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Risikomanagement wird erste Lieferanten-Pflicht

Herausforderungen im neuen Geräte- und Produktsicherungsgesetz
Risikomanagement wird erste Lieferanten-Pflicht

Risikomanagement wird erste Lieferanten-Pflicht
Gegen die Uhr: Erfährt ein Hersteller von Mängeln, muss er nach der neuen Rechtslage sofort die Behörden verständigen und gegebenenfalls eine Rückrufaktion in die Wege leiten (Bild: Photo Alto)
Die neuen Anforderungen bei der Produktsicherheit (GPSG) beeinflussen die gesamte betriebliche Organisation der Zulieferer. Notwendiger Versicherungsschutz ersetzt dabei nicht unternehmerisches Handeln.

Thomas Baumgärtner ist Journalist in Kusterdingen

Er gehört wohl noch immer zu den folgenschwersten Fällen fehlerhafter Produkte: Bridgestone/Firestone tauschte im Jahr 2000 über 14 Millionen Off-Road-Reifen aus, die Ford größtenteils auf dem Geländewagen Explorer montiert hatte. Die Reifen wurden mit 271 Todesfällen in Verbindung gebracht. Der Schaden belief sich für Bridgestone auf 3 Mrd. US-$. Bridgestone schloss daraufhin sein drittgrößtes Werk in den USA und entließ mehrere tausend Mitarbeiter.
Immer wieder sorgen Rückrufaktionen – besonders die von Automobilherstellern – für Schlagzeilen. Und sie nehmen zu. Allein 2003 wurden in Deutschland 939 884 Autos mit 144 Rückrufen in die Werkstätten zurückgeholt. Die Zahl hat sich seit 1997 mehr als verdoppelt. „Steigender Kostendruck und immer kürzere Modellzyklen“, so Tüv-Experte Bert Korporal, „lassen kaum noch Raum für eine vernünftige Abstimmung einzelner Bauteile mit dem Gesamtfahrzeug.“
Viele Mängel treten oft erst nach Auslieferung zutage. Und häufig bleiben die näheren Umstände der Rückrufe unklar. „Es hat sich eingebürgert, Rückrufaktionen ohne weitere Zusatzerklärungen zu kommunizieren“, sagt Dr. Konrad Weßner. Weßner ist Geschäftsführer des Nürnberger Marktforschungsinstituts Puls, das jüngst eine Studie über Auto-Rückrufaktionen vorlegte.
Ein neues Gesetz soll nun für besseren Schutz der Verbraucher und für klare Regeln für Rückrufaktionen sorgen. Das Geräte- und Produktsicherungsgesetz (GPSG) ist zwar schon seit Mitte 2004 in Kraft – in der Wirklichkeit, der industriellen Fertigung, scheint es allerdings noch nicht so richtig angekommen zu sein. Insbesondere Zulieferer, deren angeblich schadhafte Teile viele Rückrufaktionen auslösen, wissen gar nicht, ob sie von dem neuen Gesetz überhaupt betroffen sind. Wenn ja, dann müssen unter Umständen betriebliche Abläufe erheblich verändert und neue Vorschriften eingehalten werden:
So besteht für Hersteller und Händler nach dem GPSG eine Informationspflicht gegenüber den Behörden. Geht von ihrem Produkt Gefahr für Sicherheit und Gesundheit aus, müssen »Hersteller, Bevollmächtigte und Importeure« unverzüglich die Behörden unterrichten und mit ihnen zusammenarbeiten. Diese oft als Selbstanschwärzungspflicht bezeichnete Vorgabe kommt für viele Unternehmen überraschend. Sie sollte schon wegen einer möglichen Geldbuße von bis zu 30 000 Euro keinesfalls ignoriert werden.
Die zuständigen Behörden sollen eine „systematische Vorgehensweise“ entwickeln, um den Markt noch effizienter zu überwachen. „Dazu gehören sicherheitstechnische Produktuntersuchungen ebenso wie das erweiterte Recht, Produkte zu verbieten, zu ihrer Rücknahme oder ihrem Rückruf aufzufordern oder öffentlich vor ihnen zu warnen“ fasst der Tüv-Süd in einer Handreichung zum neuen Gesetz zusammen. Aus Sicht von Fachanwalt Dr. Thomas Klindt ist dies „ein Katalog mit einer Schärfe, die größer ist als fast alles, was die
Konkurrenz auszurichten vermag“. Klindt, neben seiner anwaltlichen Tätigkeit in der Kanzlei, Nörr, Stiefenhofer, Lutz (München) auch noch Lehrbeauftragter für Produkt- und Technikrecht, prophezeit: „Die Industrie wird mit mehr Produktkontrollen rechnen müssen.“
Derzeit streiten die Juristen noch darüber, welche Industrie das sein wird. Ob Zulieferer mit eingeschlossen sind, ist deshalb Gegenstand der Diskussion, weil das Gesetz den Begriff Zulieferprodukt nicht kennt. Vielmehr ist die Rede von Verbraucherprodukten und von Arbeitsmitteln. Zu den Arbeitsmitteln zählen, neben den bekannten Klassikern, auch Teilprodukte. Beispielsweise Erodierelektroden oder andere Werkzeuge für Maschinen. (Weiter nächste Seite.)
Schwieriger fällt die Definition bei den, vom Gesetz so genannten, Verbraucherprodukten. Wer glaubt, das seien nach dem Wortsinn nur diese, die für den Verbrauer bestimmt sind, kennt die Juristen schlecht: Während sich Dr. jur. Peter Anhalt, Richter i.R, wohl eher an den Wortsinn hält („Nachgefragt“ nächste Seite), fasst Rechtsanwalt Thomas Wilrich, ebenfalls promovierter Jurist, die Definition wesentlich weiter. Der Verfasser eines Kommentars zum neuen GPSG veranschaulicht seine Sicht an einem Beratungsfall. Ein Hersteller für Lüfter für technische Geräte hatte ihn gefragt, ob seine Produkte unter das Gesetz fallen. Wilrich riet dem Zulieferer, sich voll und ganz auf das GPSG einzurichten.
Seine juristische Argumentation greift zurück auf EU-Richtlinien und andere Verordnungen. Für den Laien: Solange ein Produkt – auch wenn nicht dafür bestimmt – irgendwie in die Hände des Endverbrauchers gelangen kann, gilt das GPSG.
Und das hat Folgen: Grundsätzlich sind Unternehmen frei in der Art, wie sie sich organisieren. Doch diese Organisationsfreiheit wird durch das GPSG eingeschränkt. Wenn die Möglichkeit besteht, dass ein fehlerhaftes Produkt im Umlauf ist, von dem eine Gefahr für Sicherheit und Gesundheit ausgeht, muss der Hersteller die Behörden informieren. Auch dann, wenn ihn keine Schuld an dem Fehler trifft.
Unternehmen und Behörde müssen geeignete Maßnahmen finden: von der Warnung bis zum Rückruf. Ein Hersteller, der aus Sicht der Behörde nicht die richtigen Maßnahmen veranlasst, kann schließlich von der zuständigen Behörde dazu durch Anordnung gezwungen werden.
Und wenn der Hersteller dann immer noch nicht tätig wird, kann die Behörde für ihn handeln und ihm die Kosten aufbürden.
Das läuft im Prinzip darauf hinaus, dass Unternehmen Rückruf-Management-Systeme installieren müssen. Durch solche Systeme wird die innerbetriebliche Organisation auf den Prüfstand gestellt.
Jeder Unternehmer wird sich fragen müssen, ob er ohne Probleme seine Produkte zurückverfolgen und einzelne betroffene Chargen herausfiltern kann. Ebenso sind Regeln aufzustellen, sodass jeder Mitarbeiter weiß, was im Falle eines Produktrückrufes zu tun ist.
Für Produkthaftung und auch für Rückruf ist im Prinzip Versicherungsschutz möglich. Doch „Probleme mit der Produkthaftung werden nicht dadurch gelöst, dass eine Produkthaftpflichtversicherung abgeschlossen wird“, heißt es in einer Informationsbroschüre, die herausgegeben wird, von jemand, der es wissen muss – der HDI Industrie Versicherung AG, Hannover. Und weiter raten die Versicherungsprofis: „Dieser Versicherungsschutz ist vielmehr ein zentraler Baustein innerhalb eines Risikomanagement-Konzepts.“
Im Zweifel gilt auch für Zulieferer das GPSG
Management-Systeme für den Rückruf müssen bereit sein

„Die Endhersteller tragen die Verantwortung“

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Nachgefragt

Dr. jur. Peter Anhalt, Richter im Ruhestand und Spezialist für Fragen der Produkthaftung sowie Seminarleiter, rät hinsichtlich des Geräte- und Produktsicherheitsgesetzes zu Gelassenheit.
Das Gespräch führte Thomas Baumgärtner
Sind Unternehmen ausreichend mit dem GPSG bekannt?
Größere Hersteller sind in juristischen Fragen meist gut aufgestellt. Doch insgesamt kennt sich nach meiner Beobachtung die Mehrzahl der Unternehmen noch zu wenig mit dem Gesetz aus.
Hat sich für Zulieferer durch das neue Gesetz etwas geändert?
Im Wesentlichen nein. Das Gesetz betrifft vor allem die Endhersteller. Sie tragen die Verantwortung für die Sicherheit und Ungefährlichkeit des Produktes.
Ist nach Inkrafttreten des GPSG schon viel Streit entstanden? Mussten Gerichte entscheiden?
Nach meiner Kenntnis gibt es noch keine höchstrichterlichen Entscheidungen zu diesem Gesetz. Dafür ist es noch zu jung. Bei Fragen der Produkthaftung ist das anders. Da existiert eine ganze Reihe von Grundsatzentscheidungen.
Dient das GPSG vor allem dem Verbraucherschutz?
Ja, das ist seine Zielrichtung. Das neue Gesetz setzt entsprechende EU-Richtlinien in nationales Recht um. Es löst das Gerätesicherheitsgesetz und das Produktsicherheitsgesetz ab. Nicht aber das Produkthaftungsgesetz.
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