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„Unsere Zeppeline sind sicherer als Flugzeuge“

Passagier-Luftschiff Zeppelin NT fliegt mit High-Tech-Werkstoffen
„Unsere Zeppeline sind sicherer als Flugzeuge“

Von Friedrichshafen aus haben sie vor über 100 Jahren die ersten Fahrten über Land unternommen. Jetzt gehen die Zeppeline wieder in die Luft – und die Württemberger sind begeistert wie zu Königs Zeiten. Einen (leicht-)gewichtigen Beitrag dazu leisten Werkstoffe wie CFK und Aramid.

Von unserem Redaktionsmitglied Olaf Stauß – olaf.stauss@konradin.de

Der Zeppelin kommt, der Zeppelin kommt!“ Dieser Ruf löste im letzten Jahrhundert in den Schulen um Stuttgart den Ausnahmezustand aus. Kinder und Lehrer rannten zu den Fenstern oder in den Hof. „Da gab es kein Halten mehr“, berichtet Dr. Hans Huber, „wo doch sonst jeder Blick aus dem Fenster mit einer Tatze bestraft wurde“. Als Zehnjähriger hatte er den Zeppelin 1936 zum ersten Mal gesehen. „Er schwebte ruhig und leise in der Bläue des Himmels über unserem Kirchturm.“ Für Buben seines Alters kam das Luftschiff von einer fernen Welt. Huber ist noch heute ergriffen. „Von der silbernen Haut ging eine ästhetische Faszination aus. Das habe ich intuitiv gespürt, aber erst heute kann ich es in Worte fassen.“ Der Mediziner ist in Echterdingen aufgewachsen, wo er später eine Arztpraxis führte, die heute seine Söhne betreiben. Echterdingen auf den Fildern ist neben Friedrichshafen die zweite Zeppelin-Stadt: Hier verunglückte 1908 das vierte Luftschiff LZ 4 des Grafen von Zeppelin nach einer Zwischenlandung. Und von hier ging am selben Tag die Spendensammlung los, die für den Grafen „die Geburtsstunde der nationalen Luftschifffahrt“ markierte, wie er den Echterdingern dankbar schrieb. Die Begeisterung für die Zeppeline ist bis heute ungebrochen. Als am 26. April 2002 die Landesgartenschau in Ostfildern eröffnet und der Zeppelin Neue Technologie (NT) wegen Sturm nicht rechtzeitig da ist, schreibt die „Stuttgarter Zeitung“ beleidigt: „Der Zeppelin NT ist ein windiger Geselle. Er kommt nur, wenn es ihm gefällt.“
Doch schon kurze Zeit später ist einwandfreies Flugwetter am Bodensee. Die Zeppelin Luftschifftechnik (ZLT) GmbH hat ein Pilotentraining auf dem ersten Serienluftschiff angesetzt, das vor einem Jahr den Jungfernflug absolviert hat. Auch Brigitte Ossmann vom Zeppelin-Museum steht mit Kollegin unter den Fahrgästen bereit. „Die brauchen uns als Ballast”, scherzt sie und guckt aufgekratzt zum Himmel, wo der Zeppelin in engem Bogen um den Hangar herbei dreht. Jörg Straub, früher Kampfhubschrauber-Pilot und angehender NT-Kapitän, drückt das Schiff wie einen Helikopter senkrecht nach unten – zentimetergenau vor die Nase des Ground-Crew-Chiefs, der jetzt die NoseLine ergreift. Auf diese Manövrierfähigkeit sind die ZLT-Ingenieure stolz: Die Kinematik der drei Antriebsgondeln an Heck und Seiten gibt dem Piloten die Möglichkeit, die Propellerachse um bis zu 120° zu schwenken. So kann er das Luftschiff beim Starten und Landen nach oben oder unten drücken, je nachdem, wie er die Rotorblätter einstellt.
Schnell einsteigen, die Zeit ist kostbar. Der 75 m lange Zeppelin legt ab und hievt die Gäste in sein luftiges Element auf 300 m Höhe, sachte wiegend wie ein Bodensee-Dampfer. Obgleich ihn die Piloten etwas „schwerer als Luft“ trimmen (deswegen „fliegt“ er und „fährt“ nicht wie seine Vorgänger), wird der anfangs motorische Auftrieb von niemand bemerkt. Leise surren die Propeller, kein aggressives Turbinengeräusch ist zu hören wie beim Flugzeug. Der Blick taucht in ein vielfaches Blau von Himmel, Bodensee und den matt leuchtenden Alpen mit ihren hellen Schneeflecken. „Wie schön ist unser Friedrichshafen“, schwärmt Brigitte Ossmann, als sie das Seeufer klein wie ein Gemälde unter sich sieht. Kapitän Fritz Günther, der früher in der NVA „die verschiedensten Flugzeugtypen“ geflogen hat, erklärt den Unterschied zum Führen eines Flugzeugs: „Das Fliegen mit einer Boeing lässt sich vergleichsweise einfach lernen. Aber beim Luftschiff muss man Gefühl entwickeln wie beim Segeln. Das Landen ist eine Kunst, weil das Schiff auf die kleinsten Einflüsse von Wind, Temperatur, Druck und Feuchte reagiert. Keine Landung gleicht der anderen.“
Die Piloten trimmen ihr Schiff „schwerer als Luft“
Die Passagiergondel, in der vorne die Piloten und gleich dahinter die Fahrgäste sitzen, hat Platz für 14 Personen inklusive Crew. Sie kann Lasten bis zu 1,9 t Gewicht aufnehmen und besteht aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CfK), ebenso wie Antriebsgondeln und Leitwerke. Die 10,7 m lange Kabine ist mit riesigen Sichtfenstern ausgestattet und bietet einen gut gepolsterten Ausguck im Heck.
Der Zeppelin passiert Meersburg, die Insel Mainau kommt in Sicht. Längst sind die Fluggäste aufgesprungen und saugen die satten Bilder in sich auf. Nur Petra Hajek bleibt sitzen. Die Dame, die wie Brigitte Ossmann im Zeppelin-Museum arbeitet und alles über die alten LZ-Luftschiffe weiß, hat Höhenangst! Trotzdem will sich die Mutige den Flug nicht nehmen lassen. Ein paar wenige Blicke nach unten riskiert sie. Die müssen reichen, um sich später zu erinnern und darüber zu freuen. Kapitän Günther beruhigt sie: „Das Fliegen mit dem heliumgefüllten Zeppelin ist sicherer als mit dem Flugzeug.“ Selbst wenn alle Triebwerke ausfielen, bestünde keine Gefahr. „Wir sinken dann wie ein Ballon zur Erde und landen nur rauer als sonst.“
Gut, dass Frau Hajek an Bord ist. Für geschichtliche Vergleiche hat sie die Fakten im Kopf: Das größte je gebaute Luftschiff war die LZ 129 „Hindenburg“, die 1937 mit ihrer Wasserstoff-Füllung in Lakehurst explodierte. Sie hatte ein maximales Startgewicht von 220 t. Ihr Alu-Gerippe wog 55 t und damit genau ein Viertel des Fluggewichts. Wie viel tragfähiger ist die Struktur des Zeppelin NT, die mit 1 t nur ein Achtel des maximalen Startgewichtes von 8 t wiegt! Die Ingenieure erreichten dies, indem sie von der vollstarren auf die halbstarre Bauweise übergingen. Für das Rumpfskelett verwenden sie nur drei Längsträger aus einer warmaushärtenden Aluminium-Knetlegierung sowie Dreiecksspanten, an denen alle kraftübertragenden Teile wie Gondeln, Leitwerk und Nase befestigt sind. Die Hülle wird darüber gespannt. Sie erhält ihre Form aber allein durch den Helium-Innendruck wie bei einem Prallluftschiff. Die Träger der Dreiecksspanten sind nicht aus Aluminium, sondern einem unidirektional aufgebautem Carbonfaser-Verbund. Dieses Material bringt bei gleicher Steifigkeit nur ein Viertel des Gewichts einer Metallkonstruktion auf die Waage. Abspannseile aus einer Aramidfaser verspannen im Inneren die Rechtecksegmente zwischen den Querträgern. Dieses Material wiegt nur ein Fünftel einer Stahlverspannung bei gleicher Festigkeit.
Straub und Günther, die erfahrenen Flugzeug-Piloten, sind stolz auf ihr Luftschiff. Dennoch ist nicht jeder ihrer Träume erfüllt. Günther: „Wir hoffen alle, dass wir eines Tages wieder ganz groß bauen und auch nach Amerika fliegen können.“ Nachdem die beiden gelandet sind, geht alles ganz schnell: Zwei Fluggäste raus, zwei rein, zwei raus, zwei rein, um das Gewicht zu halten, und die Luftfahrer rauschen wieder ab. Doris Götz, Marketing-Frau bei der Deutsche Zeppelin-Reederei (DZR) GmbH, muss mit ihren Wünschen jedoch auf dem Boden bleiben. Die Vermarktung steht erst am Anfang. „Der Tourismus läuft fantastisch. Unsere Flüge sind ausgebucht. Daneben wollen wir den Zeppelin aber auch als Werbefläche anbieten und für Missionen einsetzen, zum Beispiel als Kameraplattform für Fernsehübertragungen.“ Parallel dazu baut die ZLTWerft das dritte Luftschiff. Und in Zukunft sollen Zeppeline NT auch verkauft werden.
Zwei Stunden nach dem Landen geht es Petra Hajek wieder pfundig. „Ich bin richtig stolz auf mich“, sagt sie. „Jetzt bin ich so weit, dass ich gleich wieder in die Luft gehen könnte.“ Wäre das nicht noch eine pfiffige Marketingidee für Doris Götz? Zeppelinflüge gegen Höhenangst!
Industrieanzeiger
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