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Produktion auf Rechnung und Risiko des Zulieferers

Betreibermodelle bei Herstellern immer beliebter
Produktion auf Rechnung und Risiko des Zulieferers

Die Automobilindustrie gilt als Vorreiter bei Betreibermodellen. Derzeit bilden sich interessante Varianten aus. Wegen der günstigen Kostensituation für die Hersteller glauben Experten, dass solche Verlagerungen noch zunehmen werden.

Thomas Baumgärtner ist Journalist in Kusterdingen

Die Aussicht klingt verlockend: eine Fabrik zum Nulltarif. Prof. Dr. Horst Wildemann, Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre an der TU München, zeigt sich begeistert: ,,Betreiber- und Pay-on-production-Modelle können eine annähernd kostenneutrale Sanierung und Modernisierung der Produktions- und Infrastrukturanlagen eines Unternehmens bewirken.“
Und das geht beispielsweise so: Eine über 80 Mio. Euro teure Lackierstraße brachte der Böblinger Anlagenbauer Eisenmann in die rund 200 Mio. Euro verschlingende Modernisierung des Kölner Ford-Werks ein. Der Trick: Die Anlage taucht in der Bilanz des Automobilkonzerns gar nicht auf. Denn Eisenmann ist nicht nur Betreiber der Anlage, sondern bleibt Eigentümer. Ford kaufte sich keine neue Anlage, sondern bezahlt lediglich für den Output der Lackierstraße: die lackierten Fahrzeugkarossen. ,,Die Anschaffungskosten der Anlagen tendieren bei Betreibermodellen gegen null“, so Wildemann.
Der harte Wettbewerb und die Notwendigkeit zu ständigen Produktivitätssteigerungen zwingt die Fahrzeughersteller dazu, einen wachsenden Anteil der Wertschöpfung auf Ausrüster und Lieferanten zu übertragen – und diese auch stärker am Risiko zu beteiligen. Das klassische Betreibermodell umfasst in der Regel die Komponenten Finanzierung, Anlagenerstellung, Instandhaltung und Betrieb. Doch in der Praxis finden sich zunehmend Sonderformen.
„Die Kunden erwarten von ihren Lieferanten Verantwortung für komplette Prozessketten“, stellte Dr. Jan P. Osing, Geschäftsführer der ALD Vacuum Technologies GmbH, Erlensee, im Rahmen einer Tagung für den Maschinen- und Anlagenbau fest. Dabei tritt die Hardware oftmals in den Hintergrund. „Wir sind als Dienstleister und als Problemlöser mit einem speziellen Know-how gefragt“, beschreibt Peter Ziegler den Trend. Der Geschäftsführer von AVL-Deutschland, Mainz-Kastel, verkauft nicht mehr nur Prüftechnik und Motorentwicklungen. Ziegler hat bei Mercedes-Benz und bei BMW vielmehr zwei Projekte laufen, die eine Modifizierung klassischer Betreibermodelle aufzeigen und dem Zulieferer eine neue Rolle in der Zusammenarbeit zuweisen.
So verantwortet das Unternehmen auf dem Betriebsgelände von Mercedes-Benz in Stuttgart-Untertürkheim als Generalunternehmer den Bau eines siebengeschossigen Test- und Prüfstandscenters. Die Fäden aus der Prüftechnik, der technischen Gebäudeausstattung und der Bautechnik laufen vor Ort beim AVL-Projektleiter Herbert Schmied zusammen. Für das Vorzeige-Vorhaben kommen rund 100 Mio. Euro zusammen. „Dass sich Projektlaufzeit und Kosten verselbstständigen, das gibt es bei uns nicht“, zeigt sich Schmied davon überzeugt, den Kunden vor unliebsamen Überraschungen schützen zu können.
Das klassische Betätigungsfeld von AVL, die Prüftechnik, spielt dabei ebenfalls eine wichtige Rolle: Wenn Mitte 2004 der glasummantelte Neubau schlüsselfertig übergeben wird, stehen darin 60 hochmoderne Prüfmodule für Motoren und Getriebe bereit. 16 davon konnten zwischenzeitlich – sieben Monate vor dem ursprünglichen Plantermin – übergeben werden. Der Folgeauftrag ließ nicht auf sich warten: AVL plant und realisiert auch den zweiten Bauabschnitt für zwölf weitere Prüfstände.
Richtungweisend an der Konzeption des neuen Prüfzentrums ist die modulare Struktur: Die Prüfstände sind nicht fest in das Gebäude integriert, sondern in Containern untergebracht. Ähnlich einem Hochregallager lassen sich die Prüfmodule in das Gebäude ein- und ausfahren. Eine fest installierte Krananlage hievt die massigen Boxen an ihren Platz. Sollten sich Anforderungen ändern, können die Boxen herausgenommen, umgerüstet und ohne die sonst üblichen Bauarbeiten wieder in das Gebäude eingefügt werden.
Das Betreibermodell bei BMW zeigt eine ganz andere Ausprägung. In München übernahm AVL ein vorhandenes Prüffeld mit 21 Prüfständen. Hintergrund: Während die Prüfstandsspezialisten mit dem vorhandenen Maschinenpark die anfallenden Aufgaben erledigen, baut der Autohersteller mit den so frei gewordenen, eigenen Mitarbeitern ein neues Prüfzentrum auf. Und dort steht der Prüfspezialist bereit, um für Wartung und Instandhaltung zu sorgen.
Obwohl es sich bei der Prüftechnik für AVL durchweg um Fremdprodukte handelt, läuft die Sache offensichtlich wie am Schnürchen: Nach Angaben von Projektleiter Elmar Zimmer konnte die Effektivität im ehemaligen BMW-Prüffeld noch gesteigert werden.
Diverse Studien bestätigen, dass die Anlagen von ihren Herstellern deutlich effizienter betrieben werden können als vom Auftraggeber. Solchen Untersuchungen zur Folge sind die Einsparungen für den Auftraggeber enorm. So können in Produktionsbetrieben durch ein Betreibermodell bis zu 100 % der Finanzierungsaufwendungen und bis zu 20 % bei Löhnen und Gehältern eingespart werden. „Versuchseinrichtungen sind wie Produktionseinrichtungen kapitalintensiv und müssen daher mit den gleichen Maßstäben hochproduktiv genutzt werden“, erklärt AVL-Geschäftsführer Ziegler und ergänzt: „An dieser Stelle können wir unser Prozesswissen um die Entwicklung von Antrieben bestmöglich einsetzen.“
Eine weitere Unterart von Betreibervereinbarungen ist das sogenannte Contracting, bei dem sich der Schwerpunkt vom Bereitstellen des Investitionsgutes hin zur Medienversorgung verlagert hat. Nahezu jeder Kompressorenhersteller offeriert seinen Kunden heute so genanntes Druckluftcontracting als Alternative zur eigenen Druckluftanlage.
Gleichwohl hängt der Erfolg von Betreibermodellen oftmals am seidenen Faden. Unter Experten gelten als Faustregeln: Der Anbieter sollte über reproduzierbare Lösungen verfügen, sollte zudem Technologieführer sein, und die Technologie muss dem Auftraggeber einen erheblichen Kosten- oder Qualitätsvorteil bescheren.
Zudem müsse man die Risiken solcher Geschäfte genau unter die Lupe nehmen, mahnt Prof. Wildemann Schließlich übertrage sich das Marktrisiko des Konzessionsgebers auf die Anlagenhersteller. Unzureichende Risikoanalyse ist seiner Meinung nach denn auch einer der Hauptgründe, wenn Betreibermodelle scheitern. AVL-Geschäftsführer Ziegler pflichtet bei: „Natürlich muss eine echte Win-win-Situation gegeben sein, auch wenn Gewinnerwartungen erst langfristig realisiert werden können.“
Denn während eine Maschine oder Anlage nur einmal verkauft wird, fließen bei pay on production die Einnahmen aus dem Betrieb der Anlagen kontinuierlich. Zudem kann der Anlagenbauer, während er die Anlage betreibt, spezielles Betreiber-Know-how sammeln, dieses für die Weiterentwicklung der Maschinen oder Anlagen nutzen und sich so eine bessere Position im Wettbewerb verschaffen.
Zulieferer können ihre Anlagen oft effizienter betreiben als der OEM
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