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„Unsere Mittelständler haben eine unglaubliche Bürokratie gegen sich“

WSM-Präsident Thumann fordert Erleichterungen für kleine und mittlere Industrie-Unternehmen
„Unsere Mittelständler haben eine unglaubliche Bürokratie gegen sich“

„Unsere Mittelständler haben eine unglaubliche Bürokratie gegen sich“
WSM-Präsident Jürgen R. Thumann: „Wir wollen der Wirtschaftsverband sein, der umfassend die Interessen des deutschen industriellen Mittelstands vertritt.“ (Bild: WSM)
Jürgen R. Thumann, Präsident des Wirtschaftsverbands Stahl- und Metallverarbeitung e.V. (WSM), will dem Verband zu mehr Schlagkraft verhelfen. Der industrielle Mittelstand muss in der Politik mehr Beachtung finden, fordert Thumann im Exklusiv-Interview.

Das Gespräch führte unser Redaktionsmitglied Tilman Vögele-Ebering am Hauptsitz der Heitkamp & Thumann-Gruppe in Düsseldorf

Der WSM vertritt die Interessen von Unternehmen mit zusammen über 58 Mrd. Euro Umsatz. Warum findet die Branche in der breiten Öffentlichkeit so wenig Beachtung?
Als WSM-Präsident glaube ich, dass wir mit unseren knapp 4400 Mitgliedsfirmen in der Öffentlichkeit tatsächlich zu wenig in Erscheinung treten. Es ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass wir als Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung (WSM) noch recht jung sind. Bei der Fusion der beiden Vorgängerverbände EBM und WSU hatten wir einige Startschwierigkeiten, die jetzt überwunden sind. Außerdem: Der typische Mittelständler tritt nicht gerne in die Öffentlichkeit.
„Startprobleme des Verbands WSM sind überwunden“
Das Mitgliederspektrum des WSM reicht von Halbzeug- bis zu Konsumgüter-Produzenten. Wie kriegt der Verband die unter einen Hut?
Drei Viertel unserer Mitgliedsunternehmen haben weniger als 100 Mitarbeiter. Über 80 Prozent der Unternehmen werden als Familienunternehmen geführt, und das vorwiegend in der Rechtsform der Personengesellschaft. Daher haben die Unternehmer sehr gleichgerichtete Interessen. Ein Beispiel ist die Steuerpolitik. Da gibt es eine sehr einheitliche Meinung, zum Beispiel wenn es um die steuerliche Benachteiligung der Personengesellschaften gegenüber den Kapitalgesellschaften geht.
Ihr Mitglieder-Spektrum ist dennoch sehr heterogen ….
Das ist richtig. Ein Teil der Hersteller ist in der ersten Stufe der Stahl- und Metallverarbeitung tätig. Manche Mitgliedsverbände gehen sogar über die zweite Stufe hinaus. Wir versuchen derzeit, so genannte Cluster zu bilden. Das heißt, dass wir Fachverbände in ihrer Interessenlage bündeln. Ein Beispiel sind Verarbeiter aus der ersten Stufe wie Kaltwalzwerke, Rohrhersteller oder Drahtzieher, die alle einen sehr hohen Materialkostenanteil haben. Ebenso wollen wir die konsumnahen Verbände zusammenfassen.
Läuft das auf eine Abwertung der einzelnen Fachverbände hinaus?
Nein, bloß nicht. Wichtig ist, dass die neuen Gruppen in keinster Weise die Selbstständigkeit unserer 33 Fachverbände berühren. Die Cluster sollen übergreifende Themen behandeln oder sich in wechselnden Arbeitsgruppen um aktuelle Probleme kümmern. Der Fachverband ist für das einzelne Mitglied von allergrößter Bedeutung.
Wie kann sich eine mittelständische Branche in der großen Politik mehr Gehör verschaffen?
Es gelingt nur mühsam. In der Politik dominieren Persönlichkeiten, die in ihren Handlungen der Großindustrie sehr zugetan sind. Der Mittelstand wird meist nur vor den Wahlen entdeckt. Andererseits sind wir, glaube ich, durch meine Mitgliedschaft im BDI-Präsidium gut vertreten. Außerdem leite ich seit eineinhalb Jahren den Ausschuss für Wettbewerbsordnung.
Welche Aufgaben haben Sie sich als Verbandschef ins Pflichtenheft geschrieben?
Als ehrenamtlicher Präsident kann ich nur eine begrenzte Zeit in die Verbandsarbeit einbringen. Umso wichtiger ist mir, dass wir eine ganz enge Verzahnung zwischen Ehrenamt und Hauptamt herstellen und als Team zusammenarbeiten. Das beginnt bei mir und unserem neuen Hauptgeschäftsführer Dr. Andreas Möhlenkamp. Genauso wichtig ist, dass in unseren Fachverbänden die ehrenamtlichen Unternehmer und die hauptamtlichen Geschäftsführer gut zusammen arbeiten.
Wir wollen unsere Dachorganisation außerdem offen halten für andere beitrittswillige Verbände. Unser Ziel ist es, der Wirtschaftsverband zu sein, der umfassend die Interessen des industriell tätigen deutschen Mittelstands vertritt.
Was fordern Sie von der Politik? Wo besteht der dringlichste Handlungsbedarf?
Bürokratie abbauen, Deregulierung allgemein! Unser typisches Mitglied hat keine hundert Mitarbeiter, aber dennoch eine unglaubliche Bürokratie gegen sich. Was der alles an Formularen ausfüllen muss … Das andere Thema ist die Steuerpolitik. Für uns Personengesellschaften ist die Höhe der Einkommens- und der Erbschaftssteuer entscheidend. In die Form der Kapitalgesellschaft wechseln lohnt sich meist nicht wegen der höheren Erbschaftssteuer. Meine Erben würden in dem Fall etwa die fünffache Erbschaftssteuer bezahlen müssen. Das wäre der Tod eines Familienunternehmens.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für den industriellen Mittelstand?
Es ist sehr schwer, das an einem Punkt festzumachen. Eine große Gefahr ist die mangelnde Finanzkraft des Mittelstands. Die Eigenkapitalausstattung liegt im Durchschnitt derzeit unter 18 %. In anderen führenden westlichen Industrieländern liegt die Eigenkapitalquote mehr als doppelt so hoch. Basel II und das Thema Rating wird eine große Herausforderung. Es wird nicht mehr so einfach und günstig sein, an Fremdkapital heranzukommen.
Welche Rolle spielt das Thema Globalisierung?
Wir haben einen Wettlauf zwischen den Nationen. In asiatischen Staaten gibt es zum Teil erhebliche staatliche Beihilfen und Vergünstigungen. Aber der deutsche Mittelständler kann aus Kapitalmangel dort nicht investieren und mithalten. Für typische Mittelständler sehe ich so die schleichende Gefahr, dass sie in ihrer Existenz bedroht werden könnten.
Wie sieht die Lösung aus?
Ich kann mir nur eine Lösung mit einem ganzheitlichen Ansatz vorstellen. Deutschland muss sich darüber klar werden, dass es abhängig ist vom industriellen Mittelstand, dass wir nur über den Mittelstand neue Arbeitsplätze schaffen können.
Der hohe Tarifabschluss in der M+E-Industrie macht vielen Betrieben zu schaffen. Was tun?
Ich will den Flächentarif nicht in Frage stellen. Aber es muss möglich sein, auf betrieblicher Ebene mit dem eigenen Betriebsrat Entscheidungen zu treffen, auch was das Entgelt angeht. Der jüngste Tarifabschluss bringt für uns einen gewaltigen Kraftakt mit sich. Wir müssen einsparen, rationalisieren und erreichen das Gegenteil von dem, was wir wollten: Wir schaffen keine neuen Arbeitplätze, sondern bauen sie vermehrt ab oder verlagern sie ins Ausland.
Was muss sich ändern, um diese Entwicklung zu stoppen?
Als Wirtschaftsverband kümmern wir uns um wirtschaftspolitische Themen und nicht um arbeits- oder tarifrechtliche. Die sind Sache der Arbeitgeberverbände. Aber es ist für mich keine Frage, dass es zur Deregulierung beim Arbeitsrecht kommen muss. Es sollte zum Beispiel möglich sein, bei Bedarf Mitarbeiter in größerem Umfang befristet einzustellen. Außerdem muss es doch erlaubt sein, dass man einvernehmlich mit den Mitarbeitern für schlechte Zeiten eine besondere Vergütungsstruktur verabredet. Es geht ja um ein gemeinsames Ziel: Das Unternehmen profitabel zu halten, um investieren zu können und die Arbeitsplätze zu sichern.
Das größte Wachstum findet außerhalb Europas statt. Wie kann ein Mittelständler den Mechanismen der Globalisierung begegnen?
Sie bietet auch Chancen. Die Automobilhersteller wollen häufig auf anderen Kontinenten ihre Zulieferer beibehalten. Für kleinere Unternehmen ist es aber nur schwer möglich, auf drei Kontinenten präsent zu sein. Da sehe ich einen Ausweg in Kooperationen: Ein Zulieferer könnte mit mittelständischen Wettbewerbern in Amerika oder Asien Allianzen bilden. Nach ersten Schritten wie dem Austausch von Zeichnungen, Prozessen, von Werkzeugen oder Maschinen könnten sich die Partner später gegenseitig Minderheitsbeteiligungen einräumen.
Ist das realistisch? Der typische Mittelständler ist Herr im eigenen Haus, heißt es, und er lässt sich nicht gerne in die Karten schauen.
Ich glaube, es ist eine Frage des Generationswechsels. Deshalb bin ich optimistisch. Die jüngere Generation ist weltoffener, häufig weitgereist und ganz anders groß geworden als meine Generation. Allein schon Basel II wird alle zu mehr Offenheit zwingen. Es soll ja immer noch Mittelständler geben, die sich schwer damit tun, ihrer Bank eine Bilanz vorzulegen. Das wird zukünftig nicht mehr gehen.
Jürgen R. Thumann
Geboren 1941, im Hauptberuf Geschäftsführender Gesellschafter der Heitkamp & Thumann KG in Düsseldorf ist er seit 1. Januar 2001 Präsident des neuegegründeten Wirtschaftsverbandes WSM. Zuvor war er schon seit 1998 Präsident des Wirtschaftsverbandes Stahlumformung WSU.
Neben seiner Tätigkeit als Vorsitzender und Mitglied in einer Reihe von Verbänden und Aufsichtsräten ist er Präsidiums-Mitglied des Bundesverbandes des deutschen Industrie (BDI) und Vorsitzender des BDI-Ausschusses für Wettbewerbsordnung.
Der WSM in Zahlen
Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung e.V. (WSM) – der Industrieanzeiger ist Organ des WSM
Verbandssitz: Hagen, Ratingen, Düsseldorf
Umsatz: 58,1 Mrd. Euro (2001)
Beschäftigte: ca. 444 400 (2001)
Betriebe: ca. 4400 ( >20 Beschäftigte)
Struktur: 75 % 100 Mitarbeiter
  • 20 % 100 bis 500 Mitarbeit.
  • 5 % > 500 Mitarbeiter
Exportquote: 28 %
Infos + Kontakt: www.wsm-net.de
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