Startseite » Allgemein »

Raubkopien können zu Zeitbomben werden

Produktpiraterie: Hersteller klagen über immer größeres Ausmaß
Raubkopien können zu Zeitbomben werden

Produktpiraten haben Mittelständler und Konzerne im Visier. Wer im großen Stil kopiert wird, dem hilft oft nur noch die Flucht nach vorne, sagen Betroffene.

Von unserem Redaktionsmitglied Tilman Vögele-Ebering tilman.voegele@konradin.de

Wenn Jochen Trautmann über die einschlägigen Messen der Blechbranche geht, traut er oft seinen Augen nicht. Die Produkte des eigenen Unternehmens findet er da in polierten Vitrinen: Dichtungen, Wasserstrahl-Schneidköpfe, Zylinder. Es sind Nachbauten, teils illegal, teils am Rande der Legalität. „Das grenzt an Kriminalität“, urteilt der Geschäftsführer der Flow Europe GmbH, „in solchen Teilen stecken oft 20 Jahre Entwicklung und Erfahrung.“
„Wir sind ständig im Visier von Produktpiraten“, erklärt der Chef der in Bruchsal ansässigen Europa-Zentrale des US-Spezialisten für Wasserstrahlschneiden. „Wir sind technologisch Marktführer und haben zugleich die größte Marktpenetration.“ Der Schaden sei immens für die 80-Mitarbeiter-Niederlassung, die selbst Forschung und Entwicklung betreibt: Trautmann rechnet mit Einbußen im „zweistelligen Millionen-Euro-Bereich“, vor allem aus entgangenem Ersatzteilgeschäft.
Der Fall Flow ist eher die Regel als die Ausnahme. Laut einer Mitgliederumfrage des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) e.V, Frankfurt/M., ist so gut wie jeder zweite Maschinenbauer aus Deutschland Opfer von Kopierern. Die Hälfte davon nennt China als Herkunftsland der Plagiate.
Gegen die Plagiatoren vorzugehen, ist leichter gesagt als getan, wie Flow-Chef Trautmann erfahren musste. Sein Unternehmen ist in vielen Varianten betroffen: Fälscher ahmen die Marke Flow nach, kopieren Gebrauchsmuster und ignorieren Patente. Außerdem werden laut Trautmann regelmäßig Teile nachgebaut, für die keine Schutzrechte bestehen. Es ist praktisch und rechtlich schlicht nicht möglich, alle Komponenten schützen zu lassen. Die Kopierer von Flow sind in ganz Europa zu Hause, kommen aber schwerpunktmäßig aus Spanien, der Tschechischen Republik und Italien. Als Mittelständler kann der Betrieb nicht jedem einzelnen Fall in jedem Land nachgehen.
Zu fürchten haben Kopierer meist wenig. Der Geschädigte kann im Idealfall nachgebaute Ware an der Grenze mit Hilfe der so genannten Grenzbeschlagnahme aufhalten – wenn er denn weiß, dass die Kopien kommen. Großkonzerne leisten sich für so etwas spezialisierte Detekteien. Mit einem Anwalt, Beweisen und viel Geduld gibt es dann einen Anspruch auf Unterlassung, gegebenenfalls auch Schadenersatz. Aber: Zu einem Prozess kommt es laut VDMA nur in einem Drittel der Fälle. Meist einigen sich die Parteien außergerichtlich. Die Verfahren ziehen sich meist lange hin, das Prozessrisiko ist beträchtlich.
Die Hälfte der Fälschungen kommt laut VDMA-Angaben aus China. Erst dieser Tage beklagte sich der Verband wieder bitterlich und forderte von der Politik ein härteres Durchgreifen: „Seit dem WTO-Beitritt im Jahr 2001 hat sich der Rechtsschutz nicht spürbar verbessert“, sagt Hartmut Rauen, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Verbandes.
Häufig stellen die nachgebauten Teile eine Gefahr dar. So warnte vor kurzem der Kugellagerhersteller INA/FAG per Pressemitteilung vor minderwertigen Lagern aus so genannten fliegenden Fabriken. Dabei handelt es sich um Kopierer, meist in Asien, die schnell die Firmenadresse wechseln, so dass sie trotz Ermittlungen und juristischen Kniffen kaum zu fassen sind.
INA/FAG will die Kunden jetzt für das Thema sensibilisieren. Selbst wenn die Verpackung perfekt erscheine, könne sich darin eine Fälschung befinden, warnt der Hersteller: Laufbahnen seien nicht gehärtet, der Korrosionsschutz fehle und statt Spezialstahl gebe es nur Standard-Stahl. Die Kunden sollten auf eine qualitativ hochwertige Stempelung achten und die Katalognummern vergleichen. Im Zweifelsfall gelte: Hände weg! Sonst drohen Maschinenausfälle und Sicherheitsmängel.
Mit diesem Problem haben auch die Bruchsaler Wasserstrahl-Spezialisten zu kämpfen. Immer wieder rufen bei Manfred Geiß, dem Leiter After Sales Service bei Flow, Kunden an, bei denen aus zunächst unerfindlichen Gründen die Anlage nicht das hält, was sie versprochen hat. „Wenn wir nachforschen, stoßen wir bei den Ersatzteilen immer wieder auf Kopien“, erläutert Geiß. Nachgebaute Dichtungen und Druckzylinder kommen laut Geiß oft zum halben Preis auf den Markt. Da könne Flow nicht mithalten. „In unseren Preisen steckt ja die Entwicklung mit drin“, verdeutlicht der Service-Chef. Einziger positiver Effekt: Nach Pannen achten reuige Kunden darauf, Originalteile zu beschaffen. „Der Anwender läuft sonst Gefahr, sich eine Zeitbombe einzubauen“, warnt Geiß. Wasserstrahlschneid-Anlagen arbeiten mit Drücken bis zu 4000 bar. Da mag ein Hersteller Standzeit und Sicherheit nur mit der Originaldichtung garantieren.
Für Maschinenbau-Unternehmen wird es aus Gründen der Produkthaftung entscheidend, Originalteile so zu kennzeichnen, dass die Herkunft zweifelsfrei bewiesen werden kann. Sonst muss der Hersteller für Schäden einstehen, die aufgrund von Piratenteilen entstanden sind. Entsprechende Markierungen gibt es versteckt oder sichtbar. Offene Technologien sind beispielsweise kleine Hologramme oder Farbfolien wie auf Geldscheinen, die von Anwendern, Zöllnern und Polizei erkannt werden. Versteckte Technologien sind nur mit Spezialausrüstung wie Lampen oder Lasern zu erkennen. „Die effektivste Methode, um Produkte vor Fälschungen zu schützen, ist eine Kombination aus beiden Techniken“, rät Jörg Biermann, Leiter des Geschäftsbereichs Security Market beim Technologiekonzern 3M in Neuss.
Der Wasserstrahl-Spezialist Flow will jetzt auf allen Gebieten aktiver werden, um sich vor Nachbauten zu schützen, wie Geschäftsführer Trautmann ankündigt. Konzernweit, mit der US-Mutter, wolle man zudem die rechtlichen Mittel besser ausschöpfen. „Das Thema Produktpiraterie wird immer noch totgeschwiegen“, klagt der Flow-Chef , „es ist Zeit, dass man sich offensiver damit auseinandersetzt.“
Was ihn auf Messen und in Internet-Katalogen immer wieder wundert, sei die Dreistigkeit, mit der für Nachbauten öffentlich geworben werde. Trautmann: „Da gibt es bei vielen überhaupt kein Unrechtsbewusstsein.“
Moderne Technologie zur Kennzeichnung schützt Hersteller

Aktion Plagiarius: Nachahmer anprangern
Der von Plagiatoren und Fälschern gefürchtete Negativpreis Plagiarius wurde dieses Jahr bereits zum 29. Mal verliehen. Symbolfigur des 1977 von Designer Rido Busse initiierten Preises ist ein schwarzer Zwerg mit goldener Nase. Der Plagiarius soll nach dem Willen der Initiatoren öffentlich die Unverfrorenheit und Skrupellosigkeit von Nachahmern anprangern. Die EU- Kommission schätzt, dass heute bereits 7 % bis 10 % des Welthandels Fälschungen und Plagiate sind, wie die Initiative betont. Dadurch entstehe weltweit ein volkswirtschaftlicher Schaden in Höhe von 200 bis 300 Mrd. Euro pro Jahr, 200 000 Arbeitsplätze würden vernichtet.
Binnenmarktkommissar Fritz Bolkestein ruft zum konsequenten Vorgehen auf: „Nachahmer und Produktpiraten untergraben den legalen Handel und senken die Innovationsbereitschaft. Sie bringen die Rechte-Inhaber um den Lohn für ihre Arbeit. Wenn wir dem keinen Riegel vorschieben, gehen die Anreize für Innovation und kulturelles Schaffen verloren.“
Die Jury vergab dieses Jahr drei Preise, sechs Auszeichnungen und einen Sonderpreis aus insgesamt 30 Einsendungen. Den ersten Platz belegte die Kopie einer Armatur von Dornbracht.

Richtig Vorgehen
Fälschungen erkennen
Dass er kopiert wird, erkennt ein Hersteller an mehreren Symptomen:
  • Marktanteile gehen plötzlich zurück
  • Kundenbeschwerden und Maschinenausfälle nehmen zu
  • Es tauchen – vor allem in Asien – plötzlich neue Marktteilnehmer auf
  • Es kommen vermehrt Hinweise von Händlern, Wettbewerbern und Kunden
  • Die meisten Geschädigten erfahren auf Messen von Nachbauten
Kontakte
Verschiedene Informationsquellen und Organisationen geben Ratschläge:
  • www.markenpiraterie-apm.de Der Aktionskreis Deutsche Wirtschaft gegen Produkt- und Markenpiraterie e.V. (APM), 1997 von DIHK, BDI, dem Markenverband sowie von 15 Unternehmen gegründet
  • www.grenzbeschlagnahme.de Zentralstelle Gewerblicher Rechtsschutz der Zollverwaltung
  • www.gacg.org Global-Anti-Counterfeiting Group (GACG), Dachorganisation der Anti-Piraterie-Verbände in Paris
Unsere Webinar-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de