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Praxisnahe Tests fühlen der Leistung von Antriebssystemen auf den Zahn

Konstruktion: Angaben zu Komponenten sind allein keine Basis für Entscheidungen
Praxisnahe Tests fühlen der Leistung von Antriebssystemen auf den Zahn

Wer Komponenten wie Getriebe und Motor oder Führung und Kugelgewindetrieb zusammen einsetzt, braucht mehr als Angaben zu den Bauteilen. Einige Hersteller testen ihre Komplettsysteme – damit der Anwender sie optimal nutzen kann. Ohne Beratung geht es dennoch nicht, wie die Nachfrage bei den Anbietern zeigt.

Von unserem Redaktionsmitglied Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de

Wie lange hält das Fahrzeug? Wird die Zylinderkopfdichtung den Geist aufgeben oder rostet vorher die Karosserie? Es kommt halt darauf an, wofür man den Wagen benutzt und wie der Fahrer mit dem „Gesamtsystem Auto“ umgeht, würde jeder Experte antworten. Ingenieure, die Haltbarkeit, Leistungsfähigkeit oder Wirkungsgrad von Maschinenelementen bewerten müssen, kommen mitunter nicht so einfach davon. Und je größer das Angebot von kompletten Systemen aus einer Hand wird, desto intensiver setzen sich die Anbieter mit dem Zusammenspiel der Komponenten auseinander.
Berechnungen, mit denen sich einzelne Bauteile ganz gut beschreiben lassen, reichen dafür häufig nicht aus – vor allem dann, wenn Systeme bis an ihre Grenzen ausgereizt werden sollen. Beispiel Getriebemotoren: Untersuchungen der Schönaicher Dr. Fritz Faulhaber GmbH & Co. KG haben gezeigt, dass die Wirkungsgrade auf dem Papier nicht immer die sind, die sich im Antriebsstrang zeigen. Verglichen wurden Stirnrad- und Planetengetriebe sowie der Einfluss der Drehzahl auf den Wirkungsgrad. Das Resümee: Den berechneten Wirkungsgrad erreichten die Getriebemotoren nur bei einer bestimmten Untersetzung und Last. Abweichungen nach unten von bis zu 10 % ergäben sich, wenn ein Motor und ein Getriebe kombiniert würden, die ihren optimalen Wirkungsgrad bei unterschiedlichen Bedingungen erreichen.
Wer also sparsam mit der Leistung umgehen will, muss das gesamte System aus Motor, Getriebe und erwarteten Lasten eng aufeinander abstimmen. „Untersuchungen zur optimalen Kombination lohnen sich natürlich nicht für jede Anwendung“, räumt Andreas Seegen, Marketingleiter bei Faulhaber, ein. Aber viele Kunden wollten spezifische Lösungen millionenfach einsetzen. „Bei Projekten dieser Art müssen sie natürlich sicher sein, dass sie die Antriebe nicht überdimensionieren.“
Diese Sicherheit fordern auch die Anwender von Linearachsen ein. Um ihre Fragen beantworten zu können, testen einige Hersteller bereits ihre Achsen als komplettes System. Dem Anwender hilft das beim Optimieren der Konstruktionen, wie der folgende Fall zeigt.
Für eine Anlage, die Bauteile aus Glas mit dem Laser beschriftet, sollten die Linearachsen ausgelegt werden. Ingenieure der Waldenbucher Neff Antriebstechnik Automation GmbH empfahlen eine Achse, die die geforderte Steifigkeit erreichte, aber nur halb so groß war wie die ursprünglich geplante. Diese Empfehlung konnten sie guten Gewissens aussprechen, denn die Berechnungen hatten sie mit Daten aus systematischen Tests untermauert, die den Bedingungen in einer solchen Anwendung entsprechen. „Damit hatte der Anwender mehr Spielraum für andere Elemente und konnte darüber hinaus die Kosten reduzieren, da er mit der kleineren Baugröße auskam“, fasst Neff-Entwicklungsleiter Jürgen Kreutzkämper zusammen.
Das Testverfahren ist eine zusätzliche Informationsquelle, mit der die Neff-Mitarbeiter ihre persönliche Erfahrung aus vergleichbaren Projekten und die berechneten Werte ergänzen. Die Probe aufs Exempel zeigt ihnen, was die Komponenten gemeinsam leisten. Je nachdem, für welche Anwendungen eine neue Achsen-Baureihe konzipiert ist, geben die Entwickler in Waldenbuch in den Tests eine Lauflänge vor, legen die Zahl der Lastwechsel fest sowie Werte für Geschwindigkeit, Beschleunigung und Belastung, mit denen typischerweise zu rechnen ist. Innerhalb dieser Spanne dürfen sich an den Komponenten keine Schäden zeigen, sonst müssen die Ingenieure Verbesserungen vorschlagen.
„Wie wichtig solche Tests am Gesamtsystem sind, lässt sich erläutern, wenn man die Tragzahl der Komponenten mit der maximalen Belastung der Achse vergleicht“, sagt Entwicklungsleiter Kreutzkämper. „Es hat sich gezeigt, dass die zulässige Belastung für die Achse viel niedriger liegen kann als die der Führung allein – weil in der Anwendung eine Reihe von Faktoren eine Rolle spielen.“ Wo die Last angebracht ist und wie groß sie ist, macht sich in unterschiedlichen Kräften und Momenten bemerkbar. Sie bestimmen, wie stark eine Achse beansprucht wird und wie lange sie im Einsatz ihre Leistung zeigen kann. „Wenn unsere Kunden fragen, welche Achse für ihre Anwendung optimal ist“, sagt Dr.-Ing. Martin Hermann, Technischer Leiter bei Neff, „müssen wir unsere Empfehlung natürlich auch belegen – wobei in unseren Berechnungstools ebenfalls Testergebnisse einfließen.“
Denn über den Einfluss der Faktoren sagen die Testergebnisse mehr als die Leistungs- und Lebensdauerangaben für Kugelgewindetrieb, Führung oder Profil. Diese können in der Regel nur Anhaltspunkte sein, wie die Experten betonen – so dass der Konstrukteur doch auf Nummer Sicher gehen und ein größeres Teil einsetzen würde.
So großzügig wollen heute aber immer weniger Anwender kalkulieren. Nach den Beobachtungen von Franz Roser, Produktmanager für den Bereich Lineartechnologie bei der Berger Lahr GmbH & Co. KG in Lahr, wollen schon jetzt etwa ein Fünftel der Kunden genau wissen, welche Lebensdauer sie für eine Linearachse oder ein komplettes Mehrachsensystem annehmen können. „Diese Frage ist in Pick&Place-Anwendungen interessant, bekommt aber noch mehr Bedeutung in Montage- und Fügeprozessen, wo die Kräfte während des Betriebs sehr unterschiedlich sein können“, so der Produktmanager. Daher durchlaufen bei Berger Lahr – parallel zu Berechnungen und Auslegungen – alle neu entwickelten Produkte „eine möglichst anwendungsrealistische Langzeittestreihe“. Dieses Vorgehen sowie die langjährige Erfahrung aus Anwendungen ermöglicht laut Roser eine „recht gute“ Aussage über die Lebensdauer eines Systems.
Dass die Aussagen aus Tests allgemein an Bedeutung gewinnen, hat die Nachfrage bei weiteren Herstellern gezeigt. Der Homburger Geschäftsbereich Lineartechnik der Ina-Schaeffler KG gibt zu seinen angetriebenen Lineareinheiten Angaben heraus, die auf Tests sowie auf Berechnungen basieren. Arsène Herrmann, Leiter der Produktgruppe Module & Tische, erläutert: „Mit den Versuchen prüfen wir, ob Theorie und Praxis übereinstimmen und nennen auch systembedingte Eigenschaften der montierten Einheit.“ Der Geschäftsbereich Linear Motion & Assembly Technologies der Bosch Rexroth AG, Schweinfurt, führt generell umfangreiche Tests an Linearachsen durch, unter anderem für Einsatzbereiche, bei denen zum Beispiel Kühlwasser auftritt oder feiner Staub. „Mit Basisdaten zu statischer und dynamischer Tragzahl oder Torsionssteifigkeit, die sich aus den Eigenschaften der Komponenten ergeben, haben zwar rund 80 Prozent der Anwender ausreichend Informationen“, sagt Produktmanager Herbert Bretscher. Der Trend gehe aber zu anwendungsnahen Aussagen, wie Bosch Rexroth sie auch für ein kartesisches Handling-System aus mehreren Achsen macht.
Da die Anwender zunehmendes Interesse an den systemgebundenen Informationen zeigen, verliert auch eine Diskussion an Bedeutung, die in der vergangenen Zeit um die Berechnung der dynamischen Tragzahl von Führungen geführt wurde. Diese Tragzahl, ein Kennwert für die zu erwartende Lebensdauer, wird in Deutschland und Europa nach der DIN-Norm 636 berechnet. Auch an einer internationalen Norm, der ISO/DIN 14728, die sich an die DIN-Norm anlehnt, arbeiten die führenden Hersteller.
Aber schon jetzt sind sich alle darin einig, dass die Leistung der Führungen die berechneten Werte übertrifft. Die Lineartechnik-Spezialisten belegen das mit Untersuchungen an ihren Komponenten. Die jeweiligen Begründungen für die Resultate unterscheiden sich im Detail: Bessere Oberflächen auf den Laufbahnen der Führungswagen, bessere Schmierung durch Distanzelemente oder die verbesserte Geometrie in der Umlenkeinheit der Führung sollen das gute Abschneiden erklären – Faktoren, die in der Formel nach Expertenmeinung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt werden. Die praktisch nachgewiesenen Abweichungen liegen mit über 30 % deutlich über den berechneten Tragzahlen. Alle Hersteller betonen jedoch, dass in jedem Fall die Anwendung betrachtet werden müsse – oder eben das System Linearachse.
Selbst wenn die systembezogenen Daten bessere Aussagen über die Leistungsfähigkeit der Achsen ermöglichen, sind die Anwender damit aber noch nicht beim Plug&Play-Prinzip angekommen. Je näher sie an die Leistungsgrenzen herangehen wollten, desto wichtiger sei nach wie vor eine Beratung durch die Experten – darin stimmen die Hersteller überein. Im Ina-Katalog stünden Maximalwerte, die als Kriterium für die Vorabauslegung gedacht sind, sagt beispielsweise der Leiter der Organisation Lineartechnik, Jürgen Klein: „Für eine kundenspezifische Auslegung geben unsere Anwendungs- und Vertriebsingenieure dann genauere Auskünfte.“ Ihnen stünden Versuchsergebnisse zur Verfügung, die unter anderem Lebensdauer, statische und dynamische Tragfähigkeit, Verschiebewiderstand, Positionier- und Wiederholgenauigkeit sowie Umgebungsbedingungen der Achse detailliert beschreiben. Diese Daten würden inzwischen auch in Berechnungsprogrammen berücksichtigt.
Auch die Neff-Ingenieure stellen das Wissen, aus ihren Tests schwarz auf weiß zur Verfügung. „Wir veröffentlichen Daten, die sich auf die komplette Achse beziehen“, sagt Dr. Martin Hermann. Und er ergänzt: „Damit betreten wir Neuland, denn bisher gibt es dafür keine Normen.“
Für den Anwender heißt das: Er profitiert zwar von den praxisnäheren Informationen der Tests. Die Entscheidung zwischen Angeboten verschiedener Hersteller erleichtert ihm das jedoch zunächst nicht. Denn deren systembezogene Angaben sind wegen der unterschiedlichen Testverfahren und -bedingungen nicht direkt miteinander vergleichbar. „Vergleichbare Werte für ganze Systeme wären für die Kunden sicherlich wünschenswertS, räumt auch Berger-Lahr-Produktmanager Franz Roser ein. Ein Raster dafür sei aber seines Wissens noch nicht in Sicht.
Die beste Empfehlung ist nur dann etwas wert, wenn man sie auch belegen kann
Beim Plug&Play-Konzept sind die Linearachsen noch nicht angekommen

„Nur mit Leistungsangaben sind Baugruppen für die Anwender nützlich“

Nachgefragt

Tests am System, die die Berechnungen ergänzen, hält Dr.-Ing. Michael Senf vom Institut für Maschinenelemente und Maschinenkonstruktion der TU Dresden für sinnvoll.
Herr Dr. Senf, wie gut lassen sich Komponenten und Systeme heute schon beschreiben?
Einzelne Komponenten in Antriebssystemen lassen sich heute bereits recht gut berechnen und beschreiben. Ihr Zusammenspiel beherrscht man allerdings nur teilweise, vor allem, wenn es um dynamische Vorgänge geht und Systemparameter teilweise nicht bekannt sind. Weil sich alle Teile gegenseitig beeinflussen, lässt sich manches Verhalten auch mit einer Mehrkörpersimulation nicht vorhersehen. Dadurch können selbst größere Schäden entstehen. Ein Beispiel dafür sind die Ausfälle im Antriebsstrang von Windkraftanlagen.
Wie nahe können die Anwender den Leistungsgrenzen der Komponenten kommen, ohne ein großes Risiko einzugehen?
Die Antwort fällt je nach Komponente unterschiedlich aus. Bei Zahnradgetrieben kommt man bestimmt auf bis zu zehn Prozent an die Grenzen heran. Generell werden bekannte Maschinenelemente wie Lager, Wellen oder Zahnräder gut bezüglich der Tragfähigkeit gut beherrscht Aber auch hier wird es schwierig, wenn man zum Beispiel Verschleißmechanismen berücksichtigen will.
Bringen die Ergebnisse aus Tests an Komplettsystemen Vorteile für die Anwender?
Die Tests sind in jedem Fall sinnvoll. Denn was die Versuche ergeben, ist nicht immer identisch mit dem, was man berechnen würde. Dem Anwender hilft dieses Vorgehen vor allem dann, wenn er ein System wirklich als Black Box einsetzen will – und das ist ja letztlich der Sinn der Systemangebote, dass man Baugruppen zusammenfasst und ihre Leistungsfähigkeit erkennt.
Werden in Zukunft eher Berechnungen oder Tests bessere Informationen bringen?
Wir werden beides brauchen. Um die Berechnung und Simulation kommt man schon aus Kostengründen nicht herum. Aber wenn die Zusammenhänge komplex werden und man mit dem Rechnen nicht weiterkommt, muss man die Ergebnisse mit Untersuchungen auf dem Prüfstand absichern.
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