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Winzige Teile mit großer Wirkung

Nano-Oberflächentechnik: Warum die Marktreife oft noch fehlt
Winzige Teile mit großer Wirkung

Nanopartikel versprechen in der Oberflächentechnik Effekte wie Verschleißbeständigkeit, Korrosionsschutz oder Selbstreinigung. Doch sind sie längst noch nicht überall in der Produktion angekommen. Die Gründe: Probleme in der Herstellung, hohe Kosten – und zum Teil muss sogar noch Grundlagenforschung betrieben werden.

100 Jahre ist er schon alt. Doch noch immer lässt er sich auf technische Neuerungen ein. Die Rede ist vom Lippenstift, der heute vielfach Titandioxid-Nanopartikel enthält. Denn im Nanomaßstab werden diese Partikel transparent. Sie lassen sichtbares Licht passieren, blockieren ultraviolette (UV) Strahlen hingegen umso besser. Immer mehr Kosmetikhersteller statten deshalb Lippenstifte, aber auch Cremes mit Nano-UV-Schutz aus.

Was Frauen für Schönheit und Hautschutz recht ist, ist für Autos nur billig: Sie erhalten Effektlacke auf Basis von Interferenzpigmenten, bei denen in Abhängigkeit vom Blickwinkel des Betrachters ein wechselnder Farbeindruck entsteht. Interferenzpigmente bestehen aus plättchenförmigem Silikat als Kern, der mit einer oder mehreren nanoskaligen Metalloxidschichten umhüllt ist. Diese Schichtdicke ist erforderlich, um die Interferenz im Wellenlängenbereich des Lichts zu erzielen.
In Klarlackschichten für Pkw werden zudem Nano-Keramikpartikel eingelagert, die die Stoß- und Abriebbeständigkeit des Lacks erhöhen, ohne die Farbe des Autos zu beeinträchtigen. Grundlage sind nanoskalige Pulver, die mit einer Gasphasensynthese hergestellt werden. Im flüssigen Zustand des Lacks befinden sich diese Primärteilchen mit einem Durchmesser von 7 bis 40 nm zunächst ungeordnet in der Lösung. Während des Trocknungs- und Aushärtungsprozesses vernetzen sie sich mit der Molekularstruktur des Lackbindemittels und an der Oberfläche des Lacks entsteht eine sehr dichte und regelmäßige Netzstruktur, die zu einer Erhöhung der Härte der Klarlackschicht führt.
Die Beispiele zeigen: „Durch die Nutzung nanobasierter Schichtsysteme lassen sich die Eigenschaften von Oberflächen dramatisch verändern, indem Physik, Chemie und Biologie miteinander verschmelzen“, so Professor Dr. Andreas Möbius, Partner der Enthone GmbH, Langenfeld, und im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Galvano- und Oberflächentechnik (DGO) tätig. Die Palette der Modifikationen der Volumen- und Oberflächeneigenschaften sowie der Funktionalitäten ist groß: Dazu gehören Härte, Beständigkeit, Selbstheilung, Selbstreinigung, katalytische Aktivität, Farbe, Bruchfestigkeit bei hohen Temperaturen oder auch Abriebfestigkeit.
Insgesamt 40 Nano-Materialklassen hat die Düsseldorfer VDI Technologiezentrum GmbH, die vorwiegend als Projektträger für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) tätig ist, in sieben Gruppen identifiziert und dazu detaillierte Profile erstellt. Sie alle sind in einer Meta-Roadmap für Nanomaterialien zusammengeführt, um etwa deren Forschungs- und Entwicklungsstand sowie deren Anwendungs- und Marktpotenzial einzuschätzen. Das soll letztlich der gesamten Wirtschaft im Land zu Gute kommen. Denn von den Anwendungen der Nanotechnologie profitieren viele Branchen – vom Maschinen- und Anlagenbau über die Automobilindustrie bis hin zur Medizin.
„Allerdings gibt es erst wenige Bereiche, in denen wir von einer Marktdurchdringung im Sinne von Massenproduktion sprechen können“, stellt Dr. Oliver Krauss klar, Berater am VDI Technologiezentrum. Dazu gehören neben den schon erwähnten Kosmetika und Sonnencremes vor allem Textil- und Haushaltsprodukte, die sich die antibakterielle Wirkung von Silberionen zu Nutze machen.
In vielen Segmenten sind zur Zeit erste Produkte mit den winzigen Partikeln auf dem Markt, bei anderen wiederum hat die Grundlagenforschung noch eine Menge Arbeit zu erledigen. Dazu gehören auch die bereits für Sonnenschutzmittel und Fotokatalyse im Einsatz befindlichen Zinkoxid-Nanopartikel, wenn sie künftig auch in LED und Solarzellen zum Einsatz kommen sollen. Wenig erforscht sind auch Gold-Nanopartikel für die Anwendung in Dünnschicht-Solarzellen.
Selbst mit den bereits relativ gut erforschten Kohlenstoff-Nanoröhrchen (CNT) ist die Wissenschaft noch beschäftigt: Die Nanoelektronik steckt hier noch in der Grundlagen-, Displays in der angewandten Forschung. „Aber insgesamt steht die CNT-Technologie an der Schwelle zur Marktreife. Ein eindeutiges Indiz dafür ist, dass die Zahl der Patentanmeldungen derzeit nicht mehr steigt“, so der VDI-Experte. Die Industrie bedient sich hier vor allem des Effekts, dass die CNT Kunststoffe leitfähig machen. Dazu reichen schon Anteile von 0,004 bis 0,01 % der mehrwandigen CNT. Bei Benzinschläuchen und -filtern, Karosserieteilen, Elektronikgehäusen sowie Heizelementen sorgt der Effekt für Antistatik oder Abschirmung.
Forschung und Industrie beschäftigen sich bereits seit langem mit der Materie. Dennoch dauert es zum Teil sehr lange, bis ein Nanoprodukt auf den Markt kommt. Warum dies so ist, zeigt das Beispiel von Nanosilber, das als Tinte für druckbare Elektronik Karriere machen soll. Dabei geht es um den Tintenstrahldruck elektronischer Bauelemente für preiswerte Elektronikanwendungen bis hin zu Elektronikprodukten für den einmaligen Gebrauch. Ein Beispiel sind Funketiketten, die künftig nicht mehr auf Basis der Mikrochiptechnologie hergestellt werden, sondern deutlich preiswerter in wenigen Arbeitsvorgängen druckbar sein sollen. Die gute Druckbarkeit organischer Materialien wird dabei mit den hervorragenden elektrischen Eigenschaften anorganischer Halbleiter – in dem Fall Nanosilber – verbunden. Silber ist hochleitend und bleibt im Vergleich zu anderen Metallen auch bei Oxidation funktionsfähig.
„Silber-Nanopartikel bei niedrigen Temperaturen und damit effizient und kostengünstig zu verarbeiten, ist nicht einfach“, erklärt Dr. Jochen Norwig, Innovationsmanager bei der Bayer Technology Services GmbH, Leverkusen. „Die besten Eigenschaften weist die Nanotinte auf, wenn die Nanopartikel alle Zwischenräume gleichmäßig besetzen und die Sintertemperatur niedrig ist.“ So ist die maximale Sintertemperatur durch die Wahl des Trägermaterials begrenzt. Bei Bayer musste sie von den üblichen 500 auf circa 150 °C für Kunststoffe heruntergeschraubt werden. Außerdem beeinflussen Stabilisatoren die Eigenschaften der gedruckten Strukturen. Dazu gehören Detergentien, die notwendig sind, um die frühzeitige Agglomeration der Nanopartikel zu verhindern.
Bei CNT hat insbesondere die geringe Ausbeute der Verfahren den wirtschaftlichen Einsatz beschränkt. Deshalb hat Bayer ein katalytisches Verfahren entwickelt, mit dem heute in Wirbelschichtreaktoren bis zu 60 t pro Jahr produziert werden. Außerdem erschwerte die schlechte Reproduzierbarkeit der Nanopartikel den Einsatz in vielen Produkten. Erst in jüngerer Zeit lassen sich dank des katalytischen Verfahrens und des Einsatzes von Mikroreaktionstechnik über eng umgrenzte Verweilzeiten und scharf definierte Temperatur-Zeit-Profile Nanopartikel in industrietauglicher Menge herstellen. So wird auch die Produktion von Quantenpunkten erschlossen.
Neben produktionstechnischen Gründen spricht vielfach auch der Preis gegen den Einsatz von Nanomaterialien, weiß Dr. Marcus Kennedy, Projektleiter bei der Federal-Mogul Burscheid GmbH. Der Autozulieferer plant, langfristig seine Komponenten – etwa Kolbenringe und Zylinderlaufbuchsen – für hochbelastete Verbrennungsmotoren vollständig auf Nanobasis zu fertigen. Umgesetzt werden soll dies mit einer thermischen Spritzschicht, in die Nanokristalliten eingelagert sind. Diese machen die Schicht ausgesprochen hart und verschleißfest und gleichzeitig duktil, was auf Grund des thermischen Verformungsverhaltens im Verbrennungsmotor gefordert ist. Der Erfolg: geringe Reibung der harten Schicht und Gewichtsreduktion, so dass der Motor über eine erhöhte Wärmeleitfähigkeit verfügt und der Ölverbrauch letztlich sinkt.
Kennedy: „Ein solcher Ersatz für Grauguss-Laufbuchsen entspricht voll und ganz dem Leichtbauprinzip im Automobilbau. Auf der anderen Seite tendieren die Autohersteller zu Low-cost-Strategien. Das thermische Spritzen aber macht eine mechanische Nachbearbeitung notwendig.“ Insofern bezweifelt er, dass sich eine solche Lösung bei Herstellern aus den USA realisieren lässt. Die Kosten sprechen nach heutigem Stand schlicht dagegen.
Und noch einen weiteren Punkt gibt es, warum Nanomaterialien in der Oberflächentechnik erst zögerlich in die Produktion Eingang finden: Effekte, über die man schon eine Menge zu wissen glaubte, haben sich als zu wenig nachhaltig erwiesen. Ein Beispiel nennt Prof. Dr. Ralf Feser von der FH Südwestfalen in Iserlohn: „Nanoschichten als Korrosionsschutz sind prinzipiell stabil. Doch war in der Vergangenheit nicht klar, wie lange sich dieser Zustand hält und wie er sich durch thermische Einflüsse ändert.“ Aufgrund seiner Forschungsarbeiten stellt er fest: „Selbstorganisierende Moleküle in Nanogröße können für den temporären Korrosionsschutz eingesetzt werden. Sie können die Haftung und die Unterwanderungsbeständigkeit von organischen Beschichtungen verbessern, denn sie unterbinden die Enthaftungsreaktionen an der Phasengrenze zwischen Metall und organischer Beschichtung.“ So ersetze ein industrieller Prozess auf Basis von selbstorganisierenden Molekülen die Chromatierung von Aluminiumfelgen. Zum Einsatz kommen dabei Moleküle basierend auf Dodecanediphosphonsäure, die beim Eintauchen des Substrats mit der Metalloberfläche reagieren und sich anschließend selbsttätig ordnen, so dass eine stabile Anbindung auf molekularer Ebene erzielt wird.
Auch Dr. Petra Uhlmann vom Dresdner Leibniz-Institut für Polymerforschung kennt ein Beispiel dafür, dass der Nano-Oberflächentechnik teilweise noch die Nachhaltigkeit fehlt: „Vor zehn Jahren war die Euphorie über den Selbstreinigungseffekt von Oberflächen groß. Man dachte, die Funktionsweise des Lotuseffekts hydrophober Oberflächen hinlänglich zu kennen. Doch im Nachhinein erwies sich dies als falsch. Heute betreiben wir hier sogar wieder Grundlagenforschung auf Materialebene.“
Denn die Grenzen der Technik wurden schnell aufgezeigt: Der Effekt verschwindet nach einer Weile, weil die Oberflächenstrukturierung mechanisch nicht stabil ist. Das ist auch der Fall, wenn das beschichtete Produkt ständig feucht ist oder wenn sich die Oberfläche etwa durch Tenside dauerhaft verändert.
Die Liste der Herausforderungen ist daher lang: Dazu gehört die Schaltbarkeit, also die zeitliche und räumliche Steuerung der Hydrophobie. „Außerdem geht der Trend dahin, immer mehr Funktionen in eine Schicht zu integrieren. So versucht man den Selbstreinigungseffekt mit Funktionen wie Kratzfestigkeit und Biozidität – also das Hemmen und Zerstören pflanzlicher oder tierischer Organismen in ihrem Wachstum – zu koppeln“, sagt Uhlmann. Und schließlich ist für manche Anwendungen gewünscht, dass man bei ihnen zwischen Funktionen wählen kann: Mit schaltbaren Polymeren oder Nanopartikeln beispielsweise können Textilien so modifiziert werden, dass sie hydrophob und dennoch waschbar, also hydrophil sind.
Sabine Koll Journalistin in Böblingen

Marktchancen
Die Nanotechnologie ist auf dem besten Weg, sich als Technologie zu etablieren, die für alle Facetten der industriellen Wertschöpfungskette neue Impulse setzen kann. Schlüsselelemente der sich rasant entwickelnden Nanotechnologie sind die Entwicklung und Herstellung neuartiger Schichten und Oberflächen. Sie versprechen Verbesserungen der technischen Eigenschaften etwa im Hinblick auf mechanischen Abrieb, Kratzfestigkeit, Wasser- und Schmutzabweisung oder Schutz gegen ultraviolette Stahlen.

„Eine Kennzeichnungspflicht bringt wenig“

Nachgefragt

Der Verband der Deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie gibt Entwarnung für die Verbraucher: Lackierte Oberflächen, die Nanopartikel enthalten, stellen keine Gefahr für Mensch und Umwelt dar. Geben Sie auch Entwarnung für die Mitarbeiter, die diese Lacke auf Produkte auftragen und bearbeiten?
Nein, keineswegs. Denn sobald eine Oberfläche zum Beispiel aggressiv bearbeitet wird, entsteht ein anderes Spektrum an Partikeln. Noch wissen wir nicht, wie viele und welche Partikel beim Fräsen oder Schleifen eines Werkstücks freigesetzt werden. Aber hier sind weitere Untersuchungen angekündigt.
Was geschieht, wenn Mitarbeiter Produkte bearbeiten, die Nanomaterialien enthalten?
Nach derzeitigem Stand geht die größte Gefahr von Partikeln aus, die durch das Einatmen über die Lunge in den Körper gelangen und aufgrund ihrer Größe nicht von den oberen Atemwegen abgeschieden werden. Diese Partikel können im Körper Effekte erzielen, von denen wir noch nicht sehr viel wissen. Die Nanogröße ist dabei ebenso entscheidend wie die Wirkung, die von dem jeweiligen Stoff ausgeht. Sie verstärkt insbesondere die vorhandenen Stoffeigenschaften, also giftig oder krebserzeugend zu sein.
Besteht eine Kennzeichnungspflicht?
Nein, bei Werkstücken gibt es aus Sicht des Gefahrstoffrechts keine Kennzeichnungspflicht hinsichtlich ihrer chemischen Zusammensetzung sowie ihres Anteils an Nanopartikeln. Dies am Werkstück zu erkennen, ist äußerst schwer. Daher ist es für Hersteller und Produzenten empfehlenswert, eigenen Beschäftigten und Kunden in einer Betriebsanleitung oder -anweisung oder einem Sicherheitsdatenblatt entsprechende Zusatzinformationen an die Hand zu geben: „Es können Nanopartikel aus dem Material XY freigesetzt werden!“ Alle in der Kette folgenden Partner haben so die Chance, die Risiken zu erkennen und entsprechende Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Eine Kennzeichnungspflicht ist zudem schwierig zu realisieren, weil von Nanopartikeln als solchen keine Gefährdung ausgehen muss.
Wie weit sind die Risiken heute schon erforscht?
Die Forschung ist leider noch nicht sehr weit. Da wünschen wir uns weitere Erkenntnisse – etwa, wo welche Nanomaterialien freigesetzt werden und was geschieht, wenn die Zahl der Nanopartikel von 5000 auf 30 000 steigt. Eine einfache Messung bildet die Realität nur ungenügend ab, da in den Betrieben oft kleine Einflüsse – wie etwa ein vorbeifahrender Gabelstapler – erhebliche Auswirkungen auf die Messergebnisse hat. Einige Stoffgruppen sind hinsichtlich des Risikos schon gut erforscht, weil sie schon immer Nanopartikel enthielten. Dazu gehört pyrogene Kieselsäure, für die sogar ein Arbeitsplatzgrenzwert existiert. Die wichtigsten Stoffgruppen mit hohen Produktionsmengen werden innerhalb der OECD-Länder derzeit koordiniert erforscht.
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