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Viel Spielraum für Interpretationen

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Viel Spielraum für Interpretationen

Viel Spielraum für Interpretationen
Der Energieverbrauch lässt sich nicht nur auf Basis von Messungen ermitteln, sondern kann auch mithilfe anderer Daten analysiert werden. Bild: LE Image/Fotolia.com
Energiemanagementsysteme | Ein EnMS einzuführen, lohnt eigentlich immer – zumal sich Energie und damit Kosten sparen lassen. Bei genauer Betrachtung ist die Norm DIN EN ISO 50001 viel mehr Segen als Fluch.

Prof. Dr. Jürgen Joseph Matthias Ebinger ECG Energie Consulting, Kehl

Man könnte meinen, Energiemanagementsysteme (EnMS) seien mittlerweile ein alter Hut: Jahrelang diskutiert, sind sie seit 2013 sogar steuerrechtlich gefordert, um weiterhin die teilweise Begrenzung der EEG-Umlage und den Spitzenausgleich bei Strom- und Energiesteuer zu erhalten.
Abgesehen davon, dass es angesichts der hohen Energiekosten im Sinne der Unternehmen sein müsste, ein systematisches Energiemanagement zu betreiben, liegt mit der DIN EN ISO 50001 eine detaillierte Norm vor, die man eigentlich nur abarbeiten müsste, um ein EnMS einzuführen. Sie hilft, die erforderlichen Methoden und Prozesse zu entwickeln, um Energieeffizienz, Energieeinsatz und -verbrauch mit vertretbarem Aufwand und nachhaltig zu optimieren.
Indes gibt es noch immer Unternehmen, die sich nicht mit dieser politisch geforderten Managementleitlinie auseinandergesetzt haben und so Steuerrückerstattungen und Steuerermäßigungen verspielen. Die Gründe dafür reichen von Informationsmangel bis zu vermeintlich fehlender Manpower.
Wer sich damit befasst, ist regelmäßig verunsichert oder gar überfordert, wie die Vorgaben aus der Norm umzusetzen sind. Oft handelt es sich jedoch um Missverständnisse, denn die Norm lässt an etlichen Stellen Interpretationsspielraum. Experten schätzen diese Freiheitsgrade, denn sie zeigen, dass die Norm kein bürokratisches Monster ist, sondern ein pragmatisches Hilfsmittel, das den verschiedenen Gegebenheiten in Unternehmen durchaus gerecht wird.
Fünf wesentliche Missverständnisse
Damit sind wir schon beim ersten Missverständnis: Mit der Pflicht zu EnMS will die Bundesregierung nicht Unternehmen gängeln. Vielmehr sollen EnMS unterstützen und helfen, Energie und damit Kosten zu sparen. Die Erfahrung zeigt: Die Einführung lohnt eigentlich immer.
Das zweite Missverständnis gilt der Zuständigkeit (§ 4.2.2): Aus der Auflistung der Verantwortlichkeiten und Befugnisse in der Norm wird ersichtlich, dass der Managementbeauftragte ein Mitarbeiter mit „Standing“ sein muss. Schließlich hat er etwa die Befugnis, unabhängig von den bisherigen Weisungsbefugnissen Arbeitsaufträge zu erteilen. Man sollte sich also vergegenwärtigen, wer die wahrzunehmenden oder ähnliche Aufgaben schon heute im Unternehmen erledigt: Wer sammelt und bündelt Informationen aus verschiedenen Bereichen? Wer analysiert energierelevante Prozesse? Wer verteilt Aufgaben und schult Mitarbeiter? Wer trifft energierelevante Entscheidungen oder bereitet diese vor? Wer berichtet an die Geschäftsführung, wenn auch bisher zu anderen Themen? So bleiben nur wenige geeignete Positionen übrig. In der Regel sind dies Facility Manager, Bereichsleiter, Produktions-, Betriebs- oder Werksleiter oder oft auch ein Mitglied der Geschäftsführung.
Bei Missverständnis Nummer drei wird es inhaltlich (§ 4.3): Eine Energiepolitik soll definiert werden, ihr Leistungsspektrum ist in acht Unterpunkten der Norm umschrieben. Aus Sorge, etwas verkehrt zu machen, kopieren viele den Normtext. Sie übersehen dabei, dass nur die Unterpunkte 4.3 b) bis d) klare Inhaltsverpflichtungen an die Energiepolitik darstellen, wohingegen die anderen Unterpunkte beschreiben, wie mit der Energiepolitik umzugehen ist – Handeln statt Worte ist gefragt: Es genügt etwa eine Veröffentlichung der Energiepolitik im Intranet.
Das vierte Missverständnis gilt der wichtigsten und auch arbeitsintensivsten Forderung der Norm: In der energetischen Bewertung (§ 4.4.3) sollen die wesentlichen Verbraucher und Verbesserungsmöglichkeiten identifiziert werden. Hier gibt es besonders viel Interpretationsspielraum; vorteilhaft ist, dass keine Untersuchungstiefe vorgegeben ist. Die genannten „Bereiche mit wesentlichem Energieeinsatz“ sind aus unserer Erfahrung alle Verbraucher, die alleine für etwa 0,5 % des Gesamtenergieverbrauchs verantwortlich sind. Zusammen sollten sie 95 bis 98 % des Gesamtenergieverbrauchs verantworten.
Das fünfte Missverständnis gilt den „Energy Performance Indicators“ (EnPI, § 4.4.5): Diese eigenständig zu ermittelnden Leistungskennzahlen sollen „angemessen“ sein. Mittels der EnPIs soll ein Verständnis erzielt werden, welche Faktoren den Energieverbrauch beeinflussen. Dabei ist es nicht sinnvoll, jeden erdenklichen Einflussfaktor einzukalkulieren, denn es gibt vom Wetter bis hin zu Stromausfällen zu viele.
Die Empfehlung lautet daher, zunächst mit einfachen EnPIs zu beginnen, die sich aus bereits vorhandenen Kennzahlen ableiten lassen. Dabei sollte zumindest ein EnPI je Energieträger (etwa Strom, Erdgas) definiert werden. Aus diesen ersten Versuchen kann man dann nach einiger Zeit Erkenntnisse gewinnen und diese in den Ausbau der EnPIs einfließen lassen.
Vergegenwärtigt man sich allein diese fünf Punkte, so wird klar: Die DIN EN ISO 50001 verlangt nichts Übermenschliches und erfordert auch keine dramatischen Investitionen, die trotz Energieeffizienzsteigerung für das Unternehmen nicht wirtschaftlich wären. Es handelt sich vielmehr um ein „Work in Progress“-Konzept, das schrittweise verfeinert werden soll. Der Aufwand kann in der Regel von einer Person mit 20 bis 30 Wochenstunden, unterstützt von zwei Zuarbeitern, bewältigt werden. Mit etwa 20 Manntagen ist schon viel erreicht – und nach spätestens ein bis zwei Jahren haben sich die reinen Entwicklungskosten für ein EnMS im Regelfall amortisiert. •
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