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Prozess muss sicher beherrscht werden

Anteil schwer zerspanbarer Werkstoffe nimmt in verschiedenen Branchen zu
Prozess muss sicher beherrscht werden

Hochleistungswerkstoffe ersetzen in vielen Technikbereichen traditionelle Materialien. Weil sie schwer zerspanbar sind, kommt den Werkzeugen und der Prozesstechnologie eine immer größere Bedeutung zu.

Von unserem Redaktionsmitglied Haider Willrett

Das Bearbeiten schwer zerspanbarer Werkstoffe sei nicht in schwarz-weiß darstellbar, sagt Rainer Fritsch. Damit das Kunstwerk namens Produktivität wirklich beeindrucke, müssten sämtliche Zwischentöne berücksichtigt werden. Zum Spektrum zwischen Werkzeug und Werkstoff gehören auch die Funktionseigenschaften, die vom jeweiligen Werkstück zu erfüllen sind. „Gerade bei sicherheitsrelevanten Bauteilen sind die Materialeigenschaften in der Randzone entscheidend“, betont der Leiter der Gruppe Grundlagen der Zerspanung am Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen. In diesem Sinne gelte es unter anderem, die vom Zerspanprozess ausgelösten plastischen Verformungen und unerwünschten Eigenspannungen auf ein Minimum zu reduzieren. „Solche Aspekte können durchaus die Schnittdaten limitieren.“
Hochleistungswerkstoffe wie Titan- oder Nickelbasislegierungen zu bearbeiten, erfordert deshalb viel Know-how. Neben den Bauteileigenschaften und den dafür kritischen Einflussgrößen, müssen die physikalischen Randbedingungen und verfahrensspezifische Charakteristika bekannt sein. Nur so lässt sich aus dem Prozess das Optimum herausholen.
Die geringe Wärmeleitfähigkeit von Titanlegierungen ist ein wesentlicher Grund für deren schlechte Zerspanbarkeit. Die Prozesswärme kann nicht – wie bei Stahlwerkstoffen – großteils über den Span abgeführt werden. Folge: Das Werkzeug ist thermisch sehr viel stärker belastet. Angepasste Schnittgeschwindigkeiten und intensives Kühlen sind daher zwingend. Dabei muss der Anwender Sorge tragen, dass der Kühlschmierstoff (KSS) möglichst direkt an die Schneide gelangt. Innere KSS-Zufuhr hilft beim Bohren und Reiben. Ein anderes Verfahren ist das Kühlen mittels Hochdruck: Mit bis zu 300 bar bahnt sich der Strahl seinen Weg an die Schneide. Beim Drehen wird der Kühlschmierstoff auch zwischen Span und Spanfläche des Werkzeugs gelenkt. „Diese Methode hat gleich zwei positive Effekte: Sie kühlt intensiv und verbessert den Spanbruch“, erläutert Fritsch.
Effiziente Prozesse beim Bearbeiten schwer zerspanbarer Materialien werden immer wichtiger. In vielen Bereichen der Luft- und Raumfahrt, bei Hochleistungskomponenten in Fahrzeugen, aber auch in der Kraftwerks- und Medizintechnik sind Werkstoffe wie Titan- und Nickelbasislegierungen auf dem Vormarsch.
„Bezogen auf das Verhältnis von Dichte zu Festigkeit, bietet Titan Vorteile als Leichtbauwerkstoff“, sagt Fritsch. „Deshalb beobachten wir auch in der Zivilluftfahrt einen Trend zur Substitution von Aluminium als Werkstoff für Strukturbauteile.“ Bei Zerspanraten zwischen 70 und 90 %, extrem hohen Materialkosten und der Forderung nach maximaler Versagenssicherheit, sei es entscheidend, den Prozess zu 100 % im Griff zu haben.
Bauteile mit hohen Arbeitstemperaturen, etwa im heißen Bereich von Flugzeugturbinen, bestehen aus hochwarmfesten Nickelbasislegierungen. Inconel 718 oder Waspaloy sind hier gängige Materialien. Zukunftsperspektiven bieten Titan-Aluminide. Die hohe Warmfestigkeit der Nickelbasislegierungen sorgt dafür, dass ihre Festigkeit auch bei Temperaturen von 800 bis 900 °C nur wenig abnimmt. Die mechanische und thermische Belastung der Werkzeugschneiden beim Zerspanen ist daher extrem hoch. Mit Tools aus Schnellarbeitsstahl (HSS) oder Hartmetall (HM) sind nur vergleichsweise bescheidene Schnittgeschwindigkeiten zwischen 4 und 8 m/min beziehungsweise 20 und 40 m/min möglich. Kubisches Bornitrid (CBN) als Schneidstoff reduziert mit Werten zwischen 150 und 300 m/min die Hauptzeiten schon deutlich, und das bei gleicher oder besserer Bearbeitungsqualität. Eine neue Dimension erschließen Schneidkeramiken auf der Basis von Siliziumnitrid und whiskerverstärktem Aluminiumoxid. Sie schruppen und schlichten mit 800 bis 1000 m/min. „Weil das schwere Zerspanen mit diesen Geschwindigkeiten die Randzone beeinflusst, werden kritische Bauteile heute meist noch mit Hartmetall-Werkzeugen geschlichtet“, erklärt Fritsch. In Einzelfällen komme hier mittlerweile auch CBN zum Einsatz. „Bei Anwendungen in der Luftfahrt ist ein solcher Wechsel jedoch nicht ohne weiteres möglich, denn mit der Zulassung eines Triebwerks sind auch sämtliche Bearbeitungsverfahren festgelegt.“ Noch schwieriger als Inconel 718 ist der pulvermetallurgisch erzeugte Werkstoff IN 100 PM zu bearbeiten. Kobalt statt Eisen als Legierungselement steigert die Warmfestigkeit weiter. Zudem bewirkt ein größerer Anteil an Chromkarbiden einen höheren abrasiven Verschleiß.
Das Zerspanen höher warmfester Nickelbasislegierungen gewinnt an Bedeutung. „Bei den Luftfahrttriebwerken gibt es einen Trend zu so genannten Blisks. Das sind aus dem Vollen gefräste Turbinenscheiben. Dadurch nimmt das Zerspanvolumen deutlich zu“, sagt Rainer Fritsch. Zudem kämen solche Werkstoffe vermehrt bei stationären Turbinen zum Einsatz. Grund: Um den Wirkungsgrad von Kraftwerken zu verbessern, werden hier zunehmend die Prozesstemperaturen erhöht.
Wichtig fürs wirtschaftliche Zerspanen dieser Werkstoffe ist ein gezielt auf die Bearbeitung zugeschnittenes Werkzeugsystem. Substrat, Beschichtung, Geometrie, Werkzeughalter und Technologiedaten müssen zur Anwendung passen. Die Palette der Werkzeuge wird dadurch immer breiter. „Es gilt, aus diesem Angebot das Richtige auszuwählen um einen echten Fortschritt in der eigenen Produktion zu erzielen“, relativiert Fritsch. Welches Werkzeug am besten geeignet ist, lasse sich nur in Versuchen ermitteln. Je schwieriger und anspruchsvoller die Bearbeitungsaufgabe, um so wichtiger ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Werkzeughersteller und Anwender.
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