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Vom Desktop Purchasing zum One-Stop-Shopping

Beschaffen im Internet und elektronische Marktplätze
Vom Desktop Purchasing zum One-Stop-Shopping

Internet-basierte Lösungen für die Beschaffung entwickeln sich rasant weiter. Dezentrale Einkaufssysteme für indirekte Güter bekommen Konkurrenz von Marktplätzen, die bisher für Produktionsmaterial und Investitionsgüter reserviert waren. Hierdurch werden oft neue Kräfteverhältnisse auf den Märkten geschaffen.

Prof. Dr. Ronald Bogaschewsky ist Inhaber eines betriebswirtschaftlichen Lehrstuhls an der TU Dresden und Mitglied des Vorstands des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME)

Bis vor kurzer Zeit schien die Struktur beschaffungsorientierter Lösungen, die auf der Internet-Technologie basieren, relativ klar abgrenzbar zu sein: Auf der einen Seite wurde versucht, den Beschaffungsprozess für eher geringwertige Güter möglichst schnell und kostengünstig über den Einsatz sogenannter Desktop-Purchasing-Systeme zu gestalten. Auf der anderen Seite fokussierte man auf die Einstandskosten und qualitätsmäßig optimierte Beschaffung höherwertiger Güter über Elektronische Marktplätze. Letztere bieten in jüngster Zeit auch die Möglichkeit des katalogbasierten Einkaufs an, so dass erste Tendenzen hin zum One-Stop-Shopping erkennbar sind.
Softwaresysteme, deren Ziel es ist, den Beschaffungsprozess für bestimmte Güter möglichst effizient abzuwickeln, wollen dem Problem entgegenwirken, dass sich der operative Einkauf zum großen Teil mit der Beschaffung eher geringwertiger Güter befasst. In nicht wenigen Unternehmen machen solche Bestellungen bis zu 80 % der Bestellvorgänge aus. Der Aufwand je Beschaffungsprozess unterscheidet sich dabei kaum von dem für höherwertige Güter und wird –relativ unabhängig von der Unternehmensgröße– mit durchschnittlich 175 DM kalkuliert. Gut beschreibbare (Standard-)Güter eignen sich für eine Darstellung in elektronischen Produkt-katalogen, die sich dann auch für Lieferanten attraktiv gestaltet, wenn er hierdurch eine große Anzahl Nachfrager bedienen kann. Offensichtlich sind keinesfalls nur C-Güter kataloggeeignet, sondern beispielsweise auch Bürotechnik sowie Standardwerkzeuge. Deshalb wird neudeutsch auch von MRO-Artikeln (Maintenance, Repair and Operations) für diesen Güterbereich gesprochen.
Es gilt, sich rechtzeitig als Internet-fähiger Partner zu profilieren
Durch Reorganisation des Bestellprozesses können die Prozesskosten erheblich reduziert werden, falls bisher mehrere Mitarbeiter aus unterschiedlichen Abteilungen an der Abwicklung beteiligt waren. Zehn bis fünfzehn Prozessschritte über sechs bis acht Abteilungen verteilt, mit Genehmigungsprozeduren und händischen Erfassungsvorgängen in Bestellschreibung, Lager- und Finanzbuchhaltung sind keine Seltenheit in der Praxis. Die direkte Eingabe der Beschaffungsanforderungen durch den Bedarfsträger über einen Browser-basierten Produktkatalog mit automatisierter Budgetprüfung und Bestellauslösung verkürzt die Durchlaufzeit erheblich, entlastet den Einkauf und reduziert die Prozesskosten. Werden zudem eine Kostenstellenaus-lieferung durchgeführt und der Empfang der Ware vom Bedarfsträger im System bestätigt sowie etwaige Mängel vermerkt, verbleibt dem Einkauf lediglich die Aufgabe der Verhandlung der Rahmenverträge für die Güter sowie eventuell für die logistische Dienstleistung der Auslieferung. Der Bedarfsträger wird im Vergleich zur bisherigen Verfahrens-weise kaum mehr belastet, hat aber den Service einer besseren Produktauswahl und kürzere Bereitstellungszeiten. Durch Vereinbarung aufwandsarmer Gutschriftverfahren beispielsweise können auch die Kosten der Zahlungsabwicklung deutlich gesenkt werden. In der Praxis wurden so bis zu 90 % der Prozesskosten reduziert. Die Integration der Bestands- und Finanzdaten in die Warenwirtschaftssysteme ist grundsätzlich möglich, jedoch teilweise mit einem nicht unerheblichen Erstaufwand verbunden.
Es liegt auf der Hand, dass die Umstrukturierung der Beschaffungsprozesse von vielen Nachfragern dazu genutzt wird, die Anzahl der Lieferanten für gleiche Güter zu reduzieren und damit weitere Kostensenkungspotenziale zu realisieren. Ge-schäftliche Trans- aktionen werden in die Phasen Information, Vereinbarung, Abwicklung und Service unterteilt. Informationen über Anbieter und deren Leistungen sowie Konditionen sind auf den Homepages der Unternehmen selbst oder in Online-Datenbanken auffindbar. Portale, die ursprünglich als vorstrukturierte Einstiegspunkte ins Internet mit Orientierungsfunktion gedient haben, bieten als spezifische geschäftsorientierte Webseiten zunehmend weitergehende Informationen. Teilweise bieten diese auch Möglichkeiten zur Vertragsvereinbarung, womit sie mehr und mehr den Charakter virtueller Handelsplattformen einnehmen.
Viele elektronische Marktplätze, die sich ursprünglich auf die Informations- und Vereinbarungsphase konzentrierten, bieten heute Informationen rund um die gehandelten Güterkategorien an, so dass sie ebenfalls Portalfunktionen übernehmen und diese beiden Spielarten des geschäftsorientierten Internets kaum noch klar differenzierbar sind. In jüngster Zeit werden über elektronische Marktplätze Möglichkeiten angeboten, logistische Dienstleister für die Auslieferung der gekauften Ware und Finanzdienstleister für die Abwicklung des Zahlungsverkehrs einzubinden. Der Transaktion nachgelagerte Serviceaktivitäten werden bisher nur vereinzelt angeboten.
Bisher erfolgte eine starke Konzentration elektronischer Marktplätze im zwischenbetrieblichen Handel auf Produktions- und Investitionsgüter. Zudem waren die meisten Handelsplattformen einkaufsgetrieben, das heißt, das beschaffende Unternehmen gab einen bestimmten Bedarf einer ausgewählten Gruppe von Lieferanten oder der Allgemeinheit bekannt und erwartete Angebote hierauf. Alternativ konnten auch Einkaufsauktionen durchgeführt werden, bei denen sich die Anbieter innerhalb eines bestimmten Zeitfensters gegenseitig unterbieten. Entsprechend dominierte das Preiskriterium auf diesen Nachfragermärkten. Durch den verschärften Wettbewerb und die Erschließung neuer Anbieter konnten die Einstandskosten teilweise deutlich reduziert werden. Verkaufsauktionen und -ausschreibungen waren eher für die Versteigerung von Materialüberbeständen und von Gebrauchtmaschinen vorgesehen.
Über E-Marktplätze Lieferanten-Kontakte standardisieren
Die relativ klare Fokussierung von Marktplätzen auf das Senken der Einkaufskosten ist schon seit geraumer Zeit –oft kaum bemerkt– aufgebrochen. Es hat sich in vielen innovativen Unternehmen die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich Marktplätze ausgezeichnet eignen, um die zahlreichen Lieferantenkontakte zu standardisieren. Dabei gibt es bei genauerer Betrachtung keine stichhaltigen Gründe, warum nicht auch MRO-Güter über derartige Plattformen gehandelt werden sollten. Letztlich werden die Kataloge lediglich auf einem Server eingestellt, der eine anders geartete oder erweiterte Systemfunktionalität bietet. Bei einer Beschränkung auf einige wenige Lieferanten und damit Kataloge im Sinne mehrerer 1:1-Beziehungen erscheint dies zunächst keine weiteren Vorteile zu bieten. Interessant wird die Marktplatzvariante für Kataloggüter für den Fall, dass weitere Lieferanten und eventuell auch zusätzliche Nachfrager zugelassen werden sollen, wodurch sich effizienz-steigernde und eventuell einstandskostensenkende Effekte ergeben können.
Für die beschaffenden Unternehmen ergibt sich zudem der nicht unerhebliche Vorteil eines One-Stop-Shopping. Das heißt, die Einkäufer und Bedarfsträger des Unternehmens greifen für einen Großteil ihres Beschaffungsbedarfs auf nur noch eine gemeinsame Handelsplattform zu, für die standardisierte Transaktionsprozesse formuliert wurden. Dies hat neben positiven Effekten im Bedienkomfort erhebliche Vorteile im Aufwand hinsichtlich Datenverkehr, Verschlüsselungsvereinbarungen, Zahlungsmodalitäten oder der Einschaltung logistischer Dienstleister. Dabei dürfte die Ausgestaltung der Plattform in der Regel dergestalt sein, dass nur solche Güterkategorien auf ein- und demselben Marktplatz gehandelt werden, für die eine Differenzierung aufgrund Eigenschaften, Nachfrage- und Angebotsmarktstruktur verzichtbar ist. Dagegen werden MRO-Güter und Produktionsbedarfe zwar auf unterschiedlichen Marktplätzen, jedoch nur einen Mausklick entfernt auf der-selben Plattform und mittels einer grundsätzlich identischen Vorgehensweise gehandelt. Für die Lieferanten gilt auch hier: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Industrieanzeiger
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