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Software-Entwickler werden zu Dienstleistern

ERP-Systeme wandeln sich mit den Anforderungen der Kunden
Software-Entwickler werden zu Dienstleistern

ERP-Systeme sind keine statischen Software-Gebilde, sondern werden im Idealfall permanent an die neuen Kundenanforderungen angepasst. Gleichzeitig steigt die Chance, dass spezifische Wünsche neuer Interessenten bereits mit dem Standard-Paket abgedeckt sind.

Torsten Krüger ist Fachjournalist in Berlin

Die Kernfunktionalitäten von ERP-Systemen sind oft weitgehend identisch. Da drängt sich zu Recht die Frage auf: Was macht die Qualität eines ERP-Systems eigentlich aus? „Wenn wir den Funktionsumfang der heutigen Systeme betrachten, dann haben wir 80 Prozent Kernfunktionalitäten, die tatsächlich identisch sind“, sagt Dr. Harald Hoff, unabhängiger ERP-/PPS-Experte und Geschäftsführer der Hir Hoff Industrie Rationalisierung GmbH in Wiesbaden. „Das ist wie bei einem Auto. Jedes Exemplar hat vier Räder, einen Motor, Türen und so weiter. Auf dieser Merkmalsebene hat man praktisch keine Möglichkeit mehr, zu differenzieren.“
Eine Analyse, die die Suche nach einem neuen System nicht gerade erleichtert. Software-Anbieter registrieren denn auch eine zunehmende Zögerlichkeit bei Interessenten. Verständlich, wenn man bedenkt, dass die Installation einer ERP-Software nicht nur mit hohen Investitionen verbunden ist. Einmal installiert, hängen Produk-tion, Buchhaltung und Logistik von der reibungslosen Funktion der Software ab. Klemmt es im System, wird unter Umständen die ganze Produktion gelähmt und fällt im schlimmsten Fall für mehrere Tage komplett aus. Die Folge: Umsätze brechen weg, Geschäftsbeziehungen zu Kunden und Partnern stehen auf dem Spiel.
Der reibungslose Einsatz eines ERP-Systems hängt wesentlich davon ab, wie gut es an die individuelle Umgebung des Anwenders angepasst ist. „Die Differenzierung beginnt da, wo ein Software-Anbieter Kernprozesse der Kunden abbildet, wo beim Kunden echte Wertschöpfung stattfindet“, versichert Experte Hoff.
Wenn es über die Kernfunktionalitäten hinaus geht, dann betreiben die meisten mittelständischen Anbieter auch eine gewisse Branchen-Fokussierung. Sie bieten spezielle Funktionalitäten an, wie etwa die Bündelung identischer Arbeitsgänge verschiedener Betriebsaufträge für Gießereien oder das Verwalten von Daten für Mindesthaltbarkeit und Serien-/Chargen-Informationen für die Prozessindustrie. Dabei liegt es in der Natur einer Standard-Software, dass sie spezielle Funktionalitäten nur bis zu einem endlichen Spezifizierungsgrad zur Verfügung stellen kann. Ein Standardsystem ist eben keine Individualsoftware.
„Schon bei den ersten Gesprächen mit Interessenten arbeiten wir heraus, an welchen Stellen Funktionalitäten fehlen“, berichtet Markus Schäfer, Mitglied der Geschäftsführung bei der Ordat GmbH in Gießen. Mit dem ERP-System Foss bietet die Software-Schmiede eine vollständig integrierte betriebswirtschaftliche Lösung an, die für alle Logistikbereiche eines Unternehmens und auch für alle Aufgaben des Finanz- und Rechnungswesens geeignet ist. „Fehlende Funktionalitäten werden gemeinsam mit dem Interessenten in einem Workshop eingegrenzt“, skizziert Schäfer das Verfahren. Auf diese Weise habe der Kunde maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung. Fehlende Funktionalitäten und Modifikationswünsche werden bei Ordat abgeschätzt und ein festes Angebot hinsichtlich Kostenaufwand und Termin erstellt.
Häufig kommt es bereits in der ersten Planungsphase zu Synergieeffekten, wenn das Projekt-Team auf Erfahrungen aus anderen Branchen zurückgreifen und Lösungsvorschläge unterbreiten kann. Markus Schäfer: „Nicht selten erkennen Anwender in den Gesprächen, wie sie ihre Geschäftsprozesse mit bereits vorhandenen Funktionalitäten wesentlich effizienter unterstützen können. Dabei funktioniert die Software ein wenig wie ein Baukasten.“
Bei solch intensiver Einbindung des Anwenders ist es wichtig, einen möglichst kurzen Draht zum Entwickler zu haben. So lassen sich spezifische Anforderungen direkt besprechen. Außerdem sollte der Berater über ausreichende Branchenerfahrung verfügen, entweder aus einer Reihe von Projekten, die er bereits betreut hat, oder aus der Praxis als Anwender.
„Dazulernen“, nennt es Ordat-Entwickler Christopher Blösser und meint damit die Weiterentwicklung der Standardsoftware auf spezielle Anforderungen der Anwender. Als Projekt-Betreuer für den Foss-Anwender Hüttenes-Albertus GmbH, Düsseldorf muss er nicht lange nach Beispielen suchen. Das Unternehmen ist Vorlieferant für die Gießerei-Industrie. Neben Bindemitteln auf Kunstharzbasis umfasst die Produktpalette fertig vorbereitete Kerne, Hilfsmittel für den Druckguss und chemisch-metallurgische Gießereiprodukte.
„Als chemisches Unternehmen arbeitet Hüttenes-Albertus mit Rezepturen statt mit Stücklisten. Hier haben wir gelernt, mehrere Rezeptur-Versionen als gültig zu verwalten“, erläutert Blösser. „Bis dahin konnte Foss entweder nur das eine oder das andere. Um der neuen Anforderung gerecht zu werden, wurde die Applikation um die entsprechende Funktionalität erweitert.“
Gelernt wurde auch bei der Gebindeverwaltung. Die behältergeführte Erfassung der Bestände, die bereits im Standard der Software enthalten war, wurde vom Entwickler-Team um eine automatische Verwaltung der Behälter-Reinigungsrhythmen erweitert. Eine Tüv-Terminverwaltung meldet außerdem den Zulassungsstatus und warnt rechtzeitig, wenn die Zulassung der Behälter abläuft.
Sämtliche Modifikationen werden von Ordat im Standard der Software realisiert und im Source-Code gepflegt. Der Kunde hat den Vorteil, dass er jederzeit auf das neueste Release wechseln kann. Gleichzeitig wächst mit jedem Kunden die Funktionalität der gesamten Software – und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass spezifische Anforderungen neuer Interessenten bereits im Standard abgedeckt sind.
„Foss deckte bereits einen großen Teil unserer besonderen Anforderungen ab“, erklärt Prof. Peter Lorenz, Vorstandsmitglied der Veritas AG in Gelnhausen. Veritas ist Zulieferer von Leitungssystemen für die Automobilindustrie und hat sich auf Dichtsysteme, Kraftstoffleitungen und Formteile spezialisiert. Als Glied in der Supply-Chain der Automobilindustrie ist die Logistik die Achillesferse des Unternehmens. „Für die korrekte und termingerechte Versorgung der Kunden muss die Logistik eine maximale Sicherheit und eine möglichst hohe Flexibilität gewährleisten“, erläutert Lorenz. „Eine optimale Lagersteuerung ist dabei für Effizienz und Qualität unabdingbar. Mit dem ERP-System konnten wir die Lagersteuerung problemlos in die Unternehmenslogistik integrieren und einen optimalen Informationsaustausch zwischen allen Unternehmenseinheiten realisieren.“
Vom Vorgespräch zum Echtbetrieb in 15 Monaten
Anpassungen mussten vorgenommen werden, um die funkgesteuerte papierlose Dokumentation und den papierlosen Versand in das ERP-System einzubinden. „Vom ersten Vorgespräch bis zum Echtbetrieb dauerte es gerade 15 Monate“, resümiert Lorenz. „Heute können wir über Funk alle Daten eines Packstücks direkt im System abfragen. Das bedeutet hohe Transparenz für Versand und Produktion.“ Informationen zum Versand- und Kommissionierungsprozess – etwa zum Stand einer bestimmten Lieferung oder zu notwendigen Aktionen – sind in Echtzeit verfügbar. Dabei läuft vom Wareneingang bis zur digitalisierten Ablage der Frachtbriefe alles papierlos.
Speziell für Veritas wurde zudem eine Simulation für Auftragsleitstellen entwickelt, mit der sich die Produktionskapazitäten optimal ausnutzen lassen. „Auf Grund dieser Anpassungen konnten wir einen Wettbewerbsvorteil erreichen“, betont Lorenz.
Standardlösungen sind inzwischen sehr flexibel. Die Anpassbarkeit an spezifische Anforderungen ist ein Qualitätskriterium, das in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird. Immer kürzere Veränderungszyklen, auch geprägt durch gewandelte Kundenwünsche, erfordern einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess für ERP-Systeme. Schon heute registrieren Software-Anbieter eine Verlagerung des Geschäfts in Richtung Dienstleistungen. Globale Entwicklungen in der Wirtschaftswelt werden auch an der Standardsoftware nicht spurlos vorübergehen. Fusionen, Übernahmen und Auslagerungen von Produktionsschritten hinterlassen schon jetzt deutliche Spuren in den ERP-Systemen.
„Die Integration der IT-Strukturen ist ein wichtiges Thema in den nächsten Jahren“, so Markus Schäfer von Ordat. „Der Trend, interne Geschäftsprozesse für Zulieferer, Kunden und Partner zu öffnen, oder IT-Strukturen kompatibel zu machen, ist eine große Herausforderung an ERP-Systeme. Die Interoperabilität der verschiedenen Applikationen muss dabei unterstützt werden.“ Auch ERP-Experte Hoff sieht in der Integration ein wichtiges Zukunftsthema: „Die Herausforderung ist, beliebige Prozesse so leicht miteinander koppeln zu können, als ob man einen Stecker in eine Steckdose steckt. Heute redet auch kein Mensch mehr über Schuko-Stecker. Es ist selbstverständlich, dass man sein Gerät überall anschließen kann“.
Industrieanzeiger
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