Startseite » Allgemein »

Schwach in der Testphase, unschlagbar in der Großserie

Transferstraßen behaupten sich gegenüber verketteten Zentren
Schwach in der Testphase, unschlagbar in der Großserie

Verdrängen flexible Zellen die Transferstraße? Oder kehrt sich hier ein Trend um? Die Redaktionen Industrieanzeiger und mav haben Branchen-Insider befragt.

Von Chefreporter Wolfgang Filì

Die Fertigung ruft nach mehr Flexibilität. Warum erobern starre Straßen trotzdem verlorenes Terrain zurück?
Rolf Klenk, Gebr. Heller: Die Transferstraße war niemals außer Konkurrenz. Sie hat auch kein Terrain verloren. Sie sieht heute nur anders aus als noch vor Jahren. Der Grund: Time-to-market-Zeiten und Modellwechsel-Zyklen schrumpfen, deshalb müssen Fertigungsmittel flexibler im Einsatz und in der Investitionsphase sein, sollen unterschiedlichste Losgrößen abfangen und in kurzer Zeit hochlaufen. Erweiterungen müssen entlang des Fertigungsvolumens möglich sein. Diese Bedingungen bestimmen die Grenze getakteter Systeme. Auf Zentren werden von geeigneten Werkstücken bestenfalls bis zu 400000 Stück im Jahr gefertigt.
Lothar Ophey, Ex-Cell-O: Seit Mitte der 80er Jahre gibt es einen schleichenden Übergang von den starren, getakteten Straßen auf flexible Linien. Parallel hierzu entstanden immer brauchbarere, weil intelligente Lösungen auf Basis von Bearbeitungszentren. Eine Ursache dafür ist der dramatische Preisverfall der Steuerungstechnik bei gleichzeitiger Leistungssteigerung. Insofern gleichen getaktete und flexible Systeme sich immer mehr an: Erstere werden zunehmend flexibel, letztere immer produktiver. Aber: Bedingt durch die Enge lassen sich Werkzeuge und Spannelemente in kompakten Zentren oft nicht optimal einsetzen.
Vor der Großserie steht die Testphase. Dafür werden unterschiedliche Maschinen benötigt. Wie lässt sich das Dilemma lösen?
Markus Imoberdorf, Imoberdorf: Zunächst einmal dies: Bei Taktzeiten unter 20 Sekunden mit zehn und mehr verschiedenen Werkzeugen ist die Rundtaktmaschine allein wegen der kurzen Span-zu-Span-Zeiten und dem geringen Platzbedarf nebst einfachem Handling unschlagbar. Spätere Anpassungen sind bei modernen Transfermaschinen jederzeit möglich. Konzeptionelle Schwachstellen – dies trifft zu – sind die Wiederverwendbarkeit der Maschine und ihre Rolle zwischen Prototyp-Fertigung und der Serienreife der Werkstücke. Das Gegenargument? Fast jedes Unternehmen hat heute flexible Zentren, die nach Prototyp und Erstserie von den Produktions- und Transfermaschinen abgelöst werden können. Dann sind sie wieder frei für die Testphase anderer Produkte.
Karl Deufel, Chiron-Werke: Meiner Erfahrung nach wollen die Betriebe selten mit einer kleinen Lösung starten, sondern sofort mit dem Equipment für die spätere Großserie. Dazu bedarf es Maschinen, die sowohl in Klein- und Mittelserien, als auch in der Großserienfertigung produktiv und wirtschaftlich sind.
Ottmar Fehn, Giuliani & Iemca: Man muss über die Teile sprechen, die bearbeitet werden sollen: Bei kubischen Werkstücken mit Fünf-Seiten-Bearbeitung ist die Transferstraße immer noch das Nonplusultra für den Anwender. Verkettete Zentren bieten eine ähnliche Wirtschaftlichkeit nur bei Kleinserien und im Fertigungsanlauf. Bei hohen Stückzahlen sind nur Transfermaschinen sinnvoll.
Thomas Treib, Mikron Agno: „Transfer“ heißt, dass für jede Operation je eine Station zur Verfügung steht. Das bedeutet in der Konsequenz schnellere Taktzeiten und weniger Platzbedarf als beim einzelnen Bearbeitungszentrum. Wenn man nun ein lineares Transfer- oder Rundtaktsystem anbieten kann, das auf den Bearbeitungswunsch des Kunden hin skaliert wird – also vergrößert oder für kleinere Teile kompakter gebaut wird –, kann der Anwender beim gleichen Maschinentyp bleiben. Damit spart er Schulungs- und Umgewöhnungszeit.
Die Losgrößen sinken. Welche Branche kann schon heute auf getaktete Systeme verzichten?
Peter Schmidbauer, Heckert: Der Flugzeugbau beispielsweise ist definitiv kein Anwender von Transfersystemen. Die dort gefertigten Werkstücke sind in der Regel groß, die Bearbeitungszeiten lang und die die verlangte Genauigkeit äußerst hoch. Getaktete Systeme rechnen sich hier kaum. Der Trend ist eindeutig: In diesem Marktsegment werden mehr und mehr Flexible Fertigungszellen installiert.
Wie sinnvoll ist die Kombination flexibler und starrer Fertigungssysteme?
Treib: Es gibt ein grunsätzlichen Problem bei der Gegenüberstellung von Transferstraßen jeder Spielart und den Bearbeitungszentren. Die getakteten Systeme bearbeiten das Werkstück auf lediglich einem Spannmittel. Dadurch ist das Teil schneller positioniert. Es muß nicht um- gespannt werden. Andererseits sind die Zentren dafür im Normalfall steifer und arbeiten auch genauer. Lässt man die Überlegungen zum Nutzen der Maschinen in der Prototyp- und Großserienfertigung einmal außen vor, kann eine Kombination von getakteten und flexiblen Fertigungsmitteln auch unter diesem Gesichtspunkt sinnvoll sein.
Werner Bürgel, Grob-Werke: Die Auftragssituation zeigt doch, dass je nach Fertigungsaufgabe beide Lösungen leben und auch weiterentwickelt werden. Ich denke, Transferstraßen und flexible Systeme haben beide ihre Berechtigung und werden je nach Bedarf auch von uns realisiert. Wir müssen beide Möglichkeiten für unsere Kunden vorhalten.
Treib: Nur sind Bearbeitungszentren gegenüber getakteten Systemen um rund 40 bis 50 Prozent teurer. Das macht sich besonders bei kleinen Werkstücken bemerkbar. Andererseits sind die BAZ – umso mehr, wenn sie verkettet sind – bei der Fertigung von bis zu 150000 Teilen pro Jahr durchaus konkurrenzfähig.
Wie sieht es aus mit der Trockenbearbeitung von Stahl und zähen Stoffen in getakteten Systemen?
Ophey: Trockenbearbeitung ist auch in Transfersystemen prinzipiell kein Problem. Beispielsweise wird Guss dort bereits seit Jahren ohne Einsatz von Kühlschmierstoffen zerspant. Die Prozessfähigkeit ist durch die Bearbeitung von 300 Getriebegehäusen in Serie nachgewiesen. Schwierig ist hingegen die Bearbeitung von Stahl. Leichtmetalle sind mittelfristig in den Griff zu bekommen.
Deufel: In den kommenden fünf Jahren wird ein Drittel aller Werkzeugmaschinen ohne Kühlschmierstoffe spanen. Der grundsätzliche Nachteil: Die Späne werden nicht weggespült, sondern bleiben liegen. Hier sind neue Ansätze gefragt. Systeme, die heute am Markt sind, lassen sich bestenfalls zu 20 Prozent bedenkenlos für die Trockenbearbeitung einsetzen. Auch die Werkzeuge sind nicht zwingend trockenbearbeitungsfähig. Die Schnittwerte liegen meist um 20 Prozent höher als bei der Nassbearbeitung.
Bürgel: Trockenbearbeitung ist interessant, aber noch nicht hinreichend prozesssicher. In der Großserie ist das ein K.O.-Kriterium.
Treib: Jede dritte Rundtaktmaschine läuft mittlerweile trocken – etwa bei Messing und anderen NE-Metallen. Beispiele dafür sind Kugelschreiber, Teile für Elektronikrechner. Leichtmetalle werden grundsätzlich nass bearbeitet.
Unsere Whitepaper-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de