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Assistenzsysteme: Die Montage passt sich dem Werker an

Assistenzsysteme
Die Montage passt sich dem Werker an

In hybriden Montagesystemen sollen Mensch und Technik optimal zusammenarbeiten. Das WZL der RWTH Aachen arbeitet gemeinsam mit Partnern aus der EU an adaptiven Automatisierungslösungen zur Mitarbeiterunterstützung.

Prof. Peter Burggräf, Matthias Dannapfel, Tobias Adlon und Katharina Müller
Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen, Abteilung Fabrikplanung

„Toyota feuert die Roboter“ titelten Nachrichten im Januar 2019 und beschrieben die Entwicklung des Automobilherstellers von hoher Automatisierung hin zu einem System, in dem Mensch und Technik entsprechend ihrer Fähigkeiten eingesetzt werden. Die Fähigkeiten des Menschen zur Kognition und Problemlösung sind in solch hybriden Montagesystemen unerlässlich. Demgegenüber unterliegt die menschliche Leistungsfähigkeit Schwankungen und hängt von verschiedenen Faktoren wie beispielsweise der Berufserfahrung, körperlichen Konstitution und individuellen Fähigkeiten ab.

Adaptive Montagesysteme versprechen diese Schwankungen durch innovative technische Lösungen auszugleichen und zusätzliche Potenziale zu realisieren. Dazu werden die individuellen Fähigkeiten und Eigenschaften des Mitarbeiters berücksichtigt, um die Assistenz eines Betriebsmittels optimal abzustimmen mit dem Ziel, die Gesamtsystemperformance zu erhöhen. Die Qualitäts- und Kostenvorteile einer automatisierten Montage werden mit der Flexibilität des Montagepersonals verbunden. Grundsätzlich vielversprechend ist die Kombination menschlicher Fähigkeiten mit technologischen Lösungen immer dann, wenn Organisation und Arbeitsinhalte unzureichend strukturiert, sehr komplex oder belastend sind oder das Produktionsumfeld einer gewissen Dynamik unterliegt.

EU-Forschungsprojekt A4BLUE realisiert Augmented-Reality-Brille

Unterschieden wird zwischen kognitiven und physischen Unterstützungslösungen. Ein Beispiel für kognitive Unterstützung ist das im EU-Forschungsprojekt A4BLUE entwickelte Augmented Reality System (AR-Brille) für Montageanweisungen. Am PEM und WZL der RWTH Aachen werden dessen Potenziale beim Training der Mitarbeiter in der Elektromobilmontage erforscht. Es befähigt ein selbstständiges Anlernen des Mitarbeiters ohne menschlichen Trainer – im Idealfall direkt in der Linie, auch bei komplexen Arbeitsinhalten. Ein Beispiel zur physischen Entlastung des Montagemitarbeiters ist der im Projekt ebenfalls entwickelte intelligente Werkzeugwagen, welcher dem Mitarbeiter zu verschiedenen Stationen folgt und per Sprach- oder Gestensteuerung zu definierten Positionen geschickt werden kann.

Die bekanntesten interaktiven Assistenzsysteme sind Headset, Handheld, Datenbrille und Datenuhr. Die Anzahl der entwickelten Lösungen für spezifischere Anwendungen nimmt jedoch stetig zu. Besonders nützlich sind Assistenzsysteme erst dann, wenn durch eine sensorische Erfassung der Arbeitsvorgänge, des Kontextes und des individuellen Nutzers eine aufwandsarme Adaption an die jeweiligen individuellen Fähigkeiten, Bedürfnisse und Eigenschaften des Mitarbeiters möglich ist. Befähigt wird die Adaption eines Montagearbeitsplatzes u.a. durch die Vernetzung von Betriebsmitteln mit einer übergeordneten Steuerung.

Verschiedene Detaillierungsstufen der Arbeitsanweisungen auf AR-Brillen

Zu den kognitiven Bedürfnissen und Fähigkeiten des Mitarbeiters zählen beispielsweise Informationsaufnahme und -verarbeitung, Abstraktionsfähigkeit und IT-Affinität. Diese sind in ihrer Ausprägung nicht nur von Mensch zu Mensch verschieden, sondern können auch für eine Person zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich ausfallen. Eine messbare Morphologie ist einerseits schwer zu definieren und birgt andererseits Konfliktpotential hinsichtlich Datenschutz und Diskriminierung. Die kognitive Adaption muss daher selbstbestimmt durch den Mitarbeiter möglich sein und ohne personenbezogene Dokumentation des gewählten Unterstützungsumfangs erfolgen. So werden mittels des im EU Forschungsprojekt entwickelten adaptiven Softwareframeworks verschiedene Detaillierungsstufen der Arbeitsanweisungen auf AR-Brillen zur Verfügung gestellt. Hierdurch können Über- und Unterforderung der Mitarbeiter proaktiv vermieden werden. Motive für einen hohen Detaillierungsgrad wären die Rückkehr aus dem Urlaub und für einen niedrigen Detaillierungsgrad die Vermeidung unnötiger visueller Reize bei sicherer Beherrschung der Arbeitsvorgänge.

Die physische Unterstützung richtet sich nach den physiologischen Fähigkeiten und Eigenschaften der Mitarbeiter. Dazu gehören anthropometrische Eigenschaften, wie Körpergröße und Armlänge, aber auch arbeitsphysiologische Eigenschaften, wie Ausdauer und Muskelkraft. Diese sind bereits seit vielen Jahren Bestandteil der Arbeitswissenschaften mit dem Ziel der ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung. Durch die Adaptivität eines Arbeitsplatzes bieten sich weitere Möglichkeiten, diesen für verschiedene Mitarbeiter gleichermaßen optimal zu gestalten. Mithilfe von Mitarbeiterprofilen passt sich ein kollaborierender Roboter an Körpergröße oder Armlänge des Mitarbeiters an. Aufgrund einer höheren Konstanz der physischen Merkmale ermöglichen Morphologien und mitarbeiterspezifische Profile hier eine automatisierte und ausprägungsbestimmte Anpassung.

Abgleich von Anforderungen des Mitarbeiters mit der Assistenz

Die Adaption erfolgt über einen individuellen und dynamischen Abgleich von Anforderungen des Mitarbeiters mit der dazu passenden notwendigen oder gewünschten Assistenz. Dabei ist zwischen einer stufigen oder stufenlosen Adaption zu unterscheiden. Bei der stufigen Adaption gibt es vordefinierte Unterstützungsintensitäten. So kann die AR-Brille den Mitarbeiter ausschließlich auf Fehler hinweisen, Arbeitsabfolgen einblenden oder sogar eine animierte Darstellung der Montageschritte bieten. Bei der stufenlosen Adaption hingegen kann eine beliebige Intensität gewählt werden, solange diese im Rahmen der technischen Grenzen des Assistenzsystems liegt. So kann die Unterstützung durch ein Exoskelett in Passform und Kraft auf den Körper eingestellt werden.

Herausforderung adaptiver Systeme liegt im Schutz der personenbezogenen Daten

Assistenzsysteme sind aus der Fabrik der Zukunft nicht mehr weg zu denken. Sie ermöglichen es, die Fähigkeiten des Menschen optimal zu ergänzen und ihn in seiner Leistungsfähigkeit zu unterstützen. Adaptive Systeme passen sich dabei zusätzlich dem Menschen als Individuum an und bieten durch nachhaltige Mitarbeiterzufriedenheit zusätzliche Potenziale. Eine Herausforderung adaptiver Systeme liegt im Schutz der personenbezogenen Daten und dem Verdacht der Leistungsüberwachung von Mitarbeitern. Diesen gilt es durch geeignete IT-technische Maßnahmen zu begegnen. Für eine weitreichendere Nutzung adaptiver Assistenzsysteme muss der Bekanntheitsgrad technischer Lösungen sowie ihrer Potenziale und Einsatzmöglichkeiten weiter steigen.

Weitere Herausforderungen liegen sowohl in der Nachweisbarkeit des finanziellen und nichtmonetären Nutzens als auch in der erfolgreichen Einführung der Systeme (IT-Anbindung, Akzeptanz etc.). In vielen Punkten können Pilotprojekte die notwendigen Erfahrungs- und Nutzenwerte liefern und Berührungsängste abbauen. Das WZL der RWTH Aachen forscht an neuen, adaptiven Systemen und unterstützt Unternehmen auf ihrem Weg in die Montage der Zukunft.


Tagung zum Thema

Denken Sie mit uns die Zukunft der Montage neu auf der 10. Aachener Montage-Tagung am 16. und 17. Oktober 2019. Programmhighlights sind, neben adaptiven Assistenzsystemen, die Digitalisierung in Planung und Betrieb, die agile, fixpunktfreie Montage als Montageform der Zukunft, Automatisierung und Robotik. Treffen Sie renommierte Referenten und Experten aus Forschung und Praxis und erleben Sie die Trends von morgen auf dem RWTH Aachen Campus. Um die Zukunft der Montage ganzheitlich zu beleuchten, findet die 10. Aachener Montage-Tagung im Rahmen des Forums „Building the Future“ statt. Das interdisziplinäre Programm ermöglicht es den Teilnehmern, die Montage aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Infos und Anmeldung: www.buildingthefuture.de

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