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Wo ist der Kern der Kernkompetenz?

Car-Symposium: Die Grenzen des Outsourcing
Wo ist der Kern der Kernkompetenz?

Outsourcing gilt als entscheidendes Erfolgsrezept der Automobilbauer. Mit sinkenden Wertschöpfungsanteilen gibt der Hersteller jedoch zwangsläufig auch Kompetenzen ab. Irgendwann kommt die kritische Grenze, ab der sich die Frage stellt, ob er noch Herr des Geschehens bleibt.

Klaus Vollrath ist Journalist in Herne

Deutschlands Autobauer sehen sich an der Weltspitze: „Deutschland, nicht etwa Japan, ist Benchmark“, behauptete Prof. Dr. Bernd Gottschalk, Präsident des Verbandes der Automobil-industrie (VDA), auf dem 2. Internationalen Car-Symposium der Fachhochschule Gelsenkirchen. Der VDA-Chef sieht die Zahlen für seine Auffassung sprechen: Dank technischer Kompetenz und erfolgreicher Globalisierungsstrategie produzierten die deutschen Kfz-Hersteller inklusive ihrer ausländischen Töchter im Jahre 2001 weltweit 12,6 Millionen Kraftwagen. Das entspricht einem Anteil von 22 % der Weltproduktion. Einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren war hierbei die Neuordnung der Beziehungen zwischen OEM und ihren Zulieferern. Einerseits wurden immer mehr Wertschöpfungsanteile nach außen vergeben, so dass die nominale Fertigungstiefe der deutschen Fahrzeughersteller von rund 30 % noch zu Beginn der 90er Jahre auf inzwischen nur noch etwa 25 % sank. Auf der anderen Seite wurde die Zulieferungskette in Form einer mehrschichtigen Pyramide in der Reihenfolge Teilelieferant, Systemspezialist sowie Modul- und System- integrator organisiert. Den Platz an der Spitze der Pyramide – und damit die Herrschaft über das gesamte Gebilde – nehmen die Kfz-Hersteller ein. Diese Situation sei jedoch nicht stabil, meint Gottschalk. Der schnelle technische Fortschritt und die sich ändernden Märkte würden die Kfz-Industrie zwingen, immer größere Anteile nicht nur der Fertigung, sondern auch der Entwicklung nach außen zu vergeben. „Der Anteil der Zulieferer am Entwicklungsumfang wird weiter zunehmen und spätestens im Jahr 2010 die 50-%-Schwelle erreichen“, sagte Prof. Gottschalk.
Der Autokäufer der Zukunft wünscht sich vor allem Individualität: „Nie zuvor gab es für den normalen Käufer derartig viele verschiedene Fahrzeugsegmente, in denen ganz spezielle Wünsche mit Serienfahrzeugen erfüllt werden können“, so Prof. Dipl.-Ing. Jürgen Stockmar, Mitglied des Vorstands von Magna Steyr, einem großen Engineering-Dienstleister in Oberwaltersdorf in Österreich. Die Automobilhersteller seien heute gezwungen, selbst kleine, früher noch unbeachtete Marktsegmente mit Nischenmodellen auszufüllen und ihre Produktpalette ständig auszuweiten. Man versuche, auch bei Stückzahlen von unter 80000 bis hinunter zu wenigen tausend Stück pro Jahr erfolgreich zu agieren. Die wachsende Zahl von Fahrzeugvarianten übersteige jedoch die Entwicklungskapazität der Hersteller signifikant. Vor allem in Europa gingen die Großserienhersteller daher dazu über, Aufträge für große Module – wie zum Beispiel einen vollständigen Innenraum – und sogar für komplette Nischenfahrzeuge an externe Partner zu vergeben. Für solch komplexe Aufträge benötige man einen völlig neuen Typus von Zulieferer: den Systemintegrator. Dieser müsse Liefer- und Leistungsumfänge übernehmen, die das bisherige Maß bei weitem überstiegen. Er beherrsche idealerweise alle Stufen der Wertschöpfungskette: die Ideengenerierung für eine Produktvariante, die Konzept- und Produktentwicklung, die Produktplanung und die konkrete Produktion von Systemen oder Modulen. Dies umfasse auch die gesamte Logistikkette bis zur Just-in-time-/Just-in-sequence-Lieferung inklusive Qualitäts-, Lieferanten- und Finanzmanagement.
„In den nächsten Jahren wird es zu Verlagerungen entlang der Wertschöpfungskette kommen“, meinte auch Ewald Vollmer, Vorstandssprecher der Edag Engineering + Design AG in Fulda. Auch dieser große Engineering-Partner der Automobilindustrie bietet Dienstleistungen über die gesamte Prozesskette der Produktentwicklung bis hin zum Bau der erforderlichen Fertigungsanlagen und Werkzeuge an. Dies schließt auch die Entwicklung kompletter Fahrzeugderivate und Nischenfahrzeuge mit ein. Für die Zukunft erwarte er eine Wandlung der heutigen OEM-Zentrierung hin zu komplexen Netzwerken und Allianzen in Form von virtuellen Entwicklungsnetzwerken. Entscheidend sei eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit und die Bereitschaft zur methodischen Abstimmung. Der Kfz-Hersteller könne sich dann auf bevorzugt einen Partner mit hoher Integrationstiefe verlassen, der die Verantwortung für eine Abwicklung übernehme und auch die Systemlieferanten mit einbinde.
Auf der anderen Seite muss der Hersteller damit Aufgaben nach außen verlagern, die er heute noch als eigene Kernkompetenz definiert. Prof. Gottschalk erwartet, dass Kompetenzfelder wie Lenkung, Bremsen, Elektrik, Karosserie- und Innenraumteile, Getriebe sowie Motorteile in Zukunft nach außen gegeben werden könnten. Zu den strategisch wichtigen Kernkompetenzfeldern der Hersteller zählt er dagegen Design, Motor, Endmontage, Lackierung und Marketing. Die höhere Verantwortung der Zulieferer für das Gesamtprodukt lasse eine Übernahme von Technologieführerschaft durch Systemlieferanten möglich erscheinen, und es sei zu erwarten, dass Zulieferer eigene Markenstrategien entwickeln.
Niemand kann allerdings vorhersagen, wann die kritische Mindestmasse unterschritten wird, die dem Hersteller seine bisherige Machtposition sichert. Konflikte sind damit zwangsläufig vorprogrammiert: „Die Hersteller-Zulieferer-Beziehungen werden nie ganz spannungsfrei sein können“, erklärte hierzu Prof. Gottschalk. Zugleich stellte er klar, dass jede Reorganisation der Wertschöpfung nicht an der Tatsache vorbeikommen werde, dass der OEM Herr des Geschehens bleiben will. Allerdings sei das Verständnis gewachsen, dass es notwendig sei, die ganze Wertschöpfungskette zu optimieren. Letztlich, so Prof. Gottschalk, „entscheiden Vertrauen und Partnerschaft über den Erfolg“.
Von den Beteiligten werden diese Fragen durchaus kontrovers wahrgenommen, wie im Verlauf der Tagung deutlich wurde. Während ein hochrangiger Vertreter der Kfz-Hersteller die Meinung vertrat, dass in seinem Hause in einzelnen Fällen bereits zuviel Kompetenz nach außen vergeben worden sei, beklagten Manager der Zu-lieferbranche, dass die Kfz-Industrie bei Kostendiskussionen ihre Machtstellung bis zur Neige ausnutze.
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