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Strategisch investieren zwischen den Seen

Ontario: Immer mehr deutsche Automobilzulieferer sind vor Ort
Strategisch investieren zwischen den Seen

Im Südwesten von Ontario/Kanda entsteht ein Zuliefer-Cluster, darunter viele deutsche Betriebe. Sie nutzen die strategischen Vorteile: niedrige Kosten und die Nähe zu den OEMs. Die Regierung tut eine Menge, damit diese Hersteller dem Standort treu bleiben.

Von unserem Redaktionsmitglied Tilman Vögele-Ebering tilman.voegele@konradin.de

Der junge Rasen vor der Fabrik ist gemäht, der Boden um die neu gepflanzten Bäume sorgfältig gemulcht. In der Eingangshalle und den Büros wirkt alles wie aus dem Ei gepellt. Betriebsamkeit herrscht in der Werkhalle: In diesen Tagen läuft im neuen Brose-Werk in London/Ontario die Produktion an. Die Mitarbeiter feilen an den Prozessen, um die Sitzversteller für Daimler-Chrysler punktgenau liefern zu können. „Dies ist hier eine strategische Investition“, sagt Stefan Fritzsche, Chef von Brose Kanada und Werkschef, „wir sind hier genau in der Mitte unseres Marktes.“
Die Fabrik ist nicht nur ein Montagewerk, sondern umfasst den kompletten Herstellungsprozess von der Presse bis zur Palette. „Wir wollen allen potenziellen Kunden zeigen, was wir können“, ergänzt Fritzsche.
Rund 50 Mio. Euro hat der Coburger Zulieferer in das neue Werk in Kanada, im Südwesten Ontarios, investiert. Derzeit beschäftigt die Fabrik 50 Mitarbeiter. Ende 2007 soll der Betrieb auf vollen Touren laufen und 400 Menschen Arbeit geben, 10 000 Sitzversteller und 3000 Türmodule sollen täglich vom Band laufen.
Die kanadische Provinz ist eine bedeutende Automobilregion. Vergangenes Jahr produzierten die Hersteller zwischen Ontario-, Huron- und Eriesee erstmals mehr Fahrzeuge als der Automobilstandort Michigan in den benachbarten USA. Die Provinz hat eine lange Autotradition: Schon Henry Ford baute dort eine Fabrik.
Es gibt zwölf Fahrzeugwerke für Personenwagen und leichte Nutzfahrzeuge, dazu zwei Lkw-Montagewerke: Daimler-Chrysler, GM, Ford, Honda, Toyota und Cami heißen die Hersteller. Sie beschäftigen knapp 48 000 Mitarbeiter. Rund 400 Automobilzulieferer mit rund 90 000 Beschäftigten haben sich in Ontario angesiedelt. Die meisten Fabriken liegen entlang der Fernstraße 401, die Südwest-Ontario durchquert: über Toronto bis Windsor an der Grenze zu den USA vor den Toren der Automobilstadt Detroit.
Brose ist mit seiner Standortentscheidung nicht allein. Unweit des Brose-Werks hat erst im Juni dieses Jahres der österreichische Zulieferer Starlim-Sterner seine neue Fabrik eingeweiht. Der Spezialist für das Spritzgießen von Flüssigsilikon stellt Dichtungen, Steckverbinder und Kabel-Isolierungen für die Automobilindustrie und die Medizintechnik her. In der blitzblanken Halle sind in der Anlaufphase zehn Spritzgießmaschinen im Einsatz. In der Halle ist insgesamt Platz für 50 Spritzgießautomaten gleichen Typs.
„Unser Unternehmen denkt langfristig“, erläutert Vice President John Timmermann. Der Standort sei das Ergebnis eines langen Auswahlprozesses. Acht Optionen in Nordamerika standen für das familiengeführte Unternehmen zur Diskussion. Schließlich entschieden sich die Österreicher für London/Ontario. Entscheidend sei die Nähe zu den Entwicklungszentren und den Kunden gewesen. Die Fachkräfte seien gut ausgebildet und das Lohniveau deutlich unter dem der benachbarten US-Bundesstaaten. Außerdem hat der strategische Lieferant für die Spritzgießmaschinen, der ebenfalls österreichische Hersteller Engel, seinen Sitz in der Region.
Rund um London hat sich inzwischen ein Zuliefer-Cluster mit vielen deutschen Firmen entwickelt: Der Kaiserslauterer Hersteller Keiper ist da, ZF Lenksysteme, Siemens VDO. In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche Ansiedlungen aus allen großen Zuliefernationen: Aus den USA hat vor kurzem Transform Automotive, ein Hersteller von Getriebeteilen, seine neue Fabrik in London eröffnet. Vor drei Jahren hat der japanische Hydroforming-Spezialist Amino seine erste ausländische Fabrik im benachbarten St. Thomas gebaut. Die Wirtschaftsförderer vor Ort geben sich dabei alle erdenkliche Mühe, wie einer der Manager berichtet.
Anders als viele Standorte schafft es die kanadische Provinz derzeit, die Automobilproduzenten zu Investitionen zu bewegen. Jüngstes Beispiel: Im Juni dieses Jahres hat Toyota angekündigt, für 800 Mio. kan-$ (rund 573 Mio. Euro) eine neue Autofabrik in Woodstock zu bauen. Die Provinzregierung schießt dabei ein Zehntel zu für die Infrastruktur und Qualifizierungsmaßnahmen für die Mitarbeiter. Mit 55 Mio. kan-$ versüßt die Bundesregierung den Japanern das Investment.
Hintergrund: Im Jahr 2004 legte die Provinzregierung ein 500 Mio kan-$ (rund 358 Mio. Euro) schweres Programm auf, um die Automobilindustrie zu stärken. Die Branche ist einer der wesentlichen Industriezweige im Bundesland, und angesichts der weltweit kriselnden Automobilbranche will die Regierung diese Schlüsselindustrie unterstützten.
Das Programm, Ontario Automotive Investment Strategy genannt, zeigt Wirkung: Ford investiert 1 Mrd. kan-$ (716,2 Mio. Euro) in das Werk Oakville, wo auch der Schwerpunkt der Brennstoffzellen-Aktivitäten des Konzerns entsteht. General Motors investiert 2,5 Mrd. kan-$ in seine kanadischen Werke. Die Investition läuft unter dem Namen Beacon Project. Das Projekt soll F+E in Kanada stärken. Weitere Pläne: Daimler-Chrysler will das Werk Windsor modernisieren, Honda baut den neuen Gelände-Truck in seiner Fabrik in Alliston.
Besonders fördert die Provinz innovative Betriebe: Für jeden Dollar Investition in F+E gibt es 59 Cent Steuergutschrift. Für Wirtschaftsminister Joseph Cordiano ist dies der Dreh- und Angelpunkt des Konzepts: „Ontario hat eines des großzügigsten Steuersysteme der Welt für Forschung und Entwicklung. Darauf sind wir wirklich stolz.“
Unternehmer setzen auf langfristige Investitionen
Förderprogramm lockt die großen Hersteller an

Land und Leute
Einwohner
12,4 Mio., rund 38 % aller Kanadier
Bruttoinlandsprodukt
408 Mrd. US-$ (2003), (z. Vergl.: Schweiz 309, Schweden 300, Österreich 251)
Exporte
135 Mrd. US-$ (2003), rund 50 % des kanadischen Exports
Freihandel
Nafta-Mitglied, freier Zugang zum nordamerikanischen Markt (bei inländischem Fertigungsanteil > 62,5 %)
Wichtige Industriezweige
Automobilbau, Verarbeitende Industrie, ITK-Industrie, Chemie-, Kunststoff-, Luftfahrt-, Nahrungsmittelindustrie und Biotechnologie
Sprachen
nur Englisch 70,4 %
nur Französisch 4,3 %
andere 25,1 %

Automotive: Vorteile in Ontario
Die Branche
Die kanadische Provinz
  • produzierte fast 2,7 Mio. Fahrzeuge im Jahr 2004. Das ist fast jedes sechste Auto in Nordamerika,
  • exportiert 85 % ihrer Produktion in die USA und andere Länder weltweit und
  • beschäftigt 90 000 Menschen in der Zulieferindustrie und 45 000 bei den OEMs.
Qualifikatiosniveau
  • 43 % aller Arbeitnehmer in der Fahrzeugindustrie Ontarios besitzen eine College- oder Hochschulausbildung (Verleich: USA: 27 % USA).
  • J.D. Power and Associates haben 15 ihrer 46 Auszeichnungen für überragende Werksqualität an Werke in Ontario vergeben. Grund sei das Qualifikationsniveau.
Forschung + Entwicklung
  • Forschungs- und Entwicklungskosten lassen sich nach Berücksichtigung von Steuervorteilen auf weniger als 41 % der ursprünglichen Ausgaben reduzieren.
  • F+E-Steuervergünstigungen verfallen nicht und können unbegrenzt in Folgejahren geltend gemacht werden.
  • Es sind mehr Kosten steuerabzugsfähig als in den USA, insbesondere für Produktionsmittel, Gemeinkosten und teilweise Vertragsleistungen.
Quelle und mehr Infos: https://www.ontario.ca
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