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Produkte von der Stange kommen aus der Mode

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Produkte von der Stange kommen aus der Mode

Lassen wir eines Tages funktionsfähige Handys ausdrucken, womöglich individuell gestaltet? Keine Utopie, sagen Experten. Rapid Manufacturing bietet weitreichende Möglichkeiten. Viele Ideen kommen nur deswegen nicht in der Realität an, weil uns die Vorstellungskraft dafür fehlt.

„Rapid-Technologien beginnen im Kopf“, sagte Volker Junior auf der Kongressmesse Rapid.Tech in Erfurt. „Wir stehen erst am Anfang, ihre Möglichkeiten geistig zu durchdringen.“ Um es zu beweisen, präsentierte er den Fußballschuh „Assassin“, der nur dem einen Spieler passt, für den er individuell gefertigt wird. Das Start-up-Unternehmen Prior 2 Lever hatte ihn kurz vor der Fifa-WM in Deutschland auf den Markt gebracht. Damit er wie angegossen sitzt, scannen die Briten den Fuß des Athleten ab und fertigen den Oberschuh nach einem speziell auf ihn abgestimmten Schnittmuster. Die Außensohle passt zu den individuellen Lauf- und Skeletteigenschaften des Sportlers. Das ist möglich, weil sie direkt aus den CAD-Daten durch Laser-Sintern gefertigt wird, eine der wichtigsten Rapid-Manufacturing-Methoden. Das Ergebnis ist ein Serienprodukt, das auf die Bedürfnisse des einzelnen Kunden abgestimmt ist. „Die bequemsten Schuhe, die ich je anhatte“, sagte die Fußballerin Katie Chapman, die sie als erste ausprobierte.

Aus der Sicht von Volker Junior eröffnet diese Produktionsmethodik großartige Marktchancen. Sie lebt von der Kombination mit Rapid-Manufacturing-Verfahren wie dem Laser-Sintern. Bei diesem generativen Prozess entstehen Bauteile aus Pulverschichten, die der Laser sukzessive nach den CAD-Daten aushärtet (oder – präziser formuliert – anschmelzt und versintert). Schnell sind die generativen Verfahren, weil sie ohne Form auskommen. Die Bezeichnung „Rapid-Technologien“ empfinden Fachleute dennoch als irreführend, weil Schichtbauverfahren noch über eine Reihe weiterer Vorteile verfügen. Sie bieten eine hohe Gestaltungsfreiheit und verlegen die Lagerhaltung in die CAD-Daten. Sie ermöglichen es, Funktionen zu integrieren und die Teilezahl zu reduzieren, wodurch wiederum der Montageaufwand sinkt.
Zehn Jahre war Volker Junior bei der EOS GmbH in Krailling tätig, die dem Laser-Sintern maßgeblich zum Durchbruch verholfen hat. In dieser Zeit hat er alle möglichen Bereiche durchlaufen, so dass er das Laser-Sintern „im Schlaf beherrscht“. Nun geht es ihm um wesentlich mehr. Auch bei technischen Produkten sieht er einen großen Zusatznutzen, wenn sie ohne Mehrkosten in Varianten gefertigt werden. „Dazu müssen wir die Konstruktion modularisieren. Wir teilen sie auf in standardisierte und in individuelle Module, die vorwiegend durch Schichtbauverfahren gefertigt werden.“ Vom Prinzip her gestalten die Entwickler ihre Produkte wie einen Serienbrief in Word: Obwohl die Form dieselbe bleibt, bekommt das Schreiben durch personalisierte Inhalte eine individuelle Note.
Die Vision ist klar: In großen Stückzahlen hergestellte Produkte erhalten eine spezifische ästhetische oder technische Ausprägung, die sie nicht verteuert. Entstanden ist dieses Konzept im Software-Bereich unter dem Schlagwort „Mass Customization“ – der Individualisierung von Massenprodukten. Nun wird sie immer populärer und schwappt in die Technik über. Möglicherweise ist die Zeit durch die modernen „Rapid“-Verfahren dafür reif geworden. Junior hält den Ansatz in der Technik für so erfolgversprechend, dass er sich selbstständig gemacht hat, um Unternehmen auf dem Weg des Mass Customization zu beraten. „Die Produkt-Individualisierung ist ein Mega-Trend“, erklärt sein Partner Tobias Tacke. „Sie wird zum Zugpferd für die Schichtbauverfahren, und das ist der Inhalt unserer Projekte.“
Mit ihrem Thema ist die Münchner Unternehmensberatung Junior & Tacke noch völlig unangefochten im Markt. Nicht zuletzt daran zeigt sich, dass Rapid Manufacturing (RM) noch in den Anfängen steckt. Bisher hat sich RM mit einem Anteil von 50 % nur bei Hörgeräteschalen mit ihren individuell an das Ohr des Patienten angepassten Schall- und Ventilationskanälen etabliert und zu einem kleineren Anteil beim individuellen Zahnersatz. Darüber hinaus gibt es vereinzelte Anwendungen. Professor Gideon Levy, St. Gallen, bezifferte in Erfurt den Anteil der RM-Teile, die direkt in der Produktion eingesetzt werden, auf nur 8 %.
Dennoch sind sich die Experten einig, dass der generativen Fertigung die Zukunft gehört. „Rapid Manufacturing war für uns schon vor vier Jahren das große Zukunftsthema, als wir die erste Rapid.Tech planten“, betont Professor Andreas Gebhardt von der FH Aachen, der die Erfurter Kongressmesse mitinitiierte. Sogar das Ausdrucken von funktionsfähigen Handys hält er für keine Utopie, sondern in absehbarer Zeit für machbar.
Dr. Christof Stotko, Marketingleiter bei EOS, berichtet von Plänen des Maschinenbauers, den Umsatz bis zum Jahr 2010 auf 100 Mio. Euro zu verdoppeln. Treiber soll RM sein. „Dazu sprechen wir potenzielle Anwender in Branchen wie dem Maschinenbau direkt an und schlagen Entwicklungsprojekte vor.“ Schon jetzt nehme die Zahl der generativ gefertigten Endprodukte stetig zu. Ähnliches beobachtet auch Vertriebs- und Marketingleiter Oliver Edelmann von der Concept Laser GmbH in Lichtenfels, obwohl sich das Unternehmen primär auf den Werkzeug- und Formenbau konzentriert. Es setzt dazu sein Schichtbauverfahren LaserCUSING ein, das mit Originalwerkstoffen nach dem Stahlschlüssel arbeitet. „In unserem Vorführzentrum fertigen wir immer häufiger Funktionsbauteile“, konstatiert Edelmann. „Darunter sind hochwertige Prototypen wie Ventilblöcke, Pkw-Türscharniere oder Motoraufhängungen. Wir gehen daher langfristig von einer 50-50-Splittung zwischen Funktionsteilen und Werkzeugeinsätzen aus.“ RM misst er sogar „große Bedeutung“ zu. Neuen Schwung für das Thema erwartet er für das zweite Halbjahr 2007, wenn Concept Laser eine Aluminium-Titan-Anlage auf den Markt bringen will.
Aus Expertensicht steht die Blütezeit von Rapid Manufacturing also kurz bevor. Bis dahin glänzen einzelne RM-Produkte als Pionieranwendungen. Auffällig ist, dass sie zumindest ansatzweise alle den Gedanken der Individualisierung aufgreifen. Volkswagen zum Beispiel rüstete sein unkonventionelles Konzeptfahrzeug GX3, einen dreirädrigen Zweisitzer, mit einem Schalthebel aus Edelstahl aus. Den Knauf im edlen Golfball-Design fertigten die Designer durch Laser-Sintern von EOS. Für den GX3 plant VW ein umfangreiches Accessoire-Programm. Der Schritt scheint nicht mehr weit zu sein, auch den Knauf mit individuellem Design anzubieten, womöglich mit dem Konterfei des Fahrers oder seiner Liebsten?
Beispiele gibt es aber auch aus dem Maschinenbau. Die Stuttgarter Mahle Filtertechnik GmbH nutzt das Laser-Sintern, um „Montagekämme“ als Produktionshilfsmittel zu fertigen. Die generierten Polyamid-Teile dienen als Vorrichtung, um die Innenraumfilter des Auto-Zulieferers zu falten. Die Ingenieure nutzen die Gestaltungsfreiheit, um für jede neue Filtergeometrie schnell und bequem die passende Vorrichtung zu beschaffen.
Auf dem EOS-Stand auf der Hannover Messe machte die LMD GmbH & Co. KG aA, Lennestadt, von sich reden. Sie präsentierte eine automatisierte Anlage aus der Bleistiftproduktion. Sowohl die Roboterhand, die Bleistifte übernimmt, als auch der Höhenförderer sind Laser-gesintert. Volker Junior sieht hier die Vorzüge von Rapid Manufacturing für den Maschinenbau verwirklicht: „Die generativ hergestellte Roboterhand meistert die Schnittstelle zwischen standardisiertem Roboter und individuellem Produkt zum Greifen.“ Selbst die unterschiedlichsten Bleistifte in kleinsten Stückzahlen kann der Roboter handhaben, wenn er den richtigen Greifer besitzt.
Mass Customization geht aber noch einen Schritt weiter und gibt Massenprodukten einen individuellen Zuschnitt. Für Junior steckt darin ein enormes Innovationspotenzial. Allerdings erfordert es ein Umdenken auf allen Ebenen, beginnend bei der Produktpolitik: „Das Unternehmen setzt nun auf Varianten, die durch den Einsatz von Schichtbauverfahren zu keinen höheren Kosten führen.“ In der Regel beginnt dieser Prozess mit einer Potenzialanalyse. Das Ziel ist der gesteigerte Kundennutzen. Werden die Manager fündig, beeinflusst ihr neues Konzept alle Bereiche von der Entwicklung über die Fertigung (in die Rapid-Technologien integriert werden) bis hin zur Beschaffung. Auch der Vertrieb muss sich umstellen, weil er Produkte verkauft, die noch nicht endgültig definiert sind. Und genau dies nutzt er als Marketinginstrument. Setzt sich Rapid Manufacturing durch, wird in Zukunft wohl niemand mehr ein Produkt von der Stange kaufen wollen.
Rapid-Verfahren unterstützen Trend zur Individualisierung

Marktchancen
Rapid-Technologien bieten die Möglichkeit, Serienprodukte individuell zu gestalten. Wo dieses Angebot auf den Nerv des Kunden trifft, ergeben sich neue Marktchancen.

Schalthebel als Juwel

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Auf der Los Angeles Auto Show präsentierte Volkswagen sein neues Konzeptfahrzeug, den GX3. Bis ins Detail gibt sich der Crossover zwischen Sportwagen und Motorrad unkonventionell. Verkörpert werden die Design-Ziele vor allem durch den Schalthebel aus Edelstahl, den VW auch sein „Zentrumsjuwel“ nennt. Die Designer wollten etwas Außergewöhnliches und entwarfen eine Abwandlung von dem golfballförmigen Schalthebel des Golf GTI.
Es war klar, dass sich das Design mit CNC-Fräsen nicht umsetzen ließe. Eine Eosint M 270 baute den Schalthebel in Edelstahl. „Ohne die EOS-Technologie hätten wir den Entwurf nicht realisieren können. Wir hätten eine Lösung mit deutlich weniger Wirkung finden müssen“, sagt Chef-Designer Derek Jenkins.
Ob VW den GX3 als Serienprodukt anbieten wird, hängt stark vom Feedback der amerikanischen Kunden ab. Bis jetzt ist noch keine Entscheidung gefallen.

Kunde gestaltet sein Produkt selbst

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Nachgefragt

Warum haben Sie Rapid Manufacturing zum Hauptthema der Rapid.Tech gemacht?
Rapid Manufacturing ist für uns schon seit Jahren das große Zukunftsthema. Die direkte Fertigung von Einzelteilen und Kleinstserien kann die heutige Produktion völlig verändern, sogar die Beziehung des Endverbrauchers zum Produkt.
Inwiefern?
Die Endverbraucher werden in die Lage versetzt, Produkte über das Web zu variieren und zu definieren. Mit Hilfe eines Fabrikators leiten sie den Fertigungsvorgang von zu Hause aus ein. Darin sehen wir auch Chancen für kleinere und mittlere Betriebe, die Produkte entwickeln und fertigen können, ohne dafür große Investitionen tätigen zu müssen.
Welche Rolle spielen individualisierte Komponenten wie bei Hörgeräten oder dem Fußballschuh Assassin?
Sie zeigen schon mal eines: Es wird immer ein Computer-gestütztes Programmsystem benötigt, in das die biometrischen Daten des Kunden eingegeben werden. Auf der Basis dieser Daten wird die individuelle Konstruktion automatisch erzeugt. Die generative Fertigung ist in dieser Kette ein wichtiges Glied. Spektakuläre Anwendungen wie der Fußballschuh sind ein willkommener Treiber für diese Entwicklung.
Müssen sich Zerspaner und Spritzgießer sorgen, dass ihre Technologie an Bedeutung verliert?
Ja und nein. Nein, weil generative Verfahren nur eine Außenseiterchance haben, wenn die Serie eine gewisse Größe erreicht. Ja, wenn keine isotropen Werkstoffe gefragt sind. Ab dem 4-Komponenten-Spritzgießen wird es knifflig. Für generative Verfahren ist es dagegen nur ein kleiner Schritt, neben der Farbe auch andere Werkstoffeigenschaften zu verändern.
Was empfehlen Sie Spritzgießern und Zerspanern?
Wenn sie ihre Produktpalette durch die neuen Technologien ergänzen, dann haben sie die Nase vorn.
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