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Zwischen Kostendruck und Marktanpassung

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Zwischen Kostendruck und Marktanpassung

Die Welt dreht sich weiter für das Automobil. Zugleich fordert die sinkende Fertigungstiefe der Hersteller von den Zulieferern Kompetenzaufbau nach allen Seiten. Es gilt, die Balance zwischen Kostendruck und Marktanforderung zu halten.

Wenn in der Motorfertigung eines deutschen Autoherstellers die Motorblöcke eines speziellen Typs abspecken müssen, sorgen Hartmetallbohrer von Miller Präzisionswerkzeuge für den gewünschten Materialabtrag. Aufträge zahlreicher Automobilhersteller halten das Unternehmen von Hermann Miller in Schwung. Rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr, laufen im bayerisch-schwäbischen Altenberg nahe Illertissen die Maschinen des findigen Unternehmers, der rund 130 Mitarbeiter beschäftigt. Per Drei-Schicht-Betrieb und größtmöglichem Automatisierungsgrad balanciert Prozessverbesserer Miller erfolgreich zwischen Kostendruck und Marktanforderung.

Zulieferer, die dem Diktat des globalen Oligopols der zwölf großen Automobilhersteller nicht Stand halten können, erleiden Schiffbruch. Auch Top-Lieferanten sind vor Marktanpassungen nicht gefeit. Weil Volkswagen es vorzieht, die Dieseleinspritzung von Ende 2007 bis 2012 schrittweise von der der Pumpe-Düse-Technik auf das kostengünstigere Common-Rail umzustellen, wackeln bei der Bosch-Sparte über 1000 Stellen.
Die Entscheidung dokumentiert mehr als nur den Sparwillen von VW-Marken-Vorstand Wolfgang Bernhard. Sein Votum ist deutliches Zeichen eines Umschwungs, der die heimischen Karossenbauer und deren Zulieferer erfasst hat. Kein Wunder: Das Automobil deutscher Prägung ist im Vergleich zu Konkurrenzmodellen extrem technologielastig und in den Volumensegmenten oft zu teuer. Vor allem aber arbeiten die Produktionssysteme mit wenigen Ausnahmen nicht effizient genug. Für Dr. Hermann Becker, Leiter des Münchener Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK), geht kein Weg daran vorbei, „die Produkte zu entfeinern und vieles zu vereinfachen“.
Produktinnovationen, ausgelöst durch eine weiter steigende Modellvielfalt in den Triade-Märkten Westeuropa, Nordamerika und Japan, werden zwar für anhaltendes Branchenwachstum sorgen. Doch wenn die Pkw-Weltproduktion im Jahr 2015 von heute 55 Mio. Fahrzeugen auf 72 Mio. klettern wird, wie Prof. Dr. Ferdinand Dudenhöffer von der FH Gelsenkirchen hochrechnet, geht der Zuwachs vornehmlich auf das Konto künftiger 5000-Dollar-Autos. Die Billigkarossen für aufstrebende Schwellenländer wie China und Indien werden vornehmlich vor Ort produziert. Die entwickelten Märkte hingegen müssen sich mit einem moderaten Wachstum zufrieden geben: von derzeit 37,8 Mio. auf 42 Mio. Pkw im Jahr 2020.
Mehr denn je kommt es jetzt darauf an, dass die Prozesse für die zunehmend werthaltigeren Automobile in der kompletten Wertschöpfungskette optimiert werden. Dass von dieser Entwicklung die Zulieferindustrie weitaus mehr als die Automobilhersteller profitieren wird, davon ist Ferdinand Dudenhöffer überzeugt. Nach seinem Dafürhalten ist die Zulieferindustrie „eine Wachstumsbranche par excellence“. Stimmen die Prognosen Dudenhöffers, der auch das Center Automotive Research (CAR) leitet, wird sich der Umsatz der Zulieferer in den nächsten 15 Jahren verdoppeln, während die OEM mit einem Plus von 50 % rechnen können (siehe Grafik). Allerdings müssten die mittelständischen Lieferanten die Wachstumsweichen richtig stellen, mahnt der Automobilexperte.
„Wachstum und Veränderungen in der Branche zwingen zu Netzwerken“, ist Patrick von Hertzberg, Managing Director der Finow Automotive GmbH, Finsterwalde, überzeugt. Der Zulieferer, der sich auf das Hydroforming rohrförmiger Bauteile wie etwa Hinterachsschenkeln und Längsträger spezialisiert hat, stützt sich auf eine Studie der FH Brandenburg: Demnach wird sich die Wertschöpfung bei der Karosseriestruktur um 5 % auf 40 % zugunsten der Zulieferer weiter verschieben. „Den Ausstattungsbereich werden sie bis 2015 komplett sicherstellen“, blickt Dr. Gerhard Wysocki von der Wolfsburger Volkswagen Coaching GmbH voraus.
Je mehr Know-how von den OEMs an mittelständische Zulieferbetriebe abfließt, desto gezielter müssen diese Kompetenzen aufbauen. Punkten kann hier besonders, wer Problemlösungskompetenz beweist und komplexe Systeme und Abläufe ebenso beherrscht wie die flexible Serienfertigung. Globale Reichweite, ein Integrationsmanagement sowie Innovationsbereitschaft und -fähigkeit verlängern die Liste der Basisanforderungen. Das Gros der rund 1100 ostdeutschen Unternehmen mit Automobil-Fokus – aber nicht nur diese – muss hier passen. Mangels kritischer Masse, F+E-Abteilungen und Investitionsbudgets sind Aufträge in Millionenhöhe für sie nicht zu stemmen.
Das haben auch die Manager der ostdeutschen Standorte von BMW, Daimler-Benz, VW, Porsche und Opel erkannt. Das Autoquintett will jetzt „Katalysator für die Entwicklung der Zuliefererbranche sein“, wie Dietmar Bacher vom DaimlerChrysler-Werk in Ludwigsfelde versichert. Mit der Gründung des Automotive Cluster Ostdeutschland, kurz ACOD, wagen die noch wenig mit der lokalen Zulieferindustrie verzahnten Hersteller den Schulterschluss mit bestehenden und potenziellen Lieferanten. Ihr Netzwerk sehen die Initiatoren als Dachinstitution aller in den fünf Bundesländern bereits existierenden Automobilcluster – wohl auch, weil die Bildung auf Länderebene bis dato nicht fruchtete? Die Weiterentwicklung zum länderübergreifenden Zusammenschluss wertet Hans-Joachim Wunderlich, Hauptgeschäftsführer der IHK Südwestsachsen in Chemnitz, als „einen veritablen Wettbewerbsvorteil gegen konkurrierende Standorte in Osteuropa“. Diesen könnten die Ostdeutschen ein dichtes Netzwerk aus Forschungsinstituten, Zulieferern, Kooperationspartnern sowie günstigen Lohnstückkosten entgegensetzen.
Beziehen soll der ACOD seine Schlagkraft aus „Infrastruktur, Wissen, Methoden und unternehmerischer Umsetzung“, nennt Peter Claussen die Bausteine. Vorerst kommt es dem ACOD-Vorstandsvorsitzenden, der auch das BMW-Werk in Leipzig leitet, darauf an, die kleinen und mittleren Unternehmen der ostdeutschen Automobilzulieferindustrie zu qualifizieren und zu vernetzen. „Wir müssen aus mehreren kleinen einen starken Partner machen“, heißt die Losung. Für Claussen sind schnelle Entwicklungsschritte Bedingung: „In den nächsten drei Jahren auf diesem Minimalniveau weiterzuarbeiten, wird nicht ausreichen“, macht er klar.
Gemeinsam herauszufinden, wo die Chancen liegen, ist sicherlich der richtige Schritt. Die dazu nötige Netzwerkfähigkeit zu erlangen, wird mehr denn je gefragt sein. Denn die Komplexität der Produkte erfordert es künftig, das Automobil in der Entwicklung als Gesamtsystem zu betrachten. „Die Systementwicklung im Verbund verlangt nach anderen als den bisher praktizierten Formen der Zusammenarbeit“, betont Erich Nickel. Für den Automotive-Direktor bei IBM Deutschland mit Sitz in Stuttgart steht deshalb fest, dass sich „die Hierarchie OEM–1.Tier–2.Tier auflösen wird“. Cluster, also Kooperationsnetzwerke zwischen OEMs und ihren Zulieferern in allen Stufen, hält der Software-Experte für die richtige Antwort.
„An den Schnittstellen innerhalb der Wertschöpfungskette“ ortet auch Dr. Theodor L. Tutmann „ein großes Verbesserungspotenzial.“ Der Geschäftsführer des Wirtschaftsverbands Stahl- und Metallverarbeitung (WSM) e.V. mit Sitz in Düsseldorf und Hagen, rät Zulieferern, das Augenmerk verstärkt auf die Kommunikation mit ihren Kunden zu richten. Deren technische Vorgaben und Anforderungen würden viel Aufwand beim Lieferanten verursachen. Will man diesen und die damit ausgelösten Kosten reduzieren, sollten sich die Partner an einen Tisch setzen und gemeinsam die zu erschließenden Potenziale diskutieren. Schließlich, so Tutmann, beeinflusse der Kunde durch seine Anforderungen sehr maßgeblich die Kosten der Komponente, die für ihn gefertigt werde.
Auch die Qualität der Projektarbeit mit dem Kunden und dessen Partnern beeinflusst die Nachhaltigkeit der Geschäftsentwicklung. Neben exzellenter Fachkompetenz und Teamfähigkeit avanciert die Zusammenarbeit über Fachbereiche und Unternehmensgrenzen hinaus zum entscheidenden Faktor. Anforderungen, die laut WSM-Geschäftsführer Tutmann immer stärker gefordert sind (siehe Nachgefragt).
In dieser extrem sich ändernden Wertschöpfungskette winken auch den Teilelieferanten der 3. und 4. Ebene erhebliche Wachstumschancen. Vor allem die Lohnfertiger müssen ein absolutes Tabuthema anpacken: „Weg von der Lohnauftragsdenke – hin zu produziertem Kundenwert“, mahnt Prof. Ferdinand Dudenhöffer zum Umdenken. Innovationen einzubauen, aber auch zu hinterfragen, ob der Maschinenpark stimmig angeordnet und die Prozesse und Produkte die richtigen sind – darüber lasse sich die Kostenstruktur international aufstellen.
So ausgerichtet kann sich ein Sub-Lieferant dann auf Wachstum einstellen. Er muss es sogar. „Jeder mittelständische Zulieferer, den Wachstum nicht interessiert, wird vom Markt verschwinden“, mahnt Dudenhöffer. Die Zahlen und Prognosen geben ihm Recht: Von weltweit rund 30 000 Zulieferern im Jahr 1988 sind 5600 übrig geblieben. Ihre Zahl soll sich bis 2015 halbieren. Wer sich richtig ausrichte, werde diesen Konsolidierungsprozess überleben, ist der Automobilexperte überzeugt.
Produzierter Kundenwert Thema für Sublieferanten
Kompetenzen ostdeutscher Autozulieferer gebündelt
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