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Weltweite Beschaffungsprozesse dort nutzen, wo es sich lohnt

Global Sourcing: Das Geschäft mit ausländischen Zulieferern will gelernt sein
Weltweite Beschaffungsprozesse dort nutzen, wo es sich lohnt

Niedrige Lohnkosten, komplexe Logistik, Risiken bei der Produktqualität: Global Sourcing ist derzeit das Thema im Einkauf. Mittelständler sollten sich erst nach einer exakten Kostenanalyse auf den weltweiten Beschaffungsmarkt wagen, raten Experten. Denn die billigsten Lieferanten sind nicht zwangsläufig die besten.

Von unseren Redaktionsmitgliedern Susanne Schwab und Jens-Peter Knauer jens-peter.knauer@konradin.de

Unternehmen nutzen internationale Einkaufsprozesse dort, wo es sich lohnt. Global Sourcing kann die rein kostenorientierte, weltweite Beschaffung um eine strategische Komponente erweitern, die auf die enge, Länder übergreifende Zusammenarbeit mit Lieferanten abzielt. Neben den Faktoren Preis, Qualität und Lieferkosten zählen dazu auch zukunftsgerichtete Überlegungen der Auftraggeber. „Der Einkauf darf sein eigentliches Ziel nicht aus den Augen verlieren, nämlich die besten und nicht zwangsläufig die billigsten Anbieter als Lieferanten zu gewinnen“, betont Prof. Ronald Bogaschewsky, Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME). „Global Sourcing kann auch heißen, in Deutschland fertigen zu lassen.“
Die Beschaffung in Niedriglohnländern erkennen deutsche Einkäufer zunehmend als Chance, Kosten zu senken. Dies beweist eine aktuelle Umfrage des BME mit dem Beratungsunternehmen Accenture. Danach verfügen bereits drei Viertel aller Unternehmen über mehrjährige Erfahrung mit der Beschaffung in so genannten Near-Shore-Ländern. Dazu zählen in erster Linie die unmittelbaren Nachbarstaaten, aber auch Länder Mittel-, Ost- und Südeuropas. Allerdings zeigt die Befragung auch, dass die Unternehmen hierzulande noch Nachholbedarf bei der weltweiten Beschaffung haben: In puncto Einsparungen beispielsweise liegen sie um gut ein Fünftel hinter dem weltweiten Durchschnitt.
Dabei ist die Chance zu Einsparungen der wesentliche Vorteil des internationalen Einkaufs. Dieser Vorteil resultiert in Mittel- und Osteuropa im Wesentlichen aus den geringeren Arbeitskosten. Sie liegen dort einschließlich Personalzusatzkosten in der Regel deutlich unter fünf Euro pro Stunde, während sie in Deutschland im Mittel knapp 25 Euro pro Stunde erreichen.
Ein weiterer Vorteil: die vergleichsweise kurze Entfernung zu den jeweiligen Partnern. „Dies bedeutet in der Regel geringere Logistikaufwendungen und -risiken und kurze Abstimmungswege“, erläutert Ralf Fleer, Leiter Einkauf bei der Neoman Bus GmbH. Die Bus-Sparte der Münchner MAN-Gruppe bezieht beispielsweise vorgefertigte Komponenten und Zulieferteile unter anderem aus dem Werk im polnischen Stacharowice.
Die so genannten Off-Shore-Länder wie China oder Indien sind vielen Mittelständlern noch zu unsicher. Der Grund: Die Erwartungen hinsichtlich niedriger Kosten werden zwar erfüllt, doch oft stimmt die Leistung nicht. Dennoch scheint an China derzeit kein Weg vorbeizuführen. Prof. Bogaschewsky vergleicht die momentane China-Euphorie mit den Zeiten des Internet-Hype: „Alle rennen, oft genug ohne nachzudenken, in dieselbe Richtung.“ Der BME-Vorstand weiß: „Dem Einkäufer bleibt nichts anderes übrig, als den Weltmarkt systematisch zu analysieren und gegebenenfalls aus mehreren Ländern zu sourcen.“
Das Geschäft mit Zulieferern aus den Niedriglohnländern will gelernt sein. Die Kunst besteht nicht nur darin, den geeigneten Partner für das Global Sourcing zu finden. Aufgrund mangelnder Markttransparenz ist es Einkäufern oft nicht möglich, alle potenziellen Lieferanten zu sichten und zu kontaktieren. Der Unternehmer sollte deshalb auch strategische Partnerschaften mit Lieferanten aufbauen oder bestehende Kontakte zu Firmen intensivieren, die bereits über Beschaffungsnetzwerke oder Produktionsstandorte im Ausland verfügen.
Ein solcher Zulieferer ist die Gimas Girgin Dis Ticaret Ltd. Sti. in Izmir. „Wir fertigen unter anderem Zeichnungsteile für einen großen deutschen Anlagenbauer“, berichtet Okan Dinler, Abteilungsleiter Export/Import bei dem türkischen Unternehmen. „Die Waren liefern wir von hier direkt an die verschiedenen Produktionsstätten, die unser Kunde weltweit unterhält.“
Das Geschäft läuft so gut, dass die Kapazitäten bei Gimas bis 2006 ausgebucht sind. Dinler weiß, worauf die Auftraggeber aus Mitteleuropa Wert legen: „Die deutsche Mentalität ist türkischen Unternehmen nicht fremd. Viele Existenzgründer und Unternehmenslenker in der Türkei haben in Deutschland gelebt und gearbeitet und damit auch einen Teil dieser Kultur in ihre Firmen eingebracht.“
Generell gilt: Wer sich auf die internationalen Beschaffungsmärkte wagt, sollte eine umfassende Analyse vornehmen, bei der ermittelt wird, welche Warengruppen sich für den Einkauf in Niedrigkostenländern eignen. Die Kriterien dafür sind
  • der Lohnanteil und
  • die technischen Anforderungen der zu beziehenden Teile.
„Je geringer die Komplexität der Warengruppen und je höher der Lohnanteil an den Teilekosten ist“, verdeutlicht Dr.-Ing. Hanno Brandes von der Unternehmensberatung Management Engineers in Düsseldorf, „desto größer ist auch das zu erwartende Einsparpotenzial beim Einkauf in Niedriglohnländern“.
Ein Potenzial, das auch kleine und mittlere Unternehmen nutzen sollten, wie Marc Staudenmayer meint. Der Chef des Beschaffungsdienstleisters Masaï Deutschland GmbH in München ist ein ausgewiesener Experte, wenn es um weltweite Einkaufsstrategien geht. „Einkäufer sollten nicht auf den günstigsten Preis und damit auf den kurzfristigen Erfolg setzen. Wichtig ist aus unserer Sicht vielmehr, langfristige, strategische Partnerschaften mit ausländischen Lieferanten anzustreben.“
Dabei müssen nach Ansicht Staudenmayers eine Reihe von Besonderheiten beachtet werden.
  • Logistik: „Die Lieferkette muss auch mit Lieferanten aus Niedrigkostenländern aufrecht erhalten und gegebenenfalls den neuen Lieferbedingungen angepasst werden.“
  • Kultur: „Die Verständigung mit den Lieferanten muss gewährleistet sein, vor allem in kritischen Situationen.“
  • Recht: „Gerade bei geschützten Designs und Patenten sollte man im Umgang mit Lieferanten aus Niedriglohnländern Vorsicht walten lassen. Die Rechtssysteme entsprechen zum Teil nicht den westlichen Standards, wodurch böse Überraschungen nicht ausgeschlossen sind.“
Günter Stephan, Einkaufsleiter Mechanische Komponenten bei der Heidelberger Druckmaschinen AG, sieht die Risiken beim Einkauf in osteuropäischen oder asiatischen Ländern vor allem darin, die Qualität von Teilen und Lieferungen im Hinblick auf die langen Transportwege zu sichern: „Kommen die Produkte transport- oder produktionsbedingt in unbrauchbarer Qualität beim Auftraggeber an, stehen aufgrund der weiten Strecke nicht viele Alternativen zur Verfügung.“ Müssten kurzfristig bestellte Teile per Luftfracht geliefert werden, gingen die erhofften Kostenvorteile des Global Sourcing schnell verloren.
Eine funktionierende Beschaffungsstrategie muss nicht zwingend auf Osteuropa oder Asien ausgerichtet sein, weiß Stephan Hasenzahl, der bei Heidelberger Druck den Bereich Allgemeiner Einkauf und Einkaufskoordinationen leitet: „Wir benötigen mehrheitlich strategisch wichtige und sehr wichtige Teile. Davon können und wollen wir nicht viele aus Osteuropa oder China beziehen.“
Die richtige Strategie für das Unternehmen sei es vielmehr, von Teil zu Teil Risiken und Nutzen abzuwägen. Gegebenenfalls sollte der Einkaufsverantwortliche auf Zulieferer vertrauen, die bereits für andere Unternehmen entsprechende Produktionen in Osteuropa oder China betreiben. Ihnen obliegt auch die Sicherung der Qualität. Andere Unternehmen nehmen die Qualitätskontrolle selbst in die Hand und vertrauen auf eigene Einkaufsbüros im Land des ausländischen Zulieferers.
Neben politischen Risiken, kulturellen Unterschieden und Sprachbarrieren dürfen regionale Umwelt- und Gesundheitsrisiken bei der weltweiten Beschaffung nicht vernachlässigt werden, betont Stephan. Fehlende Umweltauflagen sieht der Heidelberg-Einkaufsexperte kritisch: In vielen Niedrigkostenländern fast kein Thema, liegt es an jedem Unternehmen selbst, schädliche Umweltprozesse bei Lieferanten zu tolerieren, zu beanstanden oder bereits im Vorfeld durch entsprechende Regelungen auszuschalten. „Teile, die hohe Umweltbelastungen mit sich bringen, beispielsweise Galvanik-Produkte, beziehen wir ganz bewusst nicht aus Ländern, die gewisse Standards nicht gewährleisten“, verdeutlicht Stephan. „Wir pochen auf die Einhaltung unserer hohen Umweltstandards und möchten nicht, dass die Umwelt unter der Produktion leidet.“
Netzwerke erleichtern Einstieg in internationale Beschaffungsmärkte
Umweltprobleme und Gesundheitsrisiken nicht vernachlässigen
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