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Schäden in Milliardenhöhe durch Produktpiraterie und Plagiate

Plagiate
Alles nur geklaut

Der deutschen Volkswirtschaft entstehen jedes Jahr Schäden in Milliardenhöhe durch Produktpiraterie. Doch durch welche Maßnahmen lassen sich dreiste Produktfälschungen verhindern? ❧

Sabine Koll

Rund 122.000 Euro Schaden hat das Hauptzollamt Frankfurt im Oktober vergangenen Jahres verhindert: Die Beamten zogen aus einer Luftfrachtsendung aus Hongkong 3535 Handyteile aus dem Verkehr, bei denen sie den Verdacht hatten, dass diese gefälscht waren. Die Experten der betroffenen Originalhersteller, darunter zum Beispiel Nokia, Huawai und Xiaomi, bestätigten den Fälschungsverdacht und beantragten die Vernichtung der Plagiate.

Für den Zoll ist diese spezielle Form der Wirtschaftskriminalität eine zentrale Aufgabe. Das Hauptzollamt Frankfurt am Main wertet die Aufgriffe immer auch als „ein Indiz für die ungebrochene Massenproduktion von Plagiaten im internationalen Ausland“.

Nach Angaben der Aktion Plagiarius e.V. haben die europäischen Zollbehörden allein 2017 laut EU-Kommission an den EU-Außengrenzen mehr als 31 Millionen rechtsverletzende Produkte mit einem Gesamtwert von über 580 Mio. Euro beschlagnahmt. Doch ist dies nur die Spitze des Eisbergs, denn Zoll-Statistiken berücksichtigen nur Waren, die aus Drittländern eingeführt werden sollten, sie erfassen keine Rechtsverletzungen innerhalb dieser Region. Alarmierend sei die Tatsache, dass der Anteil gefälschter, potenziell gefährlicher Waren zunehme.

Nach dem Gutachten „Deutschlands volkswirtschaftlicher Schaden durch Produkt- und Markenpiraterie“ der Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“ vom Januar dieses Jahres ist für die deutsche Volkswirtschaft in den vergangenen fünf Jahren durch Produkt- und Markenpiraterie ein Schaden in Höhe von 54,5 Mrd. Euro entstanden. Jedes zehnte deutsche Unternehmen ist demnach in den zurückliegenden fünf Jahren mindestens einmal Opfer von Produkt- und Markenpiraterie geworden. „Je innovativer, je größer, je internationaler agierend und je industrienäher tätig, desto größer die Gefahr für ein Unternehmen, selbst Opfer von Produkt- und Markenpiraterie zu werden“, stellt Dr. Oliver Koppel fest, Senior Economist für Innovationen und MINT beim Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, das das Gutachten erstellt hat.

Bei zwei Dritteln aller von Produkt- und Markenpiraterie betroffenen Unternehmen, so stellt das Gutachten fest, wurden Urheberrechte verletzt, oft aber auch gewerbliche Schutzrechte wie Patente und Gebrauchsmuster. „Produkt- und Markenpiraterie setzt die Verletzung von Schutzrechten voraus“, sagt Koppel. „Verzichtet ein Unternehmen auf gewerbliche Schutzrechte und kopiert ein Konkurrent dessen Innovationen, so handelt es sich lediglich um ‚gefühlten’ Diebstahl.“

Die Aktion Plagiarius e.V. stellt daher jedes Jahr besonders dreiste Fälschungen öffentlich an den Pranger. „Original und Plagiat sind nur auf den ersten Blick täuschend ähnlich. Gleiches Aussehen bedeutet keineswegs zwangsläufig die gleiche Qualität, Leistungsfähigkeit und vor allem Sicherheit“, betont die Jury. Sie ist überzeugt, dass Plagiate und Fälschungen nicht „aus Versehen“ entstehen. „Die Nachahmer handeln vorsätzlich. Sowohl mangels eigener Ideen als auch aus Profitgier. Sie kopieren ungeniert erfolgreich am Markt etablierte Produkte. Die Erscheinungsformen reichen von Designplagiaten über Technologieklau bis hin zu Markenfälschungen. Feilgeboten werden die nachgemachten Waren in allen Preis- und Qualitätsabstufungen: Von gefährlichen Billigfälschungen bis hin zu qualitativ hochwertigen Plagiaten, die kaum günstiger oder sogar teurer als das Originalprodukt sind.“ Die Folgen für die Originalhersteller seien Umsatzeinbußen, Verlust von Arbeitsplätzen, unberechtigte Haftungsrisiken sowie mangelnde Erträge für zukünftige Produktentwicklungen, und somit Fortschritt.

Viele Plagiate kommen
nach wie vor aus China

Auffallend ist, dass die Plagiate-Hersteller der ersten drei Preisträger des Plagiarius-Wettbewerbs 2019 aus China stammen: Den 1. Preis ging an das Plagiat des Ventiltechnikherstellers Bürkert für ein Schrägsitzventil vom Typ 2000, das bei Dampfanwendungen zum Beispiel in der Textilindustrie zum Einsatz kommt. Der Nachahmer, Ninbo ACME, hat ein ganzes Produktprogramm kopiert. „Er verletzt die international registrierte Bildmarke mit vier Streifen und das unter anderem in China eingetragene Design. Bei der 1:1-Kopie des Ventils wurden alle Bürkert-typischen Designelemente, wie etwa die Rahmen um die Zahlen beim Messingventilgehäuse, übernommen, sodass Verwechslungsgefahr besteht“, so die Plagiarus-Jury.

Auf dem zweiten Rang landete ein Plagiat des Spielzeugbaggers „Liebherr Radlader“ von Bruder Spielwaren. „Das Plagiat ist kleiner als das Original. Design, Technik und Proportionen wurden aber 1:1 übernommen“, so die Jury. „Die billigen Materialen – Gehäuse, Räder und so weiter – und die schlechte Verarbeitung (instabil, lose Kleinteile) spiegeln die minderwertige Qualität wider.“ Inzwischen hat der deutsche Vertreiber des Plagiats eine Unterlassungserklärung unterschrieben und Schadenersatz gezahlt.

Den 3. Preis vergab die Jury für ein Plagiat des gusseisernen Bräters „Staub Cocotte“ von Zwilling, der vom chinesischen Hersteller Zhejiang Keland Electric Appliance kopiert wurde. Das Urteil der Jury lautete in diesem Fall: „Der Nachahmer hat alle charakteristischen Gestaltungsmerkmale des Originals 1:1 übernommen. Allerdings ist das Plagiat nicht aus hochwertigem Gusseisen, sondern aus billigem Aluminium und kostet auch nur ein Zehntel des Originals. Dem Original-Bräter wurde wettbewerbliche Eigenart zuerkannt.“ In der Zwischenzeit haben laut Aktion Plagiarius diverse deutsche und europäische Händler strafbewehrte Unterlassungserklärungen abgegeben.

Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit etwa durch den Plagiarius und durch Informationskampagnen hält Koppel vom Institut der Deutschen Wirtschaft für sehr wichtig. Er identifiziert allerdings auch weiter Handlungsbedarfe zur Verbesserung des Schutzes vor Produkt- und Markenpiraterie – insbesondere bei Schutzrechtsverletzungen im Nicht-EU-Ausland. Dazu gehören in erster Linie die Durchsetzung von Schutzrechten vor Ort sowie die Erarbeitung und Durchsetzung wirksamer bilateraler Abkommen im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit.

Bilaterale Abkommen stehen auf der Wunschliste der deutschen Unternehmen, die das Institut der Deutschen Wirtschaft für das Kurzgutachten befragt hat, ganz oben, wenn es um die Frage geht, wie Plagiate wirksam eingedämmt werden können. „Mit der Situation in Deutschland und der Europäischen Union zeigen sich die Unternehmen erfahrungsgemäß zufrieden, doch werden insbesondere gravierende Probleme bei der Durchsetzung von geistigen Eigentumsrechten in China moniert“, betont Koppel.

Hier sieht er die Bundesregierung in der Pflicht, auf ein entsprechendes Abkommen mit Peking zu drängen und einen wirksameren Schutz deutscher Schutzrechte vor Ort in China zu erwirken. Das chinesische Patentsystem habe in den zurückliegenden Jahren deutlich an Qualität gewonnen – was nicht zuletzt auch der Kooperation des Deutschen Patent- und Markenamts mit dem chinesischen Pendant CNIPA (vormals SIPO) geschuldet sein dürfte. „Doch gibt es in puncto Durchsetzung deutscher Schutzrechte in China noch viel zu tun“, mahnt Koppel an.

Indes fordert er auch innerhalb Deutschlands und des EU-Binnenmarkts höhere Strafen für überführte Plagiatoren – etwa indem diese standardmäßig die gesamten Prozesskosten übernehmen müssten bis hin zu temporären oder dauerhaften Berufs- und Verkaufsverboten.


Preis gegen dreisten Ideenklau

Bereits seit 1977 vergibt die Aktion Plagiarius e. V. den gefürchteten Schmäh-Preis Plagiarius an Hersteller und Händler besonders dreister Plagiate und Fälschungen. Ziel ist, die plumpen und skrupellosen Geschäftspraktiken von Produkt- und Markenpiraten ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und Industrie, Politik und Verbraucher für die Problematik zu sensibilisieren. Gleichzeitig hebt der Verein die Wichtigkeit und Wirksamkeit von gewerblichen Schutzrechten hervor.

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