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Plötzlich zählen ganz andere Standortfaktoren

Ruhrwind: Neue Nutzung für die Halde
Plötzlich zählen ganz andere Standortfaktoren

Die erste größere Windenergie-Anlage des Ruhrgebiets läuft seit Oktober 1997 zur weitgehenden Zufriedenheit ihrer Betreiber. Ihre Investition rechnet sich, und der Wartungsvertrag sichert den reibungslosen Betrieb.

Klaus Vollrath ist Fachjournalist in Herne

Auf der 70 m hohen Bergehalde Hoppenbruch im nördlichen Ruhrgebiet läuft seit 1997 eine Windenergieanlage, die – als sie errichtet wurde – mit 1,5 MW Nennleistung die größte Anlage Deutschlands war. Auch wenn sie nicht ganz so viel Strom liefert, wie zunächst erwartet wurde, zeigen sich die Betreiber mit dem Ergebnis ihres Projektes heute zufrieden: Bezogen auf die Gesamtinvestition beläuft sich die Verzinsung in den vergangenen vier Jahren auf 11 %.
„Den Anstoß zu unserem Projekt gab im Prinzip NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement“, erinnert sich Diplom-Betriebswirtin Marlies Mathenia, in Personalunion Geschäftsführerin der Hertener Stadtwerke und der Ruhrwind Herten GmbH, die die Anlage betreibt. Der Ministerpräsident habe Mitte der 90er Jahre angeregt, die hohen Abraumhalden im Ruhrgebiet zum Aufstellen von Windenergieanlagen zu nutzen. Davon erhoffte man sich auch neue Arbeitsplätze.
Im Fall Hoppenbruch bewies vor allem der Essener Privatmann Jürgen Schmidt viel Engagement. Es gelang ihm, den Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) und die Stadt Herten – einst die größte Bergbaustadt Europas – davon zu überzeugen, dass sich ihre Bergehalde als Standort für eine solche Windenergieanlage eigne. Als Betreibergesellschaft wurde daraufhin die Ruhrwind Herten GmbH mit einem Stammkapital von damals 50 000 Mark gegründet. Gesellschafter des Unternehmens sind der KVR – ihm gehört die Halde – mit 51 %, die Hertener Stadtwerke mit 44 % und Jürgen Schmidt mit 5 %.
Anschluss an das Netz war auf der Halde kein Problem
Die lockere Schüttung, die kleine Plateaufläche und die steilen Hänge der Halde führten jedoch zu Problemen beim Aufstellen der Anlage. Unterhalb des künftigen Fundaments wurden rund 500 t Kies in Bohrungen eingebracht und im Rüttelstopfverfahren verdichtet. Sie sollten die Tragfähigkeit des Untergrundes verbessern. Weil die Halde sehr wasserdurchlässig ist, war auch die Erdung schwierig, die wegen der Gefahr durch Blitzschlag erforderlich war. Deshalb musste eine Bohrung von mehr als 70 m bis hinab zum Grundwasserbereich geführt werden. Ein Vorteil des Standortes: Um die Stromleitungen an das naheliegende Mittelspannungsnetz heranzuführen, konnte man in der Halde vorhandene Brandschutz-Rohrleitungen verwenden.
Nach diesen Vorbereitungen und dem ersten Spatenstich im April 1997 wurde auf dem rund 650 t schweren Stahlbetonfundament ein 67 m hoher, mit Sockel 123 t schwerer Stahlrohrturm errichtet. Zwei Kräne setzten darauf die 99 t schwere Gondel, an der der Rotor befestigt ist.
Seit dem 11. Oktober 1997 sammeln die Betreiber nun ihrer Erfahrungen mit der Anlage. „Bisher ist der Stromertrag im Mittel um etwa zehn Prozent unter dem Erwartungswert geblieben“, räumt Geschäftsführerin Mathenia ein. Der Minderertrag sei aber nicht der Anlage anzulasten.
„Mit der Qualität der Anlage sind wir durchaus zufrieden“, bilanziert Dipl.-Ing. Frank Girke von den Hertener Stadtwerken. Als Betriebsingenieur für Elektrotechnik war er verantwortlich für die Planung und Ausführung des Projekts. In den mehr als viereinhalb Jahren hat es seiner Auskunft nach nur zwei nennenswerte Ausfälle gegeben. 1998 sei es im Generatorbereich zu Überhitzungserscheinungen gekommen, die sich jedoch durch zusätzliche Lüftungsmaßnahmen beheben ließen. Im Jahr 2001 trat ein Schaden im Nabenbereich auf. In beiden Fällen habe sich der Kundendienst des Herstellers als schnell und effizient erwiesen – per Wartungsvertrag sei eine Verfügbarkeit von 97% gewährleistet.
Was an der Anlage zu tun ist, wird mit High-Tech erfasst: Rund 200 Sensoren überwachen alle wichtigen Komponenten. Störungen und fällige Wartungseinsätze werden automatisch an die Serviceabteilung des Herstellers gemeldet. Aktuelle Betriebsdaten können auch jederzeit von der Leitwarte der Hertener Stadtwerke aus abgerufen werden.
Die Hauptursache dafür, dass die Energieausbeute geringer ausfiel als erwartet, sei vielmehr ein „Qualitätsfaktor“ des Windes. Er müsse zusätzlich zur durchschnittlichen Windgeschwindigkeit ins Kalkül gezogen werden – bei der Planung war er jedoch noch nicht ausreichend bekannt. Im Unterschied zu Standorten an der Küste oder im Flachland bewege sich die Luft im hügeligem Gelände auf Grund von Turbulenzen deutlich ungleichmäßiger. Dadurch könne die Anlage auf der Halde dem Wind nicht so viel Energie entnehmen, wie es bei gleichmäßigerer Luftströmung möglich sei.
Der Gedanke an die Wirtschaftlichkeit hatte auch die Auswahl des Anlagentyps bestimmt. „Die Wirtschaftlichkeit hängt von der Größe ab“, erläutert Betriebsingenieur Girke. Die größte 1997 serienmäßig verfügbare Anlage war die E-66 der Auricher Enercon GmbH. Weil ihrem Generatortyp zur Stromerzeugung schon die niedrige Drehzahl des Rotors genügt, verzichtet der Anlagenhersteller auf ein Getriebe – das ist der größte Unterschied zu anderen Anlagen. Möglichst wenige bewegliche Komponenten, so die Philosophie des Herstellers, sollen den Verschleiß und die Anfälligkeit für Defekte verringern.
Heute sind die 1,5-MW-Anlagen verschiedener Hersteller zum Standard geworden. Die Mehrzahl der über 800 Anlagen, die allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 2002 in Deutschland neu errichtet wurden, gehört nach Angaben des Bundesverbandes Windenergie e. V., Osnabrück, dieser Größenordnung an. Während 1997 der Durchschnitt bei den neu errichteten Anlagen bei rund 628 kW pro Anlage lag, wird heute ein Wert von rund 1,3 MW erreicht. Nordrhein-Westfalen liegt nach Niedersachsen und Schleswig-Holstein auf Platz drei, wenn man die Bundesländer anhand der Leistung ihrer Windkraftanlagen vergleicht. Legt man die Anzahl der neu errichteten Anlagen zugrunde, stehen die Nordrhein-Westfalen mit 135 Neubauten sogar an zweiter Stelle. Die Arbeitsplätze, die der Ausbau der Windenergie durch Installation und Montage, direkte und indirekte Beschäftigung mit sich gebracht hat, beziffert der Bundesverband auf über 40 000 – womit sie sich im Vergleich zu 1997 auf den vierfachen Wert gesteigert hat. Die Mehrzahl der Arbeitnehmer verdanken ihren Job einem indirekten Zusammenhang zwischen ihrem Unternehmen und der Windenergie-Branche.
Das nordrhein-westfälische Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr sieht in Anzahl und Leistung der Windenergie-Anlagen einen „Beleg dafür, dass die Rahmenbedingungen in NRW richtig gesetzt wurden“. Für die Zukunft der Windenergie setzt Landesminister Ernst Schwanhold auf eine differenzierte Politik. Man dürfe nicht vergessen, dass die hohen Einspeisevergütungen für Strom aus Windkraft von allen Stromkunden getragen werden müssen. „Ich halte es nicht für richtig“, so Minister Schwanhold, „dass die einen über lukrative Abschreibungsmodelle hohe Renditen erzielen, während wir auf der anderen Seite Gespräche mit energieintensiven Betrieben über deren Existenz wegen hoher Strombezugskosten führen müssen.“ Mit einem „Stopp der Windkraftnutzung“ habe das aber überhaupt nichts zu tun.
Für Anlagen im Binnenland, die an Standorten mit weniger Wind errichtet sind, garantiert das Erneuerbare-Energien-Gesetz die Einspeisevergütung für eine Laufzeit von 20 Jahren. Bei besonders windstarken Standorten wird sie nach fünf Jahren reduziert. Durch eine stärker abgestufte und zeitlich enger begrenzte Einspeisevergütung sollten wieder mehr Anreize für technische Innovationen geschaffen werden – mit dem Ziel, die Effizienz auch bei der Nutzung der Windenergie zu steigern.
Neue AG übernimmt das Windenergie-Geschäft
Aus dem Geschäftsbereich Windenergie hat der Bocholter Getriebehersteller A. Friedr. Flender GmbH ein eigenes Unternehmen gemacht: die Winergy AG im niederrheinischen Voerde/Friedrichsfeld. Sie soll mit ihren rund 300 Mitarbeitern die weltweit wachsende Nachfrage nach Antriebssystemen für Windkraftanlagen befriedigen. Dazu sei es erforderlich gewesen, die Fertigungs- und Lieferkapazitäten zu erhöhen. Nach Angaben des Unternehmens hatte Flender bis Ende des Jahres 2001 mit 20 000 gelieferten Getrieben für Antriebssysteme in Windkraftanlagen einen Weltmarktanteil von über 40 % erreicht. Die Flender-Tochter Winergy konzentriert sich nun darauf, den kompletten Strang aus Getriebe, Kupplung, Generator und Umrichter zu entwickeln, zu konstruieren und zu montieren. Auch Prüfung und Wartung wollen die Voerder anbieten. Sie rechnen damit, dass selbst nach konservativen Prognosen der Markt stark wächst: Eine jährlich um 20 % steigende Kapazität in der Windkraft setzen sie voraus.
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