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Mängellieferung? Dann Nacherfüllung!

Nacherfüllung in der Beschaffung
BGB und HGB regeln den Anspruch auf Nacherfüllung

Nach mehreren Neufassungen und richtungsweisenden Urteilen kursieren teilweise überholte Rechtsauffassungen über Gewährleistungsrechte und -pflichten infolge einer mangelhaften Lieferung. Wir fassen den aktuellen Stand der Rechtslage zusammen.

» Michael Grupp, freier Journalist in Stuttgart

Das Schuldrecht hat sich in den letzten 20 Jahren grundlegend gewandelt. War in der Vergangenheit eher von Lieferablehnung und Rückabwicklung des Kaufvertrages die Rede, sind die Vertragspartner heute in guten wie in schlechten Tagen aneinandergekettet – der Kaufvertrag besteht trotz entdeckter Mängel weiter und verpflichtet den Verkäufer unverändert zur mängelfreien Lieferung des Kaufgegenstandes. Als Mangel zählt dabei alles, was im Kaufvertrag festgeschrieben wurde. Darunter fallen nicht nur die Funktion beziehungsweise der Nutzen des Vertragsgegenstandes, sondern beispielsweise auch dessen Abmessungen, Materialien, die Optik und gegebenenfalls das Baujahr. Weicht die vereinbarte Soll-Beschaffenheit vom gelieferten Istzustand ab, hat der Käufer gemäß § 439 BGB das Recht auf Nacherfüllung.

Vor dem Recht stehen Pflichten

Damit das Recht auf Nacherfüllung greift, muss der Käufer bestimmte Fristen und Formalien einhalten. Dazu zählt vor allem das sogenannte Eilgebot gemäß § 377 des Handelsgesetzes HGB. Dieses schreibt eine unverzügliche Untersuchung der Ware wie auch gegebenenfalls eine unverzügliche Mängelrüge vor. Unverzüglich ist allerdings relativ: Bei Just-in-time-Lieferungen, bei verderblichen Produkten und/oder bei offensichtlichen Fehlern muss die Rüge unmittelbar nach der Warenannahme oder zumindest innerhalb weniger Stunden erfolgen, spätestens aber innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Feststellung des Mangels. Entscheidend ist der jeweilige Einzelfall. Gerichte haben bei der Lieferung von komplizierten technischen Anlagen auch schon einen Zeitraum von zwei Wochen als „noch unverzüglich“ beurteilt. Versäumt der Käufer eine fristgerechte Mängelrüge, „gilt die Ware auch in Ansehung eines Mangels als genehmigt“. In diesem Fall erlöschen die Nacherfüllungsansprüche des Käufers. Die Ausnahme von der Regel: Wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat, wenn er also vom Mangel bei der Auslieferung wusste, bleibt er in der Haftung.

Selbst ist der Mann besser nicht

Der Käufer muss damit sofort Bescheid sagen – und er darf nicht versuchen, den Mangel selbst zu beseitigen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil glasklar festgelegt: „Wer Mängel einer gekauften Ware selbst beseitigt, trägt die hiermit verbundenen Kosten selbst, wenn er den Verkäufer nicht zuvor unter Fristsetzung zur Nachbesserung bzw. Nachlieferung aufgefordert hat.“ Das ist nachvollziehbar: Das eigenmächtige Vorgehen des Käufers macht die Mängelbeseitigung durch den Verkäufer unmöglich. Oder im Juristendeutsch: Ein Leistungserfolg kann in diesem Fall nicht mehr bewirkt werden. Darüber hinaus erlöschen nach einem eigenmächtigen Eingriff sämtliche Gewährleistungsrechte und Garantieansprüche.

Keine Regel ohne Ausnahme

Aber auch hier gibt es Ausnahmen von der Regel: Erstens, wenn der Verkäufer den Mangel rigoros bestreitet und/oder eine Nacherfüllung „ernsthaft und endgültig“ verweigert. Der Käufer sollte in diesem Fall auf eine schriftliche Absage bestehen. Bekommt er diese nicht, muss er die angemessene Frist zur Wahrung der eigenen Rechte wohl oder übel abwarten. Und zweitens, wenn nach § 323 BGB besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen einen sofortigen Rücktritt rechtfertigen – zum Beispiel bei einem drohenden Produktionsstillstand aufgrund der fehlerhaften Lieferung.

Neu oder nochmal

Nach einer fristgerechten und berechtigten Mängelrüge hat der Käufer prinzipiell das Wahlrecht zwischen Mängelbeseitigung und Neulieferung. Dabei gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; sprich der gesunde Menschenverstand. Der Verkäufer muss sich der Entscheidung des Käufers beugen – sofern es ihm zumutbar ist.

In der Praxis kann er die Wahl des Käufers nur dann verweigern, wenn sie nur mit „unverhältnismäßigen Kosten“ möglich wäre. Je nach Vertragsobjekt haben die Gerichte hier eine Kostensteigerung zwischen 25 und maximal 50 Prozent als Obergrenze angesetzt. Bei der Entscheidungsfindung sind nicht nur die eigentlichen Nachbesserungskosten zu berücksichtigen, sondern auch die Bedeutung des Mangels, der Wert der Sache im mangelfreien Zustand, sowie die Nachteile des Käufers bei der alternativen Art der Nacherfüllung. Die Beweislast trägt in diesem Fall der Verkäufer.

Beispielhafte Urteile

Der Kratzer in einer frisch ausgelieferten Maschine ist sicherlich kein Grund für eine Neulieferung, andererseits kann der Käufer aber auch nicht die Nachbesserung einer fehlerhaften Lieferung von Unterlegscheiben verlangen – in diesem Fall aber deren umgehende Neulieferung. Der Käufer muss eine Nachbesserung nicht hinnehmen, wenn dadurch der Wert des Kaufobjektes gemindert wird – das kann beispielsweise bei der Lieferung eines Fahrzeuges der Fall sein.

Regelrecht kompliziert wird es, wenn beispielsweise eine bereits verbaute Pumpe merkwürdige Geräusche von sich gibt. In einer weiteren Novellierung hat der Gesetzgeber 2018 für solche Fälle die Rechte des Käufers weiter gestärkt. Demnach ist der Verkäufer inzwischen verpflichtet, auch die notwendigen Aufwendungen für den Ein- und Ausbau einer mangelhaften Sache zu erstatten. Dazu zählen nicht nur die reinen Montagekosten, sondern auch alle Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten. Ersatzfähig sind allerdings nur Aufwendungen, die vernünftig und notwendig für die Mängelbeseitigung sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob dem Ausbau ein Austausch oder eine Reparatur folgt. Zur möglichen Anzahl von Nachbesserungsversuchen sagt § 440 BGB: „Eine Nachbesserung gilt nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen, wenn sich nicht insbesondere aus der Art der Sache oder des Mangels oder den sonstigen Umständen etwas anderes ergibt.“

Dominoeffekte

Seit Anfang 2018 regelt das BGB auch die Rechte eines Käufers am Ende einer Wertschöpfungskette. Vor 2018 war ein Rückgriff in der Lieferkette nur in Form eines individuellen Schadenersatzprozesses möglich. Deshalb blieben beispielsweise Werkunternehmer wie Handwerker häufig auf ihren Kosten sitzen. Nach dem neuen § 445a BGB kann der Verkäufer einer mangelhaften Sache jetzt wiederum bei seinem Lieferanten Ersatz aller Aufwendungen verlangen, die sein Käufer bei ihm geltend macht. Voraussetzung ist natürlich, dass der Mangel bereits vorhanden war. Dies gilt für die gesamte B-to-B-Lieferkette. Beim Rückgriff innerhalb der Kette muss jeder Wiederverkäufer gegenüber seinem Lieferanten nachweisen, dass der von seinem Käufer geltend gemachte Mangel bereits beim Gefahrübergang auf ihn selber bestand. Was nicht immer leicht fallen wird und Kettenreaktionen auslösen kann.

Richtig rügen

Bei der Mängelrüge selbst ist keine bestimmte, aber eine Mindestform einzuhalten. Laut eines Urteils des Oberlandesgerichts Düsseldorf gilt die Äußerung: „Wieder derselbe Mist geliefert“ nicht als Mängelrüge. Wie auch immer: Der Abnehmer sollte den Verkäufer genau darüber in Kenntnis setzen, in welchen Punkten und in welchem Umfang er die gelieferte Ware beanstandet. Häufig werden diese Details in den AGBs geregelt. Dabei darf der Verkäufer aber keine unverhältnismäßig hohen Hürden aufstellen. Dass die Mängelrüge nur gegenüber der „Betriebsleitung“ des Lieferanten erhoben kann, ist beispielsweise laut BGH unwirksam. Dem Käufer darf demnach nicht das Risiko der betriebsinternen Weiterleitung einer Mängelrüge innerhalb der Organisation des Lieferanten auferlegt werden.

Grenzüberschreitend

Grundsätzlich sind die Vertragsparteien frei, sich individuell vertraglich zu binden. Individuelle Vereinbarungen können beispielsweise vorsehen, dass Reklamationsrechte erweitert oder eingeschränkt werden. Widersprechen sich die AGB oder verletzen diese den juristisch eingeräumten Gestaltungsfreiheitsraum, gelten die gesetzlichen Standard-Regelungen des Staates, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Wurden keine individuellen Regelungen getroffen, tritt unter Kaufleuten in Deutschland automatisch der § 377 des Handelsgesetzbuches (HGB) in Kraft. Überschreitet das Vertragsverhältnis Ländergrenzen, kann ergänzend auch die Rechtsprechung der Europäischen Union eintreten, die aber prinzipiell den deutschen Gesetzen entspricht.


Im Überblick

120.488 Verfahren rund um „Kaufsachen“ wurden 2019 vor den Amtsgerichten geführt. 19.658 mal haben sich die Beteiligten im Laufe der Verhandlung gütlich
geeinigt.


Michael GruppFreier Journalist
Bild: Industrieanzeiger

Salomonische Urteile

Die Rechtsprechung auf Basis von BGB und HGB bilden – ergänzt durch zahlreiche Urteile – erstaunlich zeitnah gesellschaftliche und industrielle Entwicklungen ab. So werden in Zeiten unternehmensübergreifender Workflows die Vertragspartner nicht anhand von Pflichten gegängelt, sondern zur gemeinsamen Zielerfüllung angeleitet. In den Gesetzbüchern macht sich gesunder Menschenverstand breit – und oft blitzt sogar ein wenig salomonische Weisheit durch die Paragrafen.

Industrieanzeiger
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