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Transportlogistik: Unterwegs auf Asphalt und in Glasfasern

Transportlogistik
Unterwegs auf Asphalt und in Glasfasern

Logistik | Mit 274 Mrd. Euro Umsatz im Jahr 2018 und mit mehr als drei Millionen Beschäftigten ist die Logistikbranche der drittgrößte Wirtschaftssektor Deutschlands; nach der Automobilwirtschaft und dem Handel. Er steht vor großen Herausforderungen: von der Digitalisierung, über das politische Umfeld bis hin zum Fachkräftemangel.

Michael Grupp
Freier Journalist in Stuttgart

Europaweit beziffert sich der Logistikmarkt auf über eine Billion Euro. Ein Viertel davon wird in Deutschland erwirtschaftet. Circa 45 % der logistischen Leistungen besteht aus sichtbaren Transporten von Gütern durch spezialisierte Dienstleister. Der große Rest umfasst komplementäre Services: zum Beispiel Logistikplanung und Administration sowie Lagerhaltung innerhalb und außerhalb von Unternehmen. Rund 60.000 Unternehmen arbeiten hierzulande im Bereich der logistischen Dienstleistungen. Sie sind überwiegend mittelständisch geprägt. Ihre Zahl ist rückläufig und sank in den letzten acht Jahren von 16.416 auf 14.712 Betriebe (Stand Anfang 2018). Gleichzeitig stiegen die Umsätze jährlich um circa 2 %.

Der Markt ist damit von Konzentrationen gezeichnet. Die DGB-nahe Hans-Böckler-Stiftung prognostiziert in der aktuellen Studie „Branchenanalyse Logistik“ ein weiterhin wachsendes Güterverkehrsaufkommen bis 2020, wobei sich der jährliche Zuwachs allerdings auf 0,6 % abflacht. Etwas optimistischer schätzt der „Gipfel der Logistikweisen“ die Lage ein: Diese
erwarten 1,2 % Wachstum – vorausgesetzt der Brexit verläuft in geregelten Bahnen und der Handelsstreit zwischen den USA und China eskaliert nicht weiter. Die Logistikweisen sehen die Branche bei der Digitalisierung in der Pflicht: Die Notwendigkeit für Innovationen in der Logistik wächst. Dieses Verständnis ist bei vielen Unternehmen angekommen. Allerdings bemängeln die Weisen auch, dass Logistikspezialisten unterdurchschnittlich transformieren: Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftsbereichen hinke der Sektor hinterher. Auch wenn er aufholt, sei der Abstand zu anderen Branchen noch relativ hoch. Als Hemmnisse sehen die Experten zwei Bereiche: erstens das fehlende Personal und zweitens Belastungen durch die aktuellen politische Rahmenbedingungen.

Der Tank ist leer

Der Fachkräftemangel macht sich auch in der Logistikbrache bemerkbar. Einerseits direkt im Lager, wo zukünftig die bestehenden Mitarbeiter effizienter eingesetzt werden müssen. Hier kann zum Beispiel der Einsatz von Cobots respektive von autonomen Förderfahrzeugen helfen. Andererseits fehlen Spezialisten für die Planung und Realisierung digitalisierter Wertschöpfungsketten. Dabei ist unstrittig, dass durchgängig digitalisierte Transportketten Zeit und Ressourcen sparen: zum Beispiel durch einen automatisierten Informationsfluss, der den Aufwand für die Informationsbeschaffung, Kapazitätsplanung und nicht zuletzt das Handling minimiert. Eine Studie des Fraunhofer SCS bestätigt den verhaltenen Optimismus der Logistikweisen. Auch sie schätzt die Logistikbranche bisher als eher mäßig digital entwickelt ein. Demnach sind heute zwar Barcodes, die GPS-Lokalisierung von Fahrzeugen, Containern und Produkten sowie die mobile Datenerfassung etwa über den Status einer Sendung verbreitet, weite Innovationsfelder liegen demnach aber noch brach – von einer durchgängigen Industrie 4.0-Infrastruktur ganz zu schweigen. Die stellen sich die Experten des Fraunhofer-
Institutes folgendermaßen vor:

„Transportlogistik 4.0 ist die Anwendung der Prinzipien Cyber-physischer Systeme zur verbesserten Steuerung, Selbstorganisation und Optimierung von überbetrieblichen Transporten. Mithilfe moderner Technologien werden bei Be- und Entladung sowie aus der Anbahnung und Beauftragung des Transportprozesses
Daten erfasst und ausgewertet. Darauf basierend kann ein zeitnahes, digitales Abbild hergestellt werden, um anschließend durch die Verknüpfung mit weiteren Informationen aus IT-Systemen, Kamerasystemen oder Sensoren einerseits Maßnahmen zur unternehmensübergreifenden Effizienzsteigerung der Netze in Echtzeit wie auch selbststeuernde Teilsysteme aufzubauen bis hin zur automatischen Transportabwicklung und -abrechnung. Ziel der Transportlogistik 4.0 ist eine effiziente, dezentral organisierte, flexible und agile Transportabwicklung.“ Ende des Zitates.

Die nächsten Meilensteine

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Der Weg zu Industrie 4.0 besteht aus vielen Meilensteinen. Zu den kurz- und mittelfristig einsetzbaren Logistik-Instrumenten zählt das Fraunhofer SCS:

  • Weblösungen und Apps für den täglichen Business-Einsatz
  • Sensorik für die Erhebung relevanter Logistikdaten und Kommunikation via Internet of Things
  • Big Data Analysis auf der Prozessebene zur Sammlung, Analyse und Optimierung von Warenströmen und Dispositionen
  • Ein durchgängiges Supply Chain Event-Management sowie unternehmensübergreifend Cloud-Plattformen für den Datenaustausch entlang der kompletten Lieferkette
  • Entscheidungsunterstützung in Echtzeit

Das Institut erwartet eine zweite Umsetzungswelle dieser Technologien bis 2025. Spätestens dann wird der klassische Spediteur zum Organisator von Wertschöpfungsketten und zunehmend zum Manager komplexer Prozesse. Eine Wahl hat er dazu nicht: Die Digitalisierung schafft ihre eigenen Standards in Bezug auf Sicherheit und Konsistenz. Wer sich verweigert läuft Gefahr, plötzlich mit innovativen Entwicklungen jenseits des eigenen Geschäftsmodelles konfrontiert zu werden.

Das hat Amazon in unterschiedlichen Bereichen vorgemacht. Amazon ist nicht mehr und nicht weniger als eine professionelle Geschäftsplattform mit angeschlossenen Logistikprozessen. Wobei das Unternehmen inzwischen gewaltige Summen investiert, um die Logistik in Zukunft genauso zu beherrschen wie heute schon die relevanten Bestell-, Bezahlungs- und Verwaltungsprozesse. Dazu zählen Engagements in Drohnen ebenso wie die Weiterentwicklung autonomer Fahrzeuge oder auch der weitere Ausbau der internationalen Amazon Logistikstandorte. Es ist keine Frage, dass die Amerikaner früher oder später dabei auch den gewerblichen Bereich im Auge haben. Noch allerdings spielen Amazon Business oder Alibaba in Europa eine unterentwickelte Rolle.

Mehr Chancen als Risiken

Dabei ist die Digitalisierung kein notwendiges Übel, sondern bietet für Transportlogistiker Chancen für eine Ausweitung des eigenen Geschäftsmodelles, für mehr Wertschöpfung und mehr Umweltschutz. Verständlicherweise steht bei den Logistikdienstleistern die
Kostensenkung an erster Stelle. Keine überraschende
Erkenntnis, da die Margen der Spediteure in der Regel bei nur etwa 2 % liegen. Mittelständische Unternehmen haben darüber hinaus keine hohen Budgets für Industrie 4.0 zur Verfügung, erhoffen sich aber von den neuen Technologien Potenziale für ihre eigene Produktivitätssteigerung.

Es muss auch nicht immer gleich die unternehmensübergreifende Digitalisierung des gesamten Workflows sein. Expertenvorschläge für den logistischen Einstieg in Industrie 4.0 fokussieren in aller Regel kleinere Projekte mit einem sofortigen Return on Investment. So können unterschiedliche Logistikunternehmen zum Beispiel auf einer gemeinsamen Datenbasis ohne Schnittstellen miteinander kooperieren und auf diese Weise ihre eigene Effizienz steigern. Laut Kraftfahrt-Bundesamt betrug der Leerfahrten-Anteil im Jahr 2017 ganze 37 % – mehr als jeder dritte Lkw ging also unbeladen auf die Strecke. Die Bündelung logistischer Dienstleistungen auf Basis einer gemeinsamen IT-Plattform könnte dies verhindern und allen Beteiligten Mehrwerte schaffen.

Die Einführung von software-basierenden Assistenzsystemen optimiert darüber hinaus nicht nur Fahrpläne und Routen, sondern kann auch Sprachbarrieren abbauen und die Effizienz von Arbeitsplätzen erhöhen. Der Einsatz von Augmented Reality-Lösungen ist in der Logistikbranche dagegen erst in Testprojekten realisiert – wenn überhaupt, dann bei den Automobilherstellern im innerbetrieblichen Transport. Weitere praxisrelevante Ansätze sind Pick-by-Light-Systeme zur Kommissionierung, Datenbrillen zur Unterstützung beim Be- und Entladen oder beim Stauen von Seefrachtcontainern.

Der vieldiskutierte selbstfahrende Lkw braucht indes noch seine Zeit. Zwar arbeiten inzwischen alle Nutzfahrzeughersteller an autonomen Systemen. Zum Alltag gehören sie bisher aber nur in einzelnen Regionen Amerikas – etwa in Texas und Kalifornien. Dort pendeln die Laster des Silicon-Valley-Start-ups Embark inzwischen auf einer festen Route zwischen Texas und Südkalifornien. Allerdings sind die Straßen dort überwiegend menschenleer – kein Vergleich zum dichten europäischen Verkehr. Aber auch dort sitzt immer noch ein Fahrer in der Kabine, der allerdings alles andere tut – nur nicht fahren. Der Nutzfahrzeugmarkt in den USA wird auf 700 Mrd. Dollar geschätzt. Marktführer ist Daimler. Tesla und/oder innovative Start-ups arbeiten daran, die bisherigen Big Player zu überholen.

Deutscher Fokus auf hochautomatisiertes Fahren Level 4

Deutschland fährt einen anderen Weg: Auf Teilstrecken rollten zeitweise autonome Lkw-Konvois über die Autobahn. Im führenden Fahrzeug mit Fahrer, hinten mit Computer – etwa auf der A9 zwischen Nürnberg und München. Dieses Platooning hat aber nicht die erhofften Einsparpotentiale erreicht und wurde Anfang 2019 aufgegeben. Es bleibt der deutsche Fokus auf hochautomatisiertes Fahren Level 4. Dabei sind die Lkws in definierten Bereichen und zwischen definierten Knotenpunkten autonom unterwegs. Nicht immer unter dem Applaus der Fahrer: Viele Brummi-Fahrer sind nicht begeistert „Wenn das autonome Fahren kommt, sind wir überhaupt nichts mehr wert“, gab ein Betroffener beim Projektstart zu Protokoll. Widerstände kommen auch von den Juristen: Viele rechtliche Fragen sind derzeit noch nicht geklärt. Wer ist schuld und wer haftet bei Unfällen? Theoretisch haftet im Sinne der Straßenverkehrsordnung der jeweilige Nutzfahrzeughersteller – also Daimler oder Tesla. Jedoch muss das Unfallopfer im Fall der Fälle dem Hersteller eine Schuld nachweisen: etwa einen Programmier- oder Systemfehler. Das dürfte im Einzelfall schwierig werden. Dazu kommen erhebliche ethische Probleme. Darf ein autonomes Fahrzeug beispielsweise auf die Gegenfahrbahn ausweichen, um eine Kollision zu verhindern – auch wenn dabei Unbeteiligte gefährdet werden? Stand heute: nein. Aber solange die juristischen und ethischen Vorgaben unklar sind, dürften sich deshalb in Europa autonom fahrenden Lkws erst einmal nur in abgesperrten oder in Testgebieten durchsetzen – bei der Abfallsammlung, in Bergwerken oder in der Landwirtschaft.

Vor Ort produzieren
statt zu einem Ort bringen

Eine weitere Entwicklung wird die Transportlogistik nachhaltig beeinflussen: additive Fertigungsverfahren. 3D-Druck ist Treiber einer neuen Dezentralisierung der Logistikströme; angefangen bei Ersatzteilen und Kleinserien. Mit zunehmend besseren Materialeigenschaften, vor allem aber auch mit innovativen Geometrien, wird sich die additive Großserienfertigung vor Ort durchsetzen und damit Straßentransporte ersetzen. Was als Bedrohung klingt, kann zur Chance für Transportlogistiker werden. Voraussetzung ist die Bereitschaft, über die physische Verteilung von Gütern hinaus weitere Dienstleistungen anzubieten: etwa auf Basis von Buchungs- und Informationsplattformen oder auch in der Rolle eines Supply-Chain-Spezialisten, der die gesamte Steuerung komplexer Logistikprozesse verantwortet. Das allerdings erfordert eine stärkere Datenorientierung und einen klaren IT-Fokus. Mit anderen Worten: die Einführung von Industrie 4.0-Konzepten.


Serie Industrie 4.0

Wir begleiten Sie mit unserer Serie auf dem Weg zur Digitalisierung. In dieser Ausgabe beleuchten wir das Thema Transport-
logistik. Alle Beiträge finden Sie auch online auf www.industrieanzeiger.de

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