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Tödlich für manche Hersteller, lehrreich für die Klientel

Technikschocks sorgen im Werkzeugmaschinenbau für rigorose Auslese
Tödlich für manche Hersteller, lehrreich für die Klientel

Tödlich für manche Hersteller, lehrreich für die Klientel
Heinrich M. Arnold lehrt am Institut für Innovationsforschung und Technologiemanagement der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität: "Der Werkzeugmaschinenbau schaut zu oft auf die eigene Technik statt auf die Trends bei den Produkten der Kunden."
Nur der radikale Bezug auf den Kundennutzen, neue Geschäftsmodelle und die Bereitschaft zum technischen Extrem sichern das Überleben: Eine Delphi-Studie erklärt, wieso die Werkzeugmaschinenbranche weiter schrumpfen wird.

Von Chefreporter Wolfgang Filì – chefreporter@fili.net

Wundern Sie sich nicht, wenn auf den diesjährigen Metallbearbeitungsmessen erneut illustre Namen fehlen. Staunen Sie nur. Denn diese Art Hersteller-Auslese hat System, versichert Heinrich M. Arnold vom Institut für Innovationsforschung und Technologiemanagement der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Der Wissenschaftler hat die Schübe und Schockwellen untersucht, die den Werkzeugmaschinenbau in der jüngeren Vergangenheit erschüttert und dabei ganze Konzerne krachend zum Einsturz gebracht haben. Zum jetzigen Zeitpunkt – so die Zwischenbilanz – befinde sich die Branche inmitten der dritten und womöglich auch heftigsten Welle. Das Ergebnis lasse sich unter anderem in den Ausstellerlisten der Metaller-Messejahre ablesen.
Arnold und sein Team haben diejenigen Trends zusammengestellt, die die Firmen des Werkzeugmaschinenbaus selber wahrnehmen und auch erfolgreich beeinflussen können. Insgesamt 18 sind es an der Zahl. Sie wurden gefiltert aus Interviews mit über 100 Managern und Experten der Branche. Das Ergebnis ist ebenso spannend wie lehrreich für die Kundschaft der mit 10 Mrd. Euro Jahresumsatz relativ kleinen, aber feinen Schlüsselindustrie. Die Delphi-Studie kann per E-Mail angefordert werden unter arnold@bwl.unimuenchen.de.
Danach ist der grundlegende Fehler der Branche die Annahme, ihre technische Entwicklung sei evolutionär und verlaufe über längere Zeitspannen hinweg mehr oder minder gleichförmig – richtig ist vielmehr das Gegenteil. So hat die CNC die Grenzen zwischen bislang eigenständigen Fertigungsverfahren teils völlig aufgelöst. Denn für Techniken wie das Bohren in Lehrwerksqualität, das Automatendrehen oder Schleifen standen früher ganze Branchenzweige und Firmennamen. Ihre stark verfahrensgebundenen Maschinen sind ersetzt worden durch universelle Bearbeitungszentren. Für die Werkzeugmaschinenbauer bedeutete die Einführung der digitalen Steuerungstechnik außerdem, dass einst elementare Kompetenzen – in diesem Fall der mechanischen Steuerung – überflüssig wurden.
Die Analogie zum Niedergang der mechanischen Uhrenindustrie ist offenkundig: Nur wer sich hier vor Jahrzehnten schon mit elektronischen Baugruppen und LCDs befasst hat, konnte im Markt überleben – Nobelhersteller, die ihr Geld mit der Produktion von Pres-tigeobjekten bedienen, seien hier ausgenommen.
Die Mehrspindler-Hersteller spielen diesen Ablauf derzeit 1:1 nach: Kaum noch die clever optimierte Kurve bestimmt die Produktivität der Drehmaschine und damit den Nutzen für den Anwender, sondern vielmehr hochflexible CNC. Der dritte Schub der Entwicklung – etwa über PC-Steuerungen und Netzwerke – steht laut Arnold unmittelbar an.
Alle fünf bis acht Jahre Erneuerung des Maschinenparks
All dies geschieht mit atemberaubendem Tempo. Lag der Altersdurchschnitt des deut-schen Werkzeugmaschinenparks Ende des letzten Jahrtausends noch bei 17 Jahren, richten sich Marktführer wie die Bielefelder Deckel-Maho-Gildemeister-Gruppe bereits darauf ein, dass die Kundschaft ihren Bestand alle fünf bis acht Jahre erneuert. DMG wirft jedes Jahr zig neue Maschinen auf den Markt, setzt dabei Neuerungen wie den Linearantrieb, High-Speed-Steuerungen oder das Laserfräsen rigoros über das Mengengeschäft durch und sichert sich damit bereits die Pole-Position für die Zeit nach der nächsten Konjunkturflaute. Kaum anders Technik-Trendsetter wie der Esslinger Drehmaschinenbauer Index, der Ditzinger Blechbearbeitungsspezialist Trumpf, die japanischen Multitechniker Mazak und Mori Seiki oder die Schweizer Gruppe Agie Charmilles: Diese Firmen wachsen sowohl in die technische Breite als auch qua Innovation in die Tiefe der Verfahren und treiben sie aus eigener Kraft und über Zukäufe kräftig voran. In jedem Fall bauen sie ihren Vorsprung damit aus und greifen den von Arnold beschriebenen Technikschocks sogar vor. Künstlich verzerrt werde der Markt dagegen durch die so genannten Untoten: „Unternehmen, die durch den Technikfortschritt Probleme bekamen, wurden in der Vergangenheit häufig von Finanziers aufgefangen und auch nach mehrmaligem Konkurs noch weitergeführt“, resümiert der Wissenschaftler. Annahme sei dabei stets gewesen, dass sie der vermeintlich geringen Entwicklungsdynamik der Branche wegen in der Lage seien, wieder zum Wettbewerb aufzuschließen. Dieser „Zombie-Effekt“ verliere sich jedoch um so schneller, je kürzer die Zyklen werden. Dann finde eine wirkliche Marktbereinigung statt und die Zahl der Unternehmen rutsche erneut ab.
Zum anderen, beklagt Arnold, fehle die Einsicht, dass sich die Geschäftsmodelle ändern müssen. So zeichne sich eindeutig ab, dass die Zukunft den netzwerk-gestützten Modellen ge-höre. Mit E-Business im klassischen Sinne hätten sie jedoch wenig zu tun. Vielmehr sei auf Informationsplattformen der Betrieb von Programmen möglich, über die der Werkzeugmaschinenbauer gemeinsam mit seinen Kunden ganze Systeme konfigurieren und auf dem Bildschirm auch betreiben könne. Dabei sei jederzeit der Rückgriff auf aktuelle Daten aus Konstruktion und Betrieb möglich und kontrollierbar, ob das virtuelle Konzept tatsächlich mit der real existierenden Fertigung übereinstimmt. Der Verfügbarkeit der Maschinendaten wegen würden auch Service- und Zusatzleistungen in erweitertem Umfang möglich. Eine Teilmenge dieser Funktionen ist heute bereits Alltag. Kaum ein führendes Unternehmen bietet seine Maschinen ohne die Option auf Online-Services an. Hersteller wie DMG oder Mazak organisieren dazu ihre eigenen Dienste, andere Unternehmen bieten einfache Punkt-zu-Punkt-Verbindungen an. Dynamische Dritte wiederum – etwa Index, Chiron, Heller und Trumpf – haben auf der internationalen Fachmesse Emo 2001 gezeigt, wie netzwerk-gestützte Modelle in Zukunft aussehen könnten: Die CNC und SPS ihrer Maschinen waren per Internet mit den Rechnern des Leinfeldener Dienstleisters EPS verbunden, ihre Daten aus laufender Produktion wurden in Echtzeit aufgezeichnet, auf Servern verdichtet, analysiert sowie bewertet. Anschließend bekam jeder Anwender die Ergebnisse zum Zustand seiner Maschine, der Prozess- und Werkstücksicherheit, zur Aus-lastung und zu langfris-tigen Zustandsänderungen zurückgespielt.
Die Chancen solcher netzwerk-getriebenen Modelle würden vom Gros der Werkzeugmaschinenbauer jedoch noch zu wenig wahr genommen, bedauert Arnold. Gefährlich daran sei, dass solche Trends zusammen mit neuen Fertigungstechniken bisherige Kompetenz zerstören könnten – siehe dazu Alt-Beispiel Uhrenindustrie.
Hinzu komme, dass die Entscheider der Branche zu sehr auf die eigenen Technologien schauten statt zu verfolgen, wie die Produkte ihrer Kundschaft sich entwickelten: „Wenn die Brennstoffzelle den Ottomotor in Teilen ablöst, dann hat das auf die Zerspanungsmaschinen erheblichen Einfluss.“ Arnold rät den Herstellern, jede Veränderung in ihrer Zielbranche sorgfältig zu registrieren. Dies sei im Normalfall zwar Sache jeden Vertriebs. Jedoch tendierten die Anbieter allein unter dieser „Stellgröße“ dazu, dem Kunden jeden Wunsch von den Augen abzulesen und Entgegenkommen mit echtem Nutzen zu verwechseln. Dies sei der Hauptgrund dafür, dass immer noch eine kaum zu überblickende Vielfalt von Maschinen-Unterarten bestehe.
Auch hier lohnt wieder ein Blick auf die Matchwinner der Branche: Anbieter wie Mazak, Index oder Emag versuchen, die Mehrheit der Kundenwünsche aus preisgünstigen Standards zu bedienen. So sind die meisten vertikalen Zwei- und Dreispindel-Drehzentren nicht mehr als erweiterte Standards. Die Preise bleiben dadurch moderat. Und davon profitiert letztlich auch der Anwender.
Wie eine Delphi-Studie funktioniert
Mit Delphi-Studien ist ein relativ verlässlicher Blick in die Zukunft möglich. Kern des Verfahrens sind zwei so genannte Befragungsrunden. Von Fachleuten erarbeitete Thesen werden einer möglichst großen Zahl von Experten zur Bewertung vorgelegt. Deren Antworten werden ausgewertet, kommentiert und demselben Personenkreis ein weiteres Mal zugeschickt. In Runde zwei sollen die Experten ihr Statement mit Blick auf die Einschätzung ihrer Kollegen noch einmal überdenken. Dabei ist stets Anonymität gewährleistet, so dass bei einer Meinungsänderung niemand sein Gesicht verliert.
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