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Entwicklungsprozess: Balanceakt in einem Spannungsfeld

Synchronisation in hybriden Produktentwicklungsprozessen
Balanceakt im Spannungsfeld agiler und deterministischer Vorgehensweisen

Produzierende Unternehmen entwickeln zunehmend hybrid. Wer weiß, wie agile und deterministische Modelle synchronisiert werden können, sichert sich einen Vorsprung zum Wettbewerb.

Prof. Dr. Günther Schuh, Christian Dölle, Johanna Koch
WZL der RWTH Aachen

In Zeiten volatiler Märkte und heterogener Kundenwünsche scheint es unumgänglich, sich mit iterativen Entwicklungszyklen auseinanderzusetzen, um den Kunden stärker in die Entwicklung eines Produktes einzubinden. Angelehnt an die in der Softwarebranche etablierten agilen Vorgehensweisen im Rahmen heutiger Entwicklungsprozesse, wenden seit einiger Zeit auch produzierende Unternehmen agile Methoden in der mechatronischen Produktentwicklung an.

Eine aktuelle Studie des Werkzeug-
maschinenlabors WZL der RWTH Aachen zeigt, dass Unternehmen jedoch nur zu einem sehr geringen Anteil eine rein agil geprägte Entwicklung bevorzugen (5 bis 9 %). Vielmehr nutzt eine deutliche Mehrheit der etwa 120 befragten Unternehmen aus der deutschen Industrie agile Methoden selektiv, also abwechselnd, oder in einer individuell definierten Mischform (57 bis 81 %). Zwar variiert die praktische Umsetzung innerhalb einzelner Unternehmen stark. Jedoch steht die Motivation, die Stabilität strukturierter Prozesse mit der Flexibilität und Adaptionsfähigkeit agiler Ansätze zu kombinieren, einheitlich im Vordergrund. Die Gestaltung heutiger Entwicklungsprozesse erfolgt damit hybrid im Spannungsfeld agiler und konventionell deterministischer Vorgehensweisen. Eine hybride Produktentwicklung verknüpft also die Vorteile beider Entwicklungsprinzipien und ist Aristoteles folgend damit „offenbar mehr als bloß die Summe seiner Bestandteile“.

Kombination zweier Methoden zu einem neuen Ganzen

Abgeleitet aus der Biologie, wo Hybride aus einer Kreuzung zwischen verschiedenen Gattungen oder Arten hervorgehen, charakterisiert die hybride Produktentwicklung in diesem Sinne die Vermischung zweier unterschiedlicher Methoden zu einem neuen Ganzen mit dem Ziel, eine optimale Balance zwischen geforderter Flexibilität und notwendiger Prozessstabilität sowie -kontinuität zu erreichen. Innerhalb der hybriden Entwicklung physischer Produkte ergeben sich in der Praxis jedoch unternehmens- und branchenübergreifende Herausforderungen.

Eine Kernherausforderung besteht in der horizontalen und vertikalen Synchronisation innerhalb der Entwicklungsprozesse, sodass die unterschiedlichen Entwicklungsprinzipien effizient kombiniert werden können. Die fehlende strukturierte Auseinandersetzung mit einer kontextbezogenen Synchronisation in hybriden Produktentwicklungsprozessen erschwert die zumeist mit der Neueinführung angestrebten Kosten- und Zeitersparnisse. Was genau die Fokussierung der horizontalen und vertikalen Synchronisation für produzierende Unternehmen bedeutet, zeigt das Prozessbild einer hybriden Produktentwicklung.

Zu Beginn eines Entwicklungsvorhabens wird das Gesamtprojekt in bearbeitbare Teilprojekte gegliedert. In einem Projekt können beliebig viele Teilprojekte über einen bestimmten Zeitraum existieren. Der Entwicklungszeitraum endet mit der Synthese aller abgeschlossenen Teilprojekte in einem fertigen Produkt. Ein hybrider Entwicklungsprozess kann über die Vielzahl seiner heterogenen Teilprojekte beschrieben werden. Im Prozessbild sind die Teilprojekte als parallel verlaufende horizontale Workstreams in blau und grün dargestellt. Ein Teilprojekt ist dabei diskret zu betrachten, umgesetzt werden kann es entweder unter Anwendung agiler (grüne Workstreams, etwa Scrum nach Schwaber) oder deterministischer Methoden (blaue Workstreams, etwa Stage-Gate-Modell nach Cooper).

Ein Entwicklungsprozess kann damit in zwei Dimensionen als hybrid bezeichnet werden – sowohl auf horizontaler Ebene, innerhalb eines Teilprojekts, als auch vertikal betrachtet zwischen verschiedenen Teilprojekten. Eine horizontale Synchronisation ermöglicht den strategischen Wechsel des Entwicklungsvorgehens innerhalb eines Teilprojekts. Ein Beispiel: Um der Marktunsicherheit am Anfang des Entwicklungsprozesses adäquat zu begegnen, starten Unternehmen nicht selten zunächst mit einer agil geprägten Vorgehensweise, wechseln aber im Laufe des Projekts, sobald circa 70 bis 80 % der notwendigen Anforderungen sicher definiert werden können, in einen klassischen, sequenziellen Prozess.

Dies bietet den Vorteil der frühen Kundeneinbindung, ermöglicht aber zugleich eine strukturierte Vorgehensweise mit Meilensteinen oder Projektfortschrittsmessungen zu einem späteren Zeitpunkt des Projekts. Solche Punkte des Strategiewechsels beschreiben die kontextbezogene Anpassung des Entwicklungsvorgehens. Es gilt zu definieren, wann ein solcher Wechsel für ein Teilprojekt erreicht wird und in welchem Kontext dies geschieht.

Die Synchronisation zwischen Teilprojekten in einem Produktentwicklungsprozesses wird als vertikale Synchronisation bezeichnet. Ziel ist die Sicherung eines kontinuierlichen Informationsflusses auch zu abhängigen Prozessen, wie beispielsweise der Produktion oder dem Einkauf. Diese vertikale Sichtweise innerhalb eines hybriden Entwicklungsprozesses hebt sich insofern von klassischen Synchronisierungsbetrachtungen ab, als dass durch die Flexibilität des agilen Vorgehens und die damit verbundenen möglichen Änderungen keine fest definierten Synchronisationspunkte zu Beginn des Projekts eindeutig bestimmbar sind.

Die agile Vorgehensweise ist zunächst ergebnisoffen. Es geht weniger darum, nach welchem Sprint ein Ergebnis zur Verfügung stehen soll, als vielmehr, dass grundsätzlich eine Lösung zu erreichen ist. Für eine Kontinuität des Entwicklungsprozesses besteht die Herausforderung folglich darin, die notwendigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt für das richtige Teilprojekt in der benötigten Form zur Verfügung zu stellen. Voraussetzung dafür ist die permanente Transparenz über den Entwicklungsprozess als Ganzes. Erst dann ist es möglich, durch eine übergeordnete Taktung der Teilprojekte, ungewollte Wartezeiten zu vermeiden. Mit der Identifikation des taktbestimmenden Maßes, also der Charakterisierung des führenden Teilprojekts als Taktgeber und die entsprechende Ausrichtung des Takts in Abhängigkeit von Zeit und Inhalt, können dabei mögliche vertikale Synchronisationspunkte zeitlich terminiert werden.

Um Entwicklungszeiten zu verkürzen und die -kosten zu senken, bildet Agilität eine Schlüsselposition in der mechatronischen Produktentwicklung. Allerdings versuchen Produktionsunternehmen in der praktischen Anwendung vor allem eine hybride Vorgehensweise zu nutzen. Eine funktionierende horizontale und vertikale Synchronisation ist dabei Voraussetzung für einen erfolgreich umsetzbaren hybriden Produktentwicklungsprozess. Dieser Bedarf spiegelt sich in aktuellen Forschungsvorhaben in der Abteilung Innovationsmanagement des WZL wider, welche sich seit mehreren Jahren mit dem Thema intensiv auseinandersetzt.

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