Fehlbestände? Und das bei einem Unternehmen wie der Leica Camera AG, weltbekannt für ihre Kameras – bei Profis wie bei Hobbyfotografen? Logistikleiter Dieter Mandler dürfte bei diesem Gedanken noch heute ein Schauer über den Rücken laufen. Er wollte deshalb „auf Picklisten in Papierform ganz verzichten und die Arbeitsabläufe vereinfachen“: Schon vor Jahresfrist hat Leica auf ein mobiles Erfassungssystem beim Komissionieren der Produkte und den Ersatzteilen umgestellt.
Wie Leica bis zum letzten Sommer, machen es viele heute noch: Kundenaufträge werden an einem manuellen Arbeitsplatz zu Transportaufträgen zusammengefasst, diese Transportaufträge auf Picklisten gedruckt. Ein Mitarbeiter greift sich eine Liste, geht durchs Lager, sucht die jeweiligen Produkte zusammen („pickt“ sie aus den Regalen) und schließt den Auftrag ab. Die Vorgehensweise funktioniert, wenn der Mitarbeiter erfahren ist und aufmerksam arbeitet. Ansonsten ist sie anfällig für Fehler, für falsch gepickte Produkte. Die Folge sind Fehlbestände im Lager und verärgerte Kunden, die ihre Sendung reklamieren müssen. Der Kommissionierer läuft Wochen später erneut durchs Lager, um den Auftrag diesmal richtig zusammenzustellen. Die Mehrarbeit muss nicht sein.
Die Lösung, für die sich Leica entschied, ist freilich nicht neu. Das Konzept stammt von der Bütema Daten Elektronik GmbH in Bietigheim-Bissingen und ist an das SAP-System R3 angebunden. Alle Aufträge werden in einer Datenbank verbucht, was den Mitarbeitern erlaubt, sie einzusehen, zu sortieren oder nach bestimmten Kriterien zu filtern. Die Kommissionierer arbeiten mit mobilen Geräten, die sowohl Erfassungsgerät (Scanner) als auch Übertragungseinheit sind. Auf dem Display erkennen sie, welche Artikel sie für den jeweiligen Auftrag entnehmen müssen. Der Mitarbeiter läuft zu den entsprechenden Lagerplätzen, entnimmt die Produkte und scannt die Barcodes. Schöner Nebeneffekt ist die automatische Bestandskontrolle. Sind alle Teile eingesammelt, wird der bearbeitete Auftrag an das SAP-System zurück übertragen, der Drucker erstellt die entsprechenden Lieferscheine. Leica-Mann Mandler kann sich freuen: Die Arbeitsabläufe sind einfacher geworden und einige Mitarbeiter, die sich früher auf das Kontrollieren der Transportaufträge konzentriert haben, können jetzt in anderen Bereichen eingesetzt werden.
Mit Datenfunk lassen sich auch Stapler ausrüsten. Ein entsprechendes Logistikkonzept hat kürzlich der Hamburger Elektro-Großhändler Kluxen, der zur Würth-Unternehmensgruppe gehört, eingerichtet. Und weil die Kapazitäten im alten Lager nahezu erschöpft waren, wie Siegfried Hartmann, der Prokurist und Logistikleiter von Kluxen, zu Protokoll gibt, hat man gleich ein neues Distributionszentrum gebaut. „Das bietet uns eine größere Flexibilität für die Auftragsbearbeitung.“ Außerdem lasse sich nun beleglos schnell und zuverlässig kommissionieren. Bestandssicherheit, ein papierloser Materialfluss und kürzere Auftragsbearbeitungszeiten waren auch für Kluxen die Vorteile der Umstellung. Aufträge, die bis 18.30 Uhr hereinkommen, werden bis 7.00 Uhr morgens ausgeliefert.
Aufträge werden beleglos viel schneller bearbeitet
„Die Gewinnmaximierung liegt in der Logistik“, weiß auch Helmut Niemeyer, Prokurist und Leiter des Systemzentrums Nord der Hamburger Still GmbH. Still ist bei Kluxen für das Logistikkonzept verantwortlich, das Materialfluss-Management-System MMS. Elf Flurförderzeuge gehören dazu, die alle mit Datenfunkterminals ausgerüstet sind. Über das Materialfluss-Management-System werden die Stapler und die Mitarbeiter koordiniert, die mit ihren mobilen Erfassungsgeräten (Handhelds) in der Fachbodenregal-Anlage aktiv sind.
Dort findet nach wie vor viel Handarbeit statt: Leere Behälter rollen an den Identifikationspunkt der Förderanlage, wo der Barcode gescannt und die Daten dem MMS übergeben werden. Das Staplerleitsystem ermittelt den nächsten Auftrag nach Priorität und spätester Abarbeitungszeit und ordnet den Behälter dem Auftrag zu. Der leere Behälter wird gestartet, woraufhin das Staplerleitsystem der Förderanlage dessen Ziel mitteilt. Am angegebenen Bahnhof scannt ein Mitarbeiter die Box und stellt sie auf seinen Kommissionierwagen. Auf diese Weise kann er bis zu drei Behälter aufnehmen. Das MMS führt den Picker dann durch den Kommissionierbereich. Parallele Kommissionierungen sind an der Tagesordnung.
Auf dem Handheld werden die zu bearbeitenden Fächer angezeigt. Der Mitarbeiter scannt die Fächer, worauf die jeweils zu entnehmende Artikelmenge auf dem Display erscheint. Der Picker entnimmt die Ware und legt sie in den Behälter. Durch erneutes Scannen, diesmal des Behälters, bestätigt er die Entnahme, bis alle Positionen abgearbeitet sind. Dann wird der Behälter über die Rollenbahnen zur Verpackung geschickt.
„Eigentlich brauchen die Mitarbeiter in der Fachbodenregalanlage drei Arme. Zwei zum Arbeiten und einen, um die Barcodes zu scannen“, sagt Gérard Lacher, Projektleiter bei Still. Weil es solche Mitarbeiter nicht gibt, entschied sich Kluxen für ein Handterminal, bei dem der Scanner am Ringfinger getragen wird.
Kluxens Logistikleiter Siegfried Hartmann freut sich nach der Umsetzung über eine
– höhere Transparenz im Lager,
– papierlose, schnelle und IT-gesteuerte Auftragsbearbeitung,
– durchgängige Materialverfolgung,
– Durchsatzsteigerungen,
– Reduktion von Kundenreklamationen und
– weniger Fehler.
Dennoch ist nicht alles Gold, was glänzt. Das sagt Detlef Spee, Abteilungsleiter Planung von Materialflusssystemen des Dortmunder Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik (IML). Beispielsweise könne beim Ablegen in die Behälter ein Fehler auftauchen, wenn die Box verwechselt werde. In anderen Fällen, wenn die Ware nicht mit einer Hand zu greifen ist, muss der Scanner wieder abgelegt werden, was Zeit kostet.
Als Lösung bieten sich Pick-by-voice-Systeme an. „Die Mitarbeiter tragen ein Headset und sind vernetzt, so dass sie über einen Kopfhörer Befehle empfangen und übers Mikro Befehle oder Zahlen sprechen können, die das System interpretieren kann“, erklärt Spee. Das Potenzial für solche Lösungen sei vor allem dort zu sehen, wo die Mitarbeiter ihre Hände benötigen oder sie nicht frei haben, etwa im Tiefkühlbereich. „Wer Handschuhe trägt, kann kaum kleine Tastaturen betätigen.“ Pick by voice ist auch deshalb sinnvoll, weil die Mitarbeiter beim Anfassen der Produkte schon einen Code ins Mikro sprechen können. Das spart Zeit.
Ein Einsatz-Beispiel ist der Eingang von Waren aus Asien, die nicht gekennzeichnet sind. Sollen die Teile in automatisierten Systemen weiter bearbeitet werden, müssen sie identifiziert sein, die Daten in eine Form gebracht werden, die die EDV verarbeiten kann. „Werden diese Informationen eingetippt“, sagt Detlef Spee, „müssen sich die Mitarbeiter immer zur Tastatur drehen.“ Das bedeutet Zeitverlust und eine hohe körperliche Belastung durch die ständige Drehbewegung im Lendenwirbelbereich. Auch, wenn die Objekte auf ein Förderband gegeben werden müssen, treten durch das Eintippen Unterbrechungen auf. „Wenn die Erfassung während der Bewegung ausgeführt wird, geht das schneller“, fasst Spee zusammen.
Ein Anbieter derartiger sprachgesteuerter Logistiksysteme ist die Psion Teklogix GmbH in Willich mit ihrem Speech-Net. Entwickelt wurde es vom amerikanischen Partner Syvox Corporation, Boulder, Colorado. Das sprecherunabhängige System kommuniziert mit dem Picker in Deutsch, Englisch, Französisch, Holländisch oder Spanisch. Erkannt wird die Sprache, nicht eine einzelne Stimme. Daher kann jeder Benutzer ein beliebiges Sprachterminal verwenden.
IML-Forscher Spee warnt aber vor falschen Vorstellungen über den Einsatz dieser Technik: „Die Systeme sind nicht mit einer Spracherkennung auf dem PC vergleichbar, die alle Wörter frei verarbeiten könnte.“ Der Anwender müsse die Prozesse in seinem Kommissioniersystem eindeutig strukturieren und die Befehle selbst definieren, die das System verstehen soll. „Das ist zu vergleichen mit der Definition des Dialogs, der auf einem Terminal oder Scanner angezeigt werden soll“, erklärt Spee. Schließlich muss es sich an die übergeordneten Informationssysteme anbinden lassen. „Pick by voice übermittelt nur die Informationen, die beispielsweise ein Lagerverwaltungsrechner nutzen kann.“
Während nach Ansicht Spees Scannersysteme ebenso ihre Berechtigung haben wie Pick by voice, sei im Vergleich zu den papiernen Picklisten klar: „Voice ist effizienter.“ Auch die Investitionskosten hielten sich in Grenzen. Zunächst werde nur ein Funknetz benötigt. „Wenn der Anwender das hat, ist es egal, ob er ein Scanner- oder ein Voice-System einbindet.“ Er sollte aber überlegen, ob er weitere Tätigkeiten im Gesamtprozess mit dem einen oder anderen System abwickeln könne.
Wenn sich mehrere Funktionsbereiche, wie Wareneingang, Kommissionierung und Staplerleitsystem, von einem System unterstützen lassen, dann habe der Anwender nur eine Art von Wartung und Service und nur einen Lieferanten. „Für Mittelständler ist das meistens sinnvoller, als drei verschiedene Systeme zu kaufen, nur weil sie für sich genommen die billigsten sind“, unterstreicht Spee. Bei den Betriebskosten könnte sonst eine böse Überraschung auftreten.
Gegenüber Papier sind in der Regel sowohl Leistungs- als auch Qualitätsvorteile auszumachen. „Allerdings“, gibt Detlef Spee zu, „haben wir im letzten Herbst eine Testinstallation begleitet, bei der sich zwar die Qualität verbesserte, aber die Leistung etwa gleich blieb.“ Die Kommissionierer leisteten ohnehin an die 300 Picks pro Stunde, besser gehe es kaum. „Aber die Fehler sind um 80 Prozent gesunken.“
Fehler zu senken, war auch die ursprüngliche Idee der Erfinder von Pick-to-light-Systemen. Hierbei signalisieren Lämpchen an den Regalplätzen den Kommissionierern, aus welchem Fach sie Teile für einen Auftrag entnehmen sollen. Der Picker quittiert direkt am Fach. Ein Anbieter solcher Systeme ist die ICS International AG in Neu-Anspach mit ihrem Pic-Rite. „Wir sprechen vor allem den Großhandel und Läger mit schnell drehender Ware an“, sagt Marketingleiter José da Silva. Und verspricht: „Weil hier auch keine Belege verarbeitet werden, können Firmen Steigerungsraten von bis zu 70 Prozent erzielen.“ Jede Entnahme eines Produktes wird durch die mitgelieferte Software erfasst, aufgezeichnet und an das Lagerverwaltungssystem übermittelt.
Solche Systeme haben nur einen kleinen Haken: „Wenn in einem Bereich, in dem Pick to light eingesetzt wird, mehrere Menschen arbeiten, dann sind die Befehle nicht eindeutig einer Person zuzuordnen“, warnt IML-Experte Spee. „Also ist auch nicht klar, wer das kommissionieren muss, was die Lämpchen angeben.“ Light-Systeme werden deshalb typischerweise in Durchlaufkanälen eingesetzt. Jeder Mitarbeiter hat dort seinen eigenen Pick-Bereich. „Alles, was da leuchtet, gilt für ihn und seinen Auftrag.“ Damit sei die Eindeutigkeit gewährleistet.
Bei Pick by voice oder auch terminal- und scannergeführten Systemen dagegen könnten, da ja die Information dem Kommissionierer direkt übermittelt werde, beliebig viele Picker durch ein Lager laufen. „Deshalb stehen die Systeme eigentlich nicht im Wettbewerb“ stellt Detlef Spee klar. „Wenn man ein großes System mit vielen Artikelplätzen, aber wenigen Kommissionierern hat, wird es zu Gunsten des Voice-Systems ausgehen.“ Wenn viele Kommissionierer an relativ wenigen Pickplätzen in Zonen, die den Kommissionierern zugeordnet sind, beschäftigt wären, sei Pick to light eher die richtige Wahl.
Zukünftig tragen die Picker ein Display vor den Augen
Das IML forscht derzeit an einer Hochleistungskommissionierung, die visionäre Technik einsetzen wird. Die Kommissionierzelle funktioniert nach dem Ware-zum-Mann-Prinzip, und die Picker sollen mit Head-up-Displays arbeiten. Sie tragen einen kleinen Bildschirm vor dem Gesicht, auf dem ihnen beispielsweise angezeigt wird, an welcher Stelle im Lager sich ein Produkt befindet, das sie abholen müssen, oder wo auf einer Palette ein Paket abgestellt werden muss, um den Platz optimal auszunutzen. Aber das ist noch Zukunftsmusik, nicht nur, weil noch niemand die richtigen Brillen liefern kann.
Einsatzbereiche der Spracherkennung
Die Vorteile der Spracherkennung (Pick by voice) liegen in einem papierlosen Informationsfluss und höherer Produktivität. Die Anlernzeiten sind kurz. Während in der Regel weniger Fehllieferungen an die Kunden rausgehen, profitieren die Mitarbeiter durch eine abwechslungsreichere Tätigkeit. Beispiele für Einsatzbereiche:
– Kommissionierung
Wer beide Hände braucht, kann parallel Text ins Mikro sprechen und spart Zeit.
– Warenein- und -ausgang
Produkte ohne Barcodes, Produkte in großen Mengen und sperrige oder unregelmäßig geformte Artikel lassen sich besser handhaben.
– Retourenabwicklung
Wenn Teile in die Hand genommen werden und die Spracheingabe synchron erfolgt, können nachfolgende Prozesse eher angestoßen werden.
– Inventur
Pick to voice erlaubt einen Real-time-Bestandsabgleich.
– Qualitätskontrolle
In der Fertigungskontrolle können Fehler, beispielsweise an lackierten Teilen, schneller ins System gesprochen als in einen PC eingegeben werden.
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