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„Zugeschnittene Werkzeuge halten zunehmend Einzug in die Fertigung“

Professor Klocke prognostiziert Trend zu tailored tools und neuen Schneidstoffen
„Zugeschnittene Werkzeuge halten zunehmend Einzug in die Fertigung“

"Zugeschnittene Werkzeuge halten zunehmend Einzug in die Fertigung"
Professor Dr.-Ing. Fritz Klocke ist Inhaber des Lehrstuhls Technologie der Fertigungsverfahren der RWTH Aachen und Direktor des WZL und des Fraunhofer Instituts für Produktionstechnologie - "Neue Schneidstoffe werden in naher Zukunft eine Sprungfunktion einleiten."
Wohin entwickeln sich bei wachsenden Anforderungen die Präzisionswerkzeuge in den nächsten Jahren? Professor Dr. Fritz Klocke, Inhaber des Lehrstuhls Technologie der Fertigungsverfahren der RWTH Aachen und Direktor des Fraunhofer Instituts für Produktionstechnologie, gibt Antworten auf unsere Fragen.

Das Interview führte Chefredakteur Dr. Rolf Langbein

? Herr Professor Klocke, wo sehen Sie in den nächsten Jahren Schwerpunkte in der Entwicklung der Schneidstoffe?
! Kennzeichnend für die Entwicklung ist, dass wir zunehmend Schneidstoffe suchen, die eine hohe Verschleißbeständigkeit und -festigkeit auch bei hoher Wärmebeständigkeit haben. Dabei helfen uns die ultra- und die nanokristallinen Hartmetalle, aber auch neue CBN- und polykristalline Diamantwerkzeuge. Die keramischen Schneidstoffe wie Cermets gewinnen auch in Europa zunehmend Anerkennung.
? Welche Rolle spielen in Zukunft die Beschichtungen?
! Sie spielen nach wie vor eine ganz entscheidende Rolle. Insbesondere solche, die als Mehrlagenbeschichtungen aufgebaut werden. Wir sehen gute Erfolge im Abscheiden von Diamantschichten, aber auch schon erste Erfolge beim Abscheiden von CBN-Schichten für spanende Fertigungsverfahren.
? Setzt sich der Trend fort, dass man versucht, die Schneidstoffe mit ihren Beschichtungen auf immer engere Bearbeitungsfälle einzustellen?
! Ja, dieser Trend setzt sich fort und er ist auch naheliegend. Die Schneidwerkzeuge werden während des Einsatzes hochgradig an der Oberfläche belastet, das heißt verschleißbelastet. Da liegt es nahe, einen Grundwerkstoff zu wählen und die Oberfläche durch Beschichtungen so zu modifizieren, dass sie genau der Schneidaufgabe angepasst ist und ihr gerecht wird.
? Die Forderungen nach Genauigkeit werden immer größer. Spielt dabei der Schneidstoff die entscheidende Rolle oder muss man das Werkzeugsystem insgesamt betrachten?
! Sicher muss man das Werkzeugsystem insgesamt betrachten. Dieses geht auch zusammen mit der eben gemachten Feststellung, dass man auch bei Schneidstoffen oder bei Werkzeugen maßgeschneiderte Werkzeugsysteme findet. So genannte tailored Werkzeugsysteme, also zugeschnittene Werkzeugsysteme, halten Einzug. Das heißt, der Schneidstoff, die Beschichtung, das Aufnahmesystem und das gesamte Spannsystem sind auf die Aufgabe abgestimmt und mit zusätzlicher Intelligenz versehen.
? Was heißt das, mit zusätzlicher Intelligenz versehen?
! Das heißt, dass zum Beispiel Auswucht- und Ausrichteinrichtungen eingebaut werden. Werkzeugsysteme erhalten eigenständige Verstellachsen, die hochdynamisch im Schnittprozess agieren oder nur als Kompensationsachsen dienen. Mit zusätzlicher Intelligenz versehen heißt auch, dass Schnittstellen zu Sensoriken hin geschaffen werden.
? Heißt das, dass es dabei nicht nur um die Genauigkeit, sondern auch darum geht, die Genauigkeit bei hohen Geschwindigkeiten zu erhalten, wenn Sie von Auswuchtsystemen sprechen?
! Ja, es geht darum, die Genauigkeit bei hoher Geschwindigkeit zu halten. Vor allen Dingen geht es aber darum, die Prozessfähigkeit, das heißt, die Prozesssicherheit zu erhöhen und auch neue Funktionalitäten zu erschließen.
? Wird diese Vorgehensweise für den einzelnen Betrieb nicht sehr teuer, wenn er für verschiedene Anwendungsfälle sehr eng zugeschnittene Werkzeuge einkaufen muss?
! Ja, das ist ein generelles Problem, auch für die Werkzeughersteller. Hier kommt es darauf an, standardisierte Grundsysteme zu finden, auf die ganz gezielt für den Anwendungsfall aufgebaut wird. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Plattformsystemen. Die findet man nun auch bei Schneidwerkzeugsystemen.
? Soll das heißen, dass man Grundkörper vorhält, auf denen man, zugeschnitten auf den Anwendungsfall, die Schneidplatten anbringt?
! Ja, genau das heißt es!
? Welche Entwicklungen zeichnen sich in Hinblick auf die Kleinstbearbeitung, die Mikro- und Nanotechnik ab?
! Machen wir das zunächst einmal am Fräsen fest. In zunehmenden Maße stellen wir fest, dass das Fräsen zum Herstellen von Strukturen in Bereiche vordringt, die bisher der Erosion vor-behalten waren. Wir verwenden sehr schlanke, lang auskragende Werkzeuge, die wir mit Durchmessern im Bereich von 0,3 oder 0,4 Millimeter einsetzen. Werkzeuge mit kleinsten Schneidenradien von kleiner 0,1 Millimeter werden dort eingesetzt und dringen in die Herstellung tiefer und filigraner Strukturen durch das Fräsen vor.
? Und welche weiteren Bereiche sehen Sie?
Tiefe filigrane Strukturen werden künftig gefräst
!Ein zweiter großer Anwendungsbereich ist künftig das Herstellen von Strukturen. Soll heißen, dass wir durchaus großflächige Formen herstellen, die in ihrer Oberfläche mit Funktions-Strukturen versehen sind. Das können Reflektionsstrukturen sein, aus denen durch Prägen Reflektionsfolien für unsere Verkehrsschilder hergestellt werden. Dazu müssen Werkzeuge hergestellt werden, die eine große Makrogeometrie haben, die mit vielen kleinen Strukturen versehen sind. Dazu benötigen wir hochgenaue Werkzeuge. Vieles hängt aber auch stark von der Werkzeugtechnik und von der Werkzeugmaschinentechnik ab.
? Sie sprechen von Durchmessern von 0,3 und 0,4 Millimeter. Werden da nicht Bereiche angesprochen, in denen zum Beispiel die von Deckel Maho entwickelte dreidimensionale Laserbearbeitung eine Rolle spielen könnte?
! Ich glaube, dass sich diese beiden grundsätzlichen Verfahrensprinzipien zwar in bestimmten Bereichen überlappen werden. Ich sehe aber die Anwendung der Fräswerkzeuge vordergründig in der Herstellung großflächiger Strukturen an kleinem Radius für Spritzguss- und Prägewerkzeuge. Das Laserabtragen dient mehr dem Herstellen kleiner Geometrien in der Tiefe.
? Wie bewerten Sie die Entwicklung so genannter intelligenter Werkzeuge, die eine Symbiose von Elektronik und moderner Mechanik in Werkzeugen bieten?
! Mit dieser Entwicklung sind wir schon wieder beim Werkzeugsystem. Manchmal wird dabei der Begriff der Intelligenz verwendet, aber es sind sich selbst anpassende Werkzeuge, sich selbst nachstellende Werkzeuge. Die größere Funktionalität dient dazu, eine größere Formgebungsflexibilität zu erhalten. Das ist durchaus ein ganz wichtiger Trend. Die Mechatronik ermöglicht es, wichtige Ausgleichsbewegungen und auch Zustell- und Zusatzbewegungen direkt in das Werkzeugsystem zu verlagern. Damit werden die Werkzeugsysteme flexibler, und es müssen nicht alle Achsen über die Maschine realisiert werden. Das Werkzeugsystem wird zur kleinen Werkzeugmaschine in einer großen Werk-zeugmaschinenumgebung.
Werkzeugsysteme werden zu kleinen Werkzeugmaschinen
? Zur erhöhten Flexibilität tragen aber auch neue Werkzeugsysteme mit Wechselköpfen bei. Halten Sie die Frage nach der Genauigkeit an der Trennstelle für hinreichend beantwortet?
! Zunächst ist das ein schönes Beispiel für ein modulares Prinzip. An der Trennstelle wird es immer die Frage nach der Genauigkeit geben. Aber die hochgenauen Wechselsysteme mit kegeligen Aufnahmen erreichen hohe Wechselgenauigkeiten.
? In welcher Weise werden die Trocken- und die Hartbearbeitung Einfluss auf die künftige Werkzeugentwicklung nehmen?
! Ich glaube, dass diese Bereiche die Werkzeugentwicklung ganz entscheidend voran treiben werden. Wir sind zwar heute schon recht zufrieden mit den Werkzeugen, die wir zur Verfügung haben. Aber wir stellen uns für die genannten Bereiche noch völlig andere Werkzeugsysteme vor, an denen Werkstoffwissenschaftler und Schneidstoffhersteller ganz intensiv arbeiten.
? Zeichnen sich da schon klare Erkenntnisse ab?
! Im Moment befinden wir uns in einem Stadium, in dem die Werkzeugentwicklung und die Schneidstoffentwicklung wesentlich durch kontinuierliche Verbesserung gekennzeichnet sind. Wir erhoffen uns aber, dass wir mit einem ganz neuen Schneidstoff auch wieder eine Sprungfunktion einleiten. Theoretisch kann man das beschreiben, praktisch gibt es im Moment aber keinen Ansatz zu sagen, wir stünden unmittelbar vor der Lösung. Aber daran wird gearbeitet. Gesucht werden völlig neue Schneidsysteme.
? Können Sie schon Zeithorizonte nennen?
! Nein, das kann ich nicht. Das wäre Wahrsagerei.
? Sehen Sie noch andere Schwerpunkte, die angesprochen werden sollten?
! Mir fällt da eine Aussage von Professor Schlesinger zu Beginn des letzten Jahrhunderts ein. Er hatte gesagt, die Dividende liege an der Schneide. Ich denke, das ist heute so aktuell wie vor hundert Jahren. Die Werkzeugsysteme haben sich zwar verändert, die Grenze zur Werkzeugmaschine verschwimmt. Aber Schlesingers Aussage hat auch heute volle Gültigkeit.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
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