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Vermutete Sicherheit

Maschinenrichtlinie: Verlängerte Gültigkeit der DIN EN 954-1
Vermutete Sicherheit

Vermutete Sicherheit
Mit Gültigkeit der neuen Maschinenrichtlinie (2006/42/EG) müssen Hersteller sicherstellen, dass ihre Produkte die darin geforderten Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen erfüllen. Dazu können Normen herangezogen werden, für die eine Vermutungswirkung im europäischen Amtsblatt veröffentlicht ist. Von zentraler Bedeutung ist die neue Steuerungsnorm EN-ISO 13 849 Bild: Bosch Rexroth
Die neue europäische Maschinenrichtlinie ist seit rund 150 Tagen in Kraft, trotzdem gibt es Unklarheiten über deren Gültigkeit. Hintergrund ist die Verlängerung der Vermutungswirkung der veralteten Steuerungsnorm EN 954-1.

„Wir haben uns reingehängt, um die neue Maschinenrichtlinie zu erfüllen, und jetzt gibt es eine Verlängerung der alten Regelung.“ Solche und ähnliche Klagen konnte man in den letzten Wochen beispielsweise bei Produktvorstellungen von Tox-Pressotechnik oder anderen Unternehmen hören. Tatsächlich ist es so, dass die neue Maschinenrichtlinie (2006/42/EG) seit dem 29.12.2009 gilt, sie hat ohne Übergangsfrist die alte Maschinenrichtlinie (98/37/EG) ersetzt. Alle Maschinen, die aktuell in der Europäischen Union in Verkehr gebracht werden, müssen den Bestimmungen der neuen Maschinenrichtlinie genügen und beispielsweise mit Konformitätserklärung und CE-Kennzeichnung versehen sein. Verlängert wurde die für die praktische Anwendung der Richtlinie bedeutsame Vermutungswirkung der alten Sicherheitsnorm für Steuerungen EN-954-1.

Die Zusammenhänge dahinter sind bürokratisch kompliziert: Das Regelwerk für die Produktsicherheit in Europa besteht aus verbindlichen EU-Richtlinien und aus freiwillig anwendbaren Europäischen Normen (EN oder EN ISO). Die Europäischen Normen werden dabei inhaltlich unverändert als nationale Normen (etwa DIN EN) herausgegeben. Richtlinien werden über nationale Gesetze in nationales Recht umgesetzt. Für die Maschinenrichtlinie ist das in Deutschland mit dem Geräte- und Produktsicherheitsgesetz und der Neunten Verordnung zum Geräte- und Produktsicherheitsgesetz – 9. GPSGV geschehen.
Bei der praktischen Anwendung der Richtlinien kommen Normen ins Spiel. Mit der so genannten Vermutungswirkung von Normen und technischen Regeln gilt die Maschinenrichtlinie als erfüllt, wenn die Maschine oder Teilmaschinen nach bestimmten Normen gebaut sind. Welche Normen für welchen Zeitraum diese Vermutungswirkung entfalten, wird regelmäßig im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Die Anwendung der Normen ist allerdings freiwillig, ein Hersteller kann auch auf andere Art nachweisen, dass er die Anforderungen der Maschinenrichtlinie erfüllt hat. Nicht die Norm ist maßgebend, sondern die Richtlinie.
In der Maschinenrichtlinie geht es um Sicherheit und Gesundheitsschutz an Maschinen, Teilmaschinen und Anlagen. Darin spielt die Steuerung eine wesentliche Rolle. Für die alte Maschinenrichtlinie (98/37/EG) galt in diesem Punkt die Vermutungswirkung der Sicherheitsnorm für Steuerungen EN 954-1, die als veraltet angesehen wird. Deshalb sollte diese Norm ebenfalls zum 29.12.2009 nach einer dreijährigen Übergangsfrist auslaufen und durch die Folgenorm EN ISO 13849 ersetzt werden. Diese neue Norm zur „Sicherheit von Maschinen – Sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen“, erweitert die bisher einzig beachteten qualitativen Sicherheitsaspekte um einen Wahrscheinlichkeitsansatz für die Sicherheitsfunktionen und berücksichtigt zum Beispiel die Ausfallwahrscheinlichkeiten von Komponenten.
Ungeachtet der inhaltlichen Aspekte wurde im Dezember die Vermutungswirkung der DIN EN 954-1 mit einer Veröffentlichung im Europäischen Amtsblatt C 321 vom 29.12.2009 bis zum 31.12.2011 verlängert. Gründe dafür sind einerseits die Überarbeitung der Maschinennormen, die noch auf die EN 954-1 Bezug nehmen und deren Anwendung durch Auslaufen der EN 954-1 unklar gewesen wäre und andererseits Probleme einiger Mitgliedstaaten mit der Umsetzung der ISO 13849 in der Industrie. Mit dieser Regelung ergibt sich der problematische aktuelle Stand, dass Hersteller und Betreiber von Maschinen bis Ende 2011 die EN 954-1 und EN ISO 13849 parallel anwenden können, um die Vermutungswirkung nach der Maschinenrichtlinie zu erlangen. Was die Anwendung nicht einfacher macht, denn viele Gruppen- und Maschinennormen, die B- und C-Normen, sind bereits überarbeitet und beziehen sich auf die neue Steuerungsnorm EN 13849. Da nach der Normungshierarchie bestehende Maschinennormen Vorrang vor den Gruppen- oder allgemeinen Normen haben, greift die Verlängerung der Vermutungswirkung der DIN EN 954 -1 hier nicht. Sofern also in der aktuellen Maschinenrichtlinie gelistete B- und C-Normen auf EN ISO 13849-1 oder die EN/IEC 62061 verweisen, löst die EN 954-1 aktuell keine Vermutungswirkung mehr aus, die Maschinenrichtlinie gilt dann nicht als erfüllt.
Interessant ist die Rechtsauffassung, wonach gemäß den allgemeinen Grundsätzen der neuen Maschinenrichtlinie der aktuelle Stand der Technik einzuhalten ist. Die Norm EN 954-1 sei für neue Technologien aber nicht Stand der Technik, weshalb der Hersteller prüfen muss, ob sie für sein Produkt noch anwendbar ist oder ob die EN ISO 13849-1 anzuwenden ist. Dies sei auch vor dem Hintergrund der Produkthaftungsrichtlinie abzuwägen, die ebenfalls den Stand der Technik verlangt. Es liegt bei den Herstellern und Käufern, schon beim Einkauf von Maschinen oder Maschinenteilen die vom Lieferanten anzuwendende Steuerungsnorm einheitlich festzulegen, damit die Maschinen oder Anlagen einem einheitlichen Steuerungskonzept folgen. Und wer beim Kauf einer Maschine sicher gehen will, sollte schon bei der Bestellung privatvertraglich regeln, welche Norm EN 954-1 oder ISO EN 13489 gelten soll.
Volker Albrecht Fachjournalist in Bamberg
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 4
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