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Sauber, aber noch lange nicht rein

Neue VDA 19 macht Analyseergebnisse zur Partikelverschmutzung an Bauteiloberflächen vergleichbar
Sauber, aber noch lange nicht rein

Sauberkeit | In vielen Branchen ist die technische Sauberkeit funktionsrelevanter Bauteile ein Kriterium für Qualität. Die Automobilhersteller und ihre Zulieferer orientieren sich dabei an der VDA 19. Diese ist überarbeitet und damit konkreter geworden. Davon profitieren auch andere Branchen. §

Autor: Sabine Koll

„Keine Angst – die neue VDA 19 ist zwar umfangreicher als die alte Version, doch ist sie in vielen Punkten wesentlich eindeutiger und damit auch praktikabler geworden“, stellt Volker Burger klar, Geschäftsführer der Cleancontrolling GmbH. Das Unternehmen mit Sitz in Emmingen-Liptingen kennt sic, wie der Name schon verrät, mit dem Thema technische Sauberkeit aus. Es führt in seinem akkreditierten Prüflabor für verschiedene Branchen Restschmutz- beziehungsweise Sauberkeitsanalysen durch, berät seine Kunden diesbezüglich und war deshalb auch an der Entstehung der neuen VDA 19 beteiligt – als eine von insgesamt 56 Organisationen.

Seit gut zwei Jahren haben sie gemeinsam unter der Leitung des Fraunhofer Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA im Industrieverbund Technische Sauberkeit 2.0 (Tecsa) das Rahmenwerk überarbeitet – darunter die Fahrzeughersteller Audi, BMW, Daimler, Porsche und Volkswagen, 19 Zulieferbetriebe,15 Dienstleister und Hersteller von Geräten und Anlagen für Sauberkeitsanalysen sowie drei Verbände. Das Ergebnis liegt nun als sogenannter Gelbdruck vor. Das heißt, derzeit werden noch die letzten kleinen Änderungen eingearbeitet, bevor dann im Februar 2015 die endgültige Fassung als Rotdruck erscheint.
Andere Branchen adaptieren das Gedankengut der VDA 19
Zwar lautet der Titel der neuen VDA 19 „Qualitätsmanagement in der Automobilindustrie – Prüfung der technischen Sauberkeit“, doch betont Burger: „Das unverbindliche Regelwerk ist nicht nur für Automobilhersteller und ihre Zulieferer von Interesse, sondern auch für andere Branchen wie beispielsweise die Medinzintechnik oder die Feinwerktechnik und andere Branchen. Sie alle adaptieren das Gedankengut der VDA 19 immer mehr, die Automobilbranche nimmt hier sozusagen eine Vorreiterrolle ein.“ Entstanden ist der erste Teil der Empfehlungen zur Prüfung der technischen Sauberkeit 2001 – ein zweiter Teil, „Technische Sauberkeit in der Montage“, der sich mit den organisatorischen Erfordernissen befasst, folgte vor fünf Jahren.
Seit 2001 haben sich die Anforderungen an die technische Sauberkeit funktionsrelevanter Bauteile im Automobil deutlich erhöht. „Es wurden seitdem in den Fahrzeugen immer mehr sensible Systeme eingeführt, forciert vor allem durch Kraftstoffeinsparung und Downsizing von Motoren“, erklärt Burger. „Die technische Sauberkeit ist mittlerweile bei vielen Bauteilen zu einem Standardmerkmal auf Konstruktionszeichnungen geworden, ähnlich wie etwa die Oberflächenrauhigkeit“, so Burger. Kein Wunder, denn Partikelverunreinigungen können schließlich im Extremfall zum Ausfall etwa von Bremssystemen führen.
Dadurch ist die Zahl der notwendigen Analysen drastisch in die Höhe gegangen: Cleancontrolling zum Beispiel führt am Tag circa 60 Analysen durch, gestartet ist das Unternehmen vor zehn Jahren mit einigen wenigen Beprobungen am Tag. Insgesamt gibt es in Deutschland nach Schätzungen des Fraunhofer IPA rund 40 Dienstleister für das Thema technische Sauberkeit. „Doch nur fünf bis zehn Prozent aller Analysen werden von Dienstleistern durchgeführt, der große Rest verteilt sich auf Labore der Automobilhersteller und ihrer -zulieferer“, sagt Dr. Markus Rochowicz, Gruppenleiter Kontaminationskontrolle am Fraunhofer IPA.
Hoher Aufwand durch die indirekten Prüfungen
Dazu muss man wissen: Bei der Prüfung der Technischen Sauberkeit handelt es sich um eine indirekte Prüfung, die einen Probenahmeschritt erfordert. Denn die relevanten Flächen von funktionskritischen Teilen liegen oft in Innenbereichen von Leitungen, Kanälen, Gehäusen, Tanks, Pumpen, Ventilen oder ähnlichen Komponenten, in denen häufig Fluide gefördert werden, die Partikel an empfindliche Stellen von Systemen transportieren können. Diese Innenflächen sind meist nicht für eine direkte taktile oder optische Inspektion zugänglich. Außerdem eignen sich ein Großteil der Oberflächen aufgrund von Material, Rauheit und mangelndem Kontrast zu den Partikelverunreinigungen nicht für eine optische Inspektion.
Deshalb sind für Analysen der Technischen Sauberkeit zunächst sogenannte Extraktionen notwendig. Dabei werden die Partikel im ersten Schritt über einen Laborreinigungsschritt vom Prüfteil abgereinigt. Anschließend erfolgen die Filtration des kompletten Extraktionsmediums und die Abscheidung der vom Bauteil extrahierten Partikel auf einem Analysefilter, der dann der eigentlichen Analyse zugeführt wird.
Die Krux an der Sache: Die Messergebnisse der Analysen schwankten in der Vergangenheit stark je nach gewähltem Extraktionsverfahren und ausgewerteten Parametern. „Bei den Extraktionsparametern gewährte die alte VDA 19 den Laboren große Freiheiten: Ein Labor beprobte mit 1000 ml Flüssigkeit, ein anderes mit 50 ml. Dies führte zwangsläufig zu unterschiedlichen Ergebnissen; mit der Folge, dass manche Kunden verunsichert waren“, sagt Burger. Auch der Einsatz unterschiedlicher Hersteller und unterschiedlicher Konzepte führte immer wieder für Verwirrung.
Einheitliche Parameter sorgen für Klarheit beim Beproben
„Die alte VDA 19 war an vielen Stellen zu ungenau formuliert, das hat man nun geändert“, fasst der Geschäftsführer von Cleancontrolling zusammen. „In Bezug auf die Parameter, wie ein Bauteil beprobt wird, wurde nun für Einheitlichkeit gesorgt. Das macht es für die Labore einfacher.“
Richtlinien für einheitliche Extraktions- und Standardanalyseverfahren standen daher im Mittelpunkt bei der Überarbeitung der VDA 19. Denn nicht nur Parameter wie Volumenstrom oder Ultraschallleistungsdichte, sondern bereits die Auswahl des Extraktionsverfahrens selbst (Spritzen, Ultraschall, Spülen oder Schütteln), blieb bisher vollständig dem Anwender überlassen. Um für die überarbeitete VDA 19 eine Entscheidungsmatrix zu erstellen, die es dem Anwender ermöglichen soll, das geeignete Extraktionsverfahren für seine Prüfaufgabe zu wählen, wurde nun eine umfangreiche Bewertung durchgeführt.
Das Ergebnis dieser Analyse ist die Einteilung von Automobilteilen in acht Gruppen – je nach Größe, Komplexität und Lage der sauberkeitsrelevanten Flächen – die bestimmten Extraktionsverfahren oder einer Kombination mehrerer Verfahren zugeordnet werden können.
Es muss nicht immer Kaltreiniger sein: Luft ist als Prüfmedium nun zugelassen
Zudem wurde eine vorgeschaltete Anlöseprozedur formuliert, die zum Beispiel bei Bauteilen, die aufgrund von Konservierung ein verzögertes Abklingverhalten zeigen, angewendet werden kann. Zugelassen sind nun erstmals auch Extraktionsverfahren, die mit Luft als Prüfmedium arbeiten: Das Abblasen des Prüfteils mittels Druckluft und das Durchströmen eines Bauteils etwa aus dem Ansaugbereich eines Motors. „Dies ist vor allem für solche Bauteile von Interesse, die in der Anwendung später nicht mit Flüssigkeit in Kontakt kommen oder die aus Werkstoffen bestehen, die sensibel auf die Chemikalien reagieren“, erläutert Burger.
Um die Vergleichbarkeit von Analysen zu verbessern, wurde in der neuen VDA 19 System- und Einstellungskonventionen für Standardanalysen mit Gravimetrie und/oder lichtoptischen Analysen per Mikroskop und neuerdings auch per Flachbettscanner festgelegt. Auch wurden weitergehenden Analyseverfahren für die Materialbestimmung oder 3D-Geometrie-Erfassung – beides mit dem Ziele der Prozessoptimierung und Ursachenforschung – definiert: Dies sind Methoden wie LiBS, Raman- oder IR-Spektroskopie, lichtoptische Partikelhöhenbestimmung und Mikro-Computertomografie – neue Techniken für die weitergehende Partikelanalyse zur technischen Sauberkeit.
Und schließlich spricht die Empfehlung des VDA erstmals auch die Möglichkeit verkürzter Analysen an, bei denen auf einen Filtrationsschritt verzichtet werden kann und so die Analyseergebnisse sehr schnell vorliegen, was für ein datenintensives Monitoring interessant sein kann.
Kurzanalyseverfahren sind noch relativ ungenau
Hier sind auch die bisher enthaltenen Flüssigkeitspartikelzähler aufgeführt und ein neues System auf Basis einer optischen Erkennung und Vermessung von Partikeln, die ein Analysesieb im Medienstrom belegen. „Wegen unterschiedlicher Detektionsprinzipien sind solche Kurzanalyseverfahren aber noch sehr ungenau. Deshalb werden die meisten Analysen nach wie vor im Labor stattfinden“, ist sich Burger sicher.
Allerdings müssen sich Laborbetreiber künftig wohl auf höhere Investitionskosten einstellen, wenn sie sich an der VDA 19 orientieren: Die Sicherheitsauflagen bezüglich der Verwendung der Analyseflüssigkeiten, Kaltreiniger in der Hauptsache, wurden nämlich erhöht. Damit will man – etwa durch Absauganlagen – für einen größeren Arbeitsschutz sorgen. Notwendig werden dadurch nach Einschätzung von Burger bauliche Maßnahmen bei den Spülkabinetts erforderlich. „Dies wird den Preis für den Neubau von Laboren erhöhen“, ist der Cleancontrolling-Geschäftsführer überzeugt. Doch geht er nicht davon aus, dass Diensleister dadurch den Preis für die Analyse nach oben anpassen werden: „Der aktuelle Preisdruck auf dem Markt lässt dies nicht zu.“
Der Experte geht davon aus, dass nach der Veröffentlichung der endgültigen Fassung der VDA 19 „so mancher Fahrzeughersteller seine Werksnormen zurückziehen und stattdessen direkt auf die neue VDA 19 verweisen wird, wenn es um technische Sauberkeit geht“. Im nächsten Schritt sollen die Neuerungen der VDA 19 nun auch in die ISO 16232, das internationale Gegenstück zur VDA 19, integriert werden. Das Fraunhofer IPA führt bereits Gespräche auf internationaler Ebene.
Konstrukteuren fehlen nach wie vor konkrete Hilfestellungen
Auf den Industrieverbund Tecsa könnte in den nächsten Jahren außerdem weitere Arbeit zukommen: „Ein weiteres Buch, gezielt für Konstrukteure, würde Sinn machen“, so Burger. Denn die in der VDA 19 aufgeführten Hinweise zum sauberkeitsgerechten Konstruieren sowie zur Festlegung von Partikelgrößen gehen vielen Experten nicht weit genug. Burger: „Die existierende Diskrepanz zwischen dem, was konstruktiv gefordert wird, und dem, was fertigungstechnisch möglich ist, ist in vielen Fällen zu groß. Es gilt, die Schädigungsmechanismen von größeren Schmutzpartikeln besser zu verstehen und die schädigende Wirkung nachvollziehen zu können. Um dann gezielt die Grenzwerte auf die Applikation anwenden zu können. Dies zu erkennen, ist schwierig für Konstrukteure. Sie bräuchten im Grunde eine praxisnahe Hilfestellung.“ •
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