Leichtbau | Thermoplastische Carbon-Composites sind der jüngste Leichtbau-Trend. Für die Automobilindustrie ist diese Technik ziemlich neu. Doch nun betritt ein relativ unbekannter Player die Bühne, der 25-jährige Erfahrung mitbringt: Xperion ist Stammzulieferer für Boeing und Airbus und fertigt solche Composites im kontinuierlichen Prozess. ❧ Olaf Stauß
„Performance Polymer Composites“ (PPC) nennt sich der Unternehmensbereich von Xperion, der in Markdorf jede Woche 3,5 km endlosfaserverstärkte Composite-Profile produziert. Der kleine Standort unweit des Bodensees ist im letzten Jahr enorm gewachsen. Die Mitarbeiterzahl ist von 24 auf 35 gestiegen, der Umsatz um 25 %. Die Profile sind aus thermoplastischen Composites, überwiegend mit Carbonfaser-Verstärkung. Sie gehen zu 80 % in die Luftfahrtindustrie und werden dort im Interieur der Flugzeuge verbaut. Zum Beispiel in den Trägerkonstruktionen für die Gepäckfächer oder in den Unterbauten von Küchen und Toiletten – in diversen Ausführungen und Abmessungen. Auch flächige Composite-Sheets für Abdeckungen sind darunter.
„Die endlosfaserverstärkten Thermoplastbauteile in der Boeing 787 stammen bestimmt zur Hälfte aus Markdorf“, schätzt Laurens de la Ossa, Senior Sales Manager. Die derzeit hochlaufende Produktion der B 787 steigert den Durchsatz mächtig. Darüber hinaus liefert Xperion PPC auch Composites für die Airbus-Maschinen A320, A330 und A350.
Die Markterfolge im Flugzeugbau gaben jedoch nicht den Ausschlag, dass nun auch der Automotive-Sektor auf Xperion aufmerksam wird. Die Automobilindustrie hat die Vorteile thermoplastischer Composites erkannt: Sie sind genauso leichtgewichtig wie duromere Composites, können aber in kürzerer Zeit verarbeitet werden. Durch ihre Schlagzähigkeit bieten sie noch bessere mechanische Eigenschaften und eine höhere Schadenstoleranz, außerdem lassen sie sich recyceln.
Hinzu kommt eine Besonderheit in Markdorf: Xperion produziert die Composites-Profile durch „Continuous Compression Moulding“ (CCM). Als Zwischenprodukt in dem kontinuierlichen Prozess entstehen flächige Laminate, die komplett konsolidiert sind. Sie werden inline im unmittelbar folgenden Schritt zum Profil umgeformt. Die hohe Qualität der Laminate ist die Voraussetzung dafür, dass das Umformen gelingt. Mit ihnen hat Xperion also jene Vorprodukte in der Hand, die die Automobilbauer benötigen, um sie als leichte „Organobleche“ wie Metallbleche umzuformen und ohne Mehraufwand in der Produktion eine Gewichtseinsparung beim Fahrzeug zu erreichen.
Der CCM-Prozess ist 25 Jahre alt. Die ersten Profile wurden bei Dornier gefertigt. Boeing signalisierte großes Interesse an der Methode, so dass die Technologie auch nach Abwicklung von Dornier weiterentwickelt wurde – seit 2007 unter dem Dach der 200 Mitarbeiter umfassenden Xperion GmbH & Co. KG, die Composites für unterschiedliche Branchen produziert. Xperion wiederum gehört zur Avanco-Gruppe mit über 500 Beschäftigten und Euro-Umsätzen im dreistelligen Millionenbereich. Die Qualität der CCM-Produkte ist inzwischen besiegelt: Xperion PPC steht in der „qualified suppliers list“ von Boeing.
„In den nächsten fünf Jahren werden wir unseren Umsatz in der Luftfahrt wahrscheinlich verdrei- oder verfünffachen“, schätzt de la Ossa. „Kommt das eine oder andere Automotive-Projekt dazu, könnten wir den Umsatz sogar verzehnfachen.“ Überlegungen für eine massive Vergrößerung der Produktionsfläche am Bodensee sind bereits im Gange.
Composites mit gekonntem Lagen-Aufbau können Titan-Bauteile substituieren
„Continuous Compression Moulding“ funktioniert so: Vor der Prozesskammer wird der Lagen-Aufbau aus UD-Tapes oder Prepregs vorbereitet. Auf bis zu 100 Rollen laufen kontinuierlich Bänder zusammen, die ihren Thermoplastanteil bereits in sich tragen. Die Lagen haben Faserrichtungen in 0°-, ±45°- und 90°-Richtung – je nach Maßgabe der zu erzielenden Composite-Eigenschaften. „Ordnet man die Fasern richtig an, kann man alles machen“, erläutert Laurens de la Ossa. „Beispielsweise Eigenschaften wie von Titan-Bauteilen erzielen. Macht man es aber falsch, landet man unterhalb des schlechtesten Aluminiums.“
Im Werkzeug werden die Lagen gezielt aufgeheizt, dann durch intermittierende Pressenhübe in Form gebracht und schließlich gekühlt. Das klingt simpel. Das Know-how liegt jedoch in der komplizierten 3D-Kontur des Werkzeugs, in der Temperierkurve und in der zeitlich richtigen Abstimmung aller Parameter aufeinander.
Die Liefermöglichkeiten reichen vom Laminat als Halbzeug über kleine Profilgeometrien bis hin zu meterlangen Composites, von denen eines auf der Messe JEC World zu sehen sein wird. Das größte Liefervolumen hat ein rund 20 mm breites „Krallenprofil“ aus Carbonfaser-verstärktem Thermoplast für den Flugzeugbau. Als Kopie eines früheren Alu-Strangpressprofils spart es 40 % Gewicht ein und kann doch 30 % höhere Lasten aufnehmen – aus Vorsicht wurde es überdimensioniert.
Die konstruktiven Möglichkeiten sind vielfältig. Auf de la Ossas Schreibtisch liegt ein Muster, das sich so dünn anfühlt wie eine Rasierklinge, nur 0,2 mm dick. Es umfasst nur zwei Gewebelagen. Hybride Profile aus Carbon- und Glasfasern sind ebenso möglich wie smarte Composites mit integrierten Funktionen wie Blitzschutz, Sensorik oder Lebensdauerüberwachung. Xperion liefert auch weiterbearbeitete und montierte Bauteile, die direkt eingebaut werden.
Und die Kosten? Natürlich höher als bei Aluminium, aber niedriger als gedacht. Als Hausnummer für ein Carbon-Standardhalbzeug gibt de la Ossa zwischen 50 und 80 Euro/kg an. Nicht unbedingt teuer für ein Material, das Titan substituieren kann und dazu noch sehr spezifische Aufgaben erfüllt.
Xperion auf der JEC World: Halle 5A, Stand H20
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