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Umgekippte Emulsion im Bypass gerettet

Anlage befreit Kühlschmierstoff von Öl und Mikroben
Umgekippte Emulsion im Bypass gerettet

Ohne Chemikalien bereitet die Neutrapar-Anlage Kühlschmieremulsionen auf. Praxistests hat sie mit Bravour bestanden. Die Maschinenbediener bei HK waren so begeistert, daß das Unternehmen gleich in die Entwicklung mit einstieg. Jetzt stehen die ersten Seriengeräte zum Kauf bereit.

Von unserem Redaktionsmitglied Monika Corban

Möglichst ungünstige Produktionsbedingungen suchten die Entwickler der Neutrapar-Anlage für den Praxistest des Prototyps. Im Langzeitversuch sollte die Kühlschmierstoff(KSS)-Aufbereitungsanlage beweisen, ob sie hält, was Vorversuche versprachen. Und sie hielt. Sie trennt nicht nur Fremdstoffe von der Emulsion ab, sondern verringert auch die Zahl der darin enthaltenen Mikroorganismen.
Über die Wirtschaftsjunioren lernten sich Kurt Hartmann und Horst Scheidt kennen – das Interesse war beidseitig. Kurt Hartmann ist Prokurist für den Bereich Gewerbe- und Industrieabwasser bei der Radolfzeller Mall-Neutra GmbH. Sein dreiköpfiges Entwicklungsteam hatte „in zweijähriger Arbeit ein Elektrolyseverfahren aus der Abwassertechnik so abgewandelt, daß KSS-Emulsionen damit therapiert werden können“, erläutert er. Die Hauptaufgabe hätte darin bestanden, die elektrolytischen Wirkprozesse so fein zu dosieren, daß sie zwar die Mikroorganismen angreifen, aber nicht die Bestandteile der Emulsionen. „Das ist wie in der Medizin. Ein zu starkes Feld in der Elektrolyse wäre genauso fatal für die Emulsion, wie wenn Strahlen unkontrolliert auf den Menschen losgelassen würden.“ Erst das Dosieren und Fokussieren auf einen bestimmten Körperbereich mache es möglich, sie zur Krebstherapie zu verwenden.
Übertragen auf das Gerät heißt das, daß jetzt nur in so geringen Mengen atomarer Sauerstoff anfällt, daß er zwar die Mikroorganismen schädigt, aber nicht die wichtigen Bestandteile der Emulsion. Er führt auch nicht zur Korrosion an Werkstücken. Die Feldeinwirkung an der kathodischen Seite der Elektrode greift die Zellstruktur der Mirkoorganismen noch weiter an und verringert so ihre Zahl. In einem zweiten Schritt werden eingetragene Fremdstoffe, wie Öle, Verschmutzungen und überschüssiger Kalk aus dem zugesetzten Leitungswasser abgeschieden.
Horst Scheidt, Konstruktionsleiter der HK Präzisionstechnik GmbH in Oberndorf, interessierte sich für die Entwicklung, weil HK, wie jeder zerspanende Betrieb, Probleme mit verunreinigten Kühlschmierstoffen hat. Auch wenn er als Einzelfertiger nicht so hohe qualitative Ansprüche an die Emulsion stellt wie ein Serienfertiger. Mit heute rund 60 Mitarbeitern fertigt das Unternehmen, das 1993 durch einen Management-Buy-out aus dem ehemaligen Werkzeugbau der Firma Heckler & Koch hervorgegangen ist, Spannsysteme für Werkzeugmaschinenhersteller aus dem Vollen. Außerdem stellt es Meßsysteme, Werkzeuge sowie Fertigungssondereinrichtungen her – und das fast mit 100-Prozent-Fertigungstiefe mit sehr vielen verschiedenen Verfahren.
Für das Entwicklungsteam von Mall-Neutra war interessant, daß HK nicht nur fast alle Werkzeugstähle, Kupfer, Hartmetalle und Nitrierstähle zerspant, sondern das Gerät auch an Schleifmaschinen testen konnte, an denen brünierte Teile bearbeitet werden. In die Bearbeitungsemulsionen wird also praktisch alles eingetragen, was man sich vorstellen kann: Öle, Metallteile und -stäube, Organika – etwa von Handcreme – ein ideales Umfeld für das Wachstum von Hefen, Pilzen und Bakterien.
Bisher mußten die Oberndorfer die KSS-Bäder an den Maschinen allerdings selten austauschen. Aufgrund der hohen Verdunstung ergänzen sie ständig frische Emulsion, um die Bäder konstant gefüllt zu halten. Trotzdem störte die Mitarbeiter vor allem die Geruchsbelästigung durch das Wachstum der Mikroorganismen in der Emulsion. Und das bedeutet schließlich auch ein höheres Risiko von Hautkrankheiten und Allergien.
„Die Brühe stinkt nicht mehr, mit der kann ich arbeiten“
Im September 1998 ging der Prototyp bei HK in Betrieb – und überzeugte. „Die erweckt Tote wieder zum Leben“, kommentiert Konstruktionsleiter Scheidt die Tatsache, daß die Anlage eine bereits umgekippte Emulsion wieder flottgemacht hat. Auch der Mann an der Maschine war zufrieden: „Die Brühe stinkt nicht mehr, mit der kann ich arbeiten.“ Sie sei nach der Aufbereitung wieder feinkörniger und fließe besser, was vor allem im Schleifbereich wichtig sei.
Um möglichst harte Testbedingungen für die Neutrapar-Anlage zu haben, fuhren sie die Emulsion in ihren Bearbeitungszentren mehrmals so lange, bis sie kippte. Erst dann wurde das Gerät angeschlossen. Jedes Mal konnte das KSS gerettet werden. Als guter Indikator für die Qualität der Aufbereitung erwies sich der Brechungsindex, der sich über ein Refraktometer bestimmen läßt. Obwohl sich alle Beteiligten sicher sind, daß das Verfahren auch die Keimzahl reduziert, kann diese schlecht als Parameter herangezogen werden. Zu schnell wachsen die Keime nach der Probenentnahme weiter, als daß ihre Zahl verläßlich bestimmt werden könnte.
Scheidt und seine Kollegen waren so begeistert von dem Prototypen, daß sie das Konzept mit weiterentwickelten. Inzwischen stammt die Steuerung und die Hardware der ersten Modelle von den Oberndorfern. Das Herz der Anlage, die Elektrolysezelle, wird aber nach wie vor von Mall-Neutra produziert.
Bei Großunternehmen wie Aesculap, Bosch, oder Chiron haben die weiterentwickelten Anlagen weitere Praxistests bestanden, unter anderem auch im Bypass-Betrieb, wo sie ihre Vorzüge erst ganz ausspielt. Durch die vielen Testläufe konnte das Entwicklungsteam auch Erfahrung mit verschiedenen KSS sammeln. Inzwischen ist die Serienfertigung des Gerätes angelaufen. Über den Kauf der ersten Anlagen wird bereits verhandelt.
„Das Gerät liegt natürlich nicht in der Billigkategorie“, gibt Kurt Hartmann zu. „Dafür funktioniert es aber und hat nicht nur einen Placeboeffekt.“ Alle Beteiligten sind sich darüber einig, daß es auf dem Markt schon genug Scharlatanerie gebe. Die eigene Anlage haben sie daher auf Herz und Nieren geprüft.
Um den Vetrieb der Neutrapar-Anlage kümmern sich die Oberndorfer. Schon seit einer Weile wird allen Kunden, die ins Haus kommen, die Anlage vorgeführt. Ihr Messedebut soll sie im September nächsten Jahres auf der AMB, der Internationalen Ausstellung für Metallbearbeitung, in Stuttgart haben.
Das Anlagenkonzept: Fein dosierte Elektrolyse
Die Neutrapar-Anlage bereitet in einem zweistufigen Verfahren wassergemischte Kühlschmierstoffe auf – und zwar ohne Chemikalien. Dies kann im Bypass an einer laufenden Bearbeitungsmaschine geschehen, so daß keine Nebenzeiten anfallen. Die Behandlung verlängert die Gebrauchsfähigkeit der Emulsion deutlich und reduziert die Keimzahl in ihr, wodurch die Geruchsbelästigung für die Mitarbeiter sinkt. Da das Gerät mobil ist, können die Emulsionen mehrerer Anlagen mit einem Gerät gepflegt werden.
Der Anschluß an Maschinen ist ganz einfach: Ein Schlauch wird in das KSS-Bad gehängt und an das Aufbereitungsgerät angeschlossen, ein zweiter führt zurück ins Bad oder in einen Auffangbehälter – fertig.
Im ersten Verfahrensschritt erzeugt eine Elektrolysezelle atomaren Sauerstoff, der die anaeroben Mikroorganismen angreift. Die elektrische Feldeinwirkung beeinträchtigt die Organismen weiter. Beide Effekte zusammen reduzieren die Keimzahl.
Der zweite Schritt vollzieht sich in einem Phasentrenner. Fein dispergierte Gasbläschen, die ebenfalls elektrolytisch erzeugt werden, bringen das Abscheidegut zum Aufschwimmen, so daß es abgeführt werden kann. Die Länge der Behandlung hängt vom Verschmutzungsgrad ab.
Das Gerät kann Emulsionen aufbereiten, die folgende Anforderungen erfüllen:
Temperatur: 60 °C
pH-Wert: 5 bis 11. Ist der pH-Wert zu niedrig, wird frische Emulsion zugemischt, bis er wieder hoch genug liegt.
Anlagenkennwerte
Durchlaufleistung: rund 350 l/h
Elektrische Anschlußwerte: 400 V/16 A
Leistungsaufnahme: 0,6 kW
Größe des mobilen Gerätes: 76 mm Länge, 510 mm Breite und 1145 mm Höhe
Leergewicht: 105 kg
Zulauf: ¾“
Ablauf: 1“
Interview: Anton Schweizer zur Neutrapar-Anlage
?Herr Schweizer, wie lange testen Sie die Anlage schon?
!Zwei, drei Monate. Sie läuft bei uns konstant im Bypass-Verfahren an einem Bearbeitungszentrum.
?Wie sind Sie mit der Leistung der Anlage zufrieden?
!Wir haben an der Maschine immer einen Hydrauliköleintrag, und das Öl wird sehr gut abgeschieden. Da das früher nicht möglich war, schwamm meist ein Ölfilm auf. Alle ein bis zwei Wochen mußte unsere Servicetruppe das Kühlschmierstoff-System pflegen und mit einem Refraktometer prüfen, ob das Mischungsverhältnis noch stimmt und ob Öl eingetragen wurde. Einmal im Monat hieß es dann: Emulsion austauschen. Das ist jetzt nicht mehr nötig.
?Wie sieht es mit dem Bakterienbefall aus?
!Früher hatten wir an der Maschine häufig Pilz- und Bakterienbefall, wenn die Anlage über Nacht oder übers Wochenende stand. Das ist heute deutlich besser. Allerdings haben wir, als das Neutrapar-Gerät kam, auch die Kühlmittelanlage an dem Bearbeitungszentrum ausgetauscht. Wir können also nicht sicher sein, auf wessen Konto die Verbesserung geht.
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