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Fit für den Salto globale

Zulieferer: Standortsicherung durch Globalisierung
Fit für den Salto globale

Viele Automobilzulieferer folgen bereits den Produktionswerken der Hersteller. Um am Wachstum teilzuhaben, sehen sich zunehmend auch die kleineren Lieferanten gefordert, in die Weltmärkte zu expandieren. Wer zudem seinen Aktionsradius global ausdehnt, sichert neben der Wettbewerbsfähigkeit auch den heimischen Standort.

„Wer in Deutschland als Automobilzulieferer wettbewerbsfähig ist, kann es auch weltweit sein. Man muss sich nur auf andere Dimensionen einstellen“, sagt Michael Schädlich. Für den Präsidenten des WSM Wirtschaftsverbands Stahl- und Metallverarbeitung e. V. sind diese Dimensionen kein Neuland. Als vormaliger Geschäftsführer hat Schädlich den mittelständischen Türsystemhersteller Dorma mit heute 70 Gesellschaften in 45 Ländern global verankert.

Global ist ein Zulieferer für Michael Schädlich dann, wenn er „das Potenzial dieser Welt ausschöpfen kann“. Gewiss: Es muss nicht gleich auf Anhieb ein Joint Venture sein in der Größenordnung, das Kirchhoff Automotive mit Beijing Hainachuan Automotive Parts diesen Sommer geplant hat. BHAP ist immerhin eine 60-%-Tochter des Autobauers BAIC, der wiederum mit Merceces-Benz und Hyundai kooperiert und mit seinen Automobilpartnern bis 2015 rund 3,5 Mio. Autos herstellen will. Auch die Produktionsprognose deutet darauf hin, welches Potenzial auf den Weltmärkten für Zulieferer zu heben ist. Während im Jahr 2011 weltweit etwas mehr als 65 Mio. Automobile hergestellt wurden, schätzen Marktforscher die Jahresproduktion gegen Ende der Dekade auf 85 bis 90 Millionen Fahrzeuge.
An den steigenden Absatzzahlen partizipieren zwar die Zulieferer, deren Wertschöpfung mehr und mehr wächst. Allerdings „werden die Märkte, Kapazitäten und Bedarfe im Ausland sein, nicht hier“, rät Schädlich zum Aufbruch, „auch wenn es unbequem“ sei, da sich der Wettbewerb und die Märkte weit außerhalb der deutschen Landesgrenzen befinden.
Wer beim Stichwort Globalisierung nur ans Exportieren denkt, liegt schief. Denn inzwischen übersteigt die Auslandsproduktion deutscher Automobile die inländische um 1,1 Mio. Einheiten. Rund 7 Mio. Karossen liefen im Vorjahr in Ländern wie China, USA oder Brasilien von den Bändern, die VW, Mercedes, BMW & Co. dort betreiben. Dass die OEM ihre in Deutschland bewährte Zulieferkette samt Know-how und Verlässlichkeit auch ins Ausland verlegen wollen, liegt deshalb auf der Hand. Allerdings ist das Auslandsengagement für die überwiegend mittelständischen Familienunternehmen deutlich schwieriger als für Konzerne, die bereits über ein globales Vertriebs- und Produktionsnetz verfügen. Hinzu kommt, dass Expansion teuer ist.
Doch verzagen hilft nicht. Der Globalisierungsdruck der strategischen Kunden wächst ständig. OEMs wie auch Systemlieferanten wollen global bedient werden – und fordern die Nähe. Bisweilen verbinden die Abnehmer dies mit dem dezenten Hinweis, sie würden zwischen der Internationalisierungsstrategie ihres Zulieferers und dem langfristigen Inlandsgeschäft eine enge Verknüpfung sehen. Schließlich geht es auch darum, große Teilevolumina zu verhandeln. Sollte ein OEM stattdessen in China einen veritablen Zulieferer finden, „könnte dies gefährlich zurückschwingen“, befürchtet WSM-Präsident Schädlich. Dadurch droht auf dem Heimatmarkt globale Konkurrenz von ausländischen Lieferanten, die ertüchtigt wurden von deutschen Herstellern und deren Qualitätssystemen. Schon deshalb sieht es Schädlich für alternativlos an, dass selbst kleinere Zulieferer ihren Aktionsradius ausdehnen. „Dieser mühsame Schritt, der sich über etliche Jahre hinziehen könne, sollte jetzt eingeleitet werden“, rät Schädlich. Damit wird die Expansion auch zu einer Lösung zur Risikoabwehr.
All jenen, die eine „freundliche Einladung“ ihres Ankerkunden erhalten haben, ihn zu begleiten, sollten sich vor Ort um weitere Kunden bemühen, um die Abhängigkeit abzustreifen, rät Dr. Theodor L. Tutmann, Geschäftsführer des WSM und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Zulieferindustrie (ArGeZ). Für Zulieferer sei es schließlich typisch, dass sie nicht nur einen, sondern in der Regel eine Vielzahl von Kunden bedienten. „Sehr schnell auf mehreren Beinen zu stehen“, hält auch Michael Schädlich bereits aus Gründen der Risikoteilung für nötig.
Vom „minimal auskömmlichen Auftragsvolumen“ macht es Wolfgang Kirchhoff abhängig, ob sein Unternehmen einem Kunden in die Schwellenmärkte folgt. Für den geschäftsführenden Gesellschafter von Kirchhoff Automotive müssen sich das Geschäftsmodell und der Businessplan „spätestens nach zwei Jahren tragen und nach einer kurzen Zeit von Anlaufverlusten Gewinn erzielen“. China ist für das Familienunternehmen mit Stammsitz in Iserlohn längst kein Neuland mehr. Lokal wird in Werken in Suzhou und Chongqing produziert, die Kirchhoff zu 100 % gehören, was in China für deutsche Zulieferer möglich sei, betont J. Wolfgang Kirchhoff. Dass sich das Unternehmen im Sommer an ein Joint Venture mit BHAP wagt, liegt für ihn in der Chance begründet, „schneller und stärker wachsen zu können“. Dafür nimmt er in Kauf, dass der chinesische Partner Zugriff auf die eigene Technik erhält und „das geistige Eigentum wesentlich mehr im Risiko steht“.
Solche Wachstumskooperationen sind für die Hirschvogel-Holding mit Sitz in Denklingen immer der erste Schritt auf dem Weg ins Ausland. Der Massivumformer startete seine Engagements in den USA (seit 1989), Brasilien (1999), China (1999 und 2005) sowie Indien und Polen (jeweils 2010) stets in Form einer Mehr- oder Minderheitsbeteiligung. Wenn es sich ergab, wie in den USA, China und Polen, übernahmen die Oberbayern die Anteile ihres lokalen Partners.
Mit einem Joint Venture starten, um es dann in eine 100-%-Gesellschaft zu überführen – das Transformationswerk von Hirschvogel taugt zum Vorbild – auch wenn es darum geht Hürden abzubauen. „Auf Dauer sollte die eigene Gesellschaft das Ziel sein, alles andere wirft über kurz oder lang Probleme auf“, argumentiert Dr. Thomas Brücher, Geschäftsführer Vertrieb, Einkauf und Entwicklung der Hirschvogel Holding GmbH, aus Erfahrung. Dabei geht es ihm weniger um die Vertrauensbildung im interkulturellen JV-Verbund, was nicht selten zu dessen Beendigung führt. Ein Dilemma, das Michael Schädlich als Dorma-Chef einst schmerzlich in einem schwierigen Markt erfahren musste. Fünf Jahre währten die Verhandlungen für ein Joint Venture in Japan. Nur zwei Betriebsjahre später sei die Gemeinschaftsfirma 2008 liquidiert worden. Der Grund: unüberwindbare Schwierigkeiten beim Markteinstieg.
Derlei Ungemach blieb Hirschvogel erspart. Jede Expansion erfolgte im Schlepptau eines strategischen Abnehmers. „Wir sind immer unseren Kunden gefolgt, um sie lokal zu beliefern“, nennt Brücher das Motiv, das auch Kirchhoff Automotive verfolgt. Globalisierung findet beim Umformspezialisten Hirschvogel seit 20 Jahren statt. Der verstärkte Fokus auf Großserien und komplexer werdende einbaufertige Komponenten wie etwa Getriebewellen, Radnaben oder Schwenklager bei zunehmender Tier-2- (63 % des Umsatzes) und Tier-1-Stellung (36 %) des Zulieferers führte in den Jahren nach der Jahrtausendwende dazu, dass das Management die Komponentenstrategie deutlich in Richtung China, Indien und Polen internationalisierte.
Der „zunehmende Lokalisierungsdruck seitens der strategischen Kunden“, schildert Brücher die Lage, bereitet einer weiteren Variante der Globalisierung den Boden: Die Forderung nach einem globalen Produktionsverbund macht vor mittelständischen Zulieferern nicht mehr halt. „Das erfordert ein neues Denken und Antworten auf Fragen, wie man sich vernetzt“, betont Brücher. Dabei geht es um viel mehr als um das Produzieren vor Ort. Für einen Kunden, der global bedient werden will, haben die Umformtechniker erstmals eine komplette Technologie internationalisiert. Die Wertschöpfungskette beginnt in der deutschen Zentrale mit der Bauteilentwicklung. Parallel dazu entwickelt das deutsche Werk die Schmiedestufen, fertigt die Werkzeuge, ändert und optimiert. Dies erfolgt im bidirektionalen Austausch mit Expats aus dem chinesischen Werk, das die Werkzeugadaption, Prozessübernahme und die Werkzeugwartung verantwortet. Zwei Produktionswerke, angesiedelt in Europa und China, beliefern den strategischen Kunden an dessen Standorten in Europa, den Nafta-Ländern, Südafrika und Asien.
Der Pakt mit dem Großkunden avanciert zur Blaupause für die Ausrichtung des Zulieferers: „Derzeit aktualisieren wir unsere Strategie dahingehend, welche Technologien wir an welchen Standorten weltweit ansiedeln“, setzt Thomas Brücher die neuen Leitplanken für Hirschvogel. So werden auch Auslandsgesellschaften und -werke zum integrierten Bestandteil des Wertschöpfungsnetzwerks.
Dass die Produktion im Ausland eine starke Kapitalbasis erfordert, stellt Brücher nicht in Abrede. Gerade das Geschäft eines Massivumformers ist extrem anlagengetrieben. So beträgt bei Hirschvogel der Anteil des Anlagevermögens 66 % der Bilanzsumme. Dr. Thomas Brücher sieht dies als „eine besondere Herausforderung für den Aufbau einer Auslandsproduktion“. Vor zehn Jahren wies das Unternehmen eine Eigenkapitalquote von 12,8 % aus, heute sind es laut Brücher 40 %. Sein Ziel sind 50 %, ansonsten sei ein solcher Wachstumskurs nicht zu meistern. Wer eine Internationalisierung anstrebt, sollte nach seinem Dafürhalten prüfen, ob die notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen für einen Alleingang reichen. Ansonsten sollte eine Partnerschaft angestrebt werden.
Die Aufforderung, „gemeinsam den Global Footprint zu gestalten“, wie es Dr. Holger Steindorf formuliert, schreiben auch die OEM in ihren Globalisierungsstrategien fest. Steindorf, der den weltweiten Einkauf der Daimler-Sparte Trucks and Buses leitet, verweist dabei auf die Konzern-Order, „in der Produktion flexibel zu bleiben und das Wachstum in neuen Regionen zu realisieren“. Daimler stellt dabei neben der Lieferkette auch das eigene Produktportfolio auf den Prüfstand. Im Rahmen neuer Auslandswerke würde gezielt in strategisch relevante Fertigungen investiert. Sukzessiv würden Themen, die in der Daimler-Produktion nicht mehr als Kerninhalte gelten, auf Lieferanten verlagert, so der Einkaufschef. Aktuell diskutiert der Lkw-Hersteller diesen Make-or-Buy-Prozess für eine im Nafta-Raum geplante Getriebefabrik. Teile, die heute noch in den Daimler-Werken gefertigt werden, könnten morgen Zulieferer im Montageverbund beisteuern. Zum Zuge kämen Vorort-Lieferanten oder solche, die bereit sind, den Weg mitzugehen. Für den Ausbau des globalen Produktionsnetzwerkes berücksichtigt der Hersteller Lieferanten mit globaler Präsenz. Dabei wächst die Konkurrenz beständig. Beispielsweise würden indische Zulieferer schnell lernen, Bauteile mit einer Genauigkeit zu entsprechenden Kosten zu fertigen, diese global liefern und die OEM in die Welt zu begleiten. Inder müsse man dafür nicht sein, hebt Holger Steindorf hervor, „die Einladung ergeht an alle“.

Herausforderungen für mittelständische Zulieferer

Wichtige Aspekte einer Globalisierungsstrategie

  • Management-Aufwand: Für einen Geschäftsführer ist der Aufwand für die Internationalisierung nicht unerheblich. Der lokale Kunde möchte mit dem Chef des Mutterhauses verhandeln. In Krisenzeiten jedoch kann der notwendige Einsatz draußen dazu führen, dass der Chef das Geschäft zuhause vernachlässigt Zudem sollte der finanzielle Einsatz limitiert sein. Auch Tochtergesellschaften in Low-cost-Märkten können erhebliche Anlaufkosten oder gar Verluste verursachen.
  • Verfügbarkeit qualifizierter Mitarbeiter: Auch bei der Standortwahl steht dieser Aspekt an vorderster Stelle. Gut ausgebildeten Ingenieurnachwuchs gibt es in China in ausreichendem Maß. Pro Jahr kommen rund 400 000 Ingenieure dazu. Genügend „hungrige“ IT-Ingenieure finden sich in Südindien (Hyderabad und Bangalore). Wichtig ist es, die Mitarbeiter sehr früh an das Unternehmen zu binden. Die in Deutschland gewohnte Loyalität ist in Schwellenländern nicht selbstverständlich und muss in den sehr unterschiedlichen Kulturen aufgebaut werden.
  • Innovationen, technologische Kompetenz, Wettbewerbspositionierung: Zulieferer der großen Automobilhersteller sind häufig gefordert, die neuesten Technologien mitzubringen. Diese müssen zuhause geschützt und vor Ort verteidigt werden. Zunehmend stellen sich die OEM auch auf die Bedürfnisse ihrer lokalen Abnehmer ein. Auch ein deutscher Zulieferer wird nicht um Good-enough-Technologie herumkommen. Hiesige Entwicklungsingenieure dürften es kaum schaffen, für die Marktbedürfnisse chinesischer oder indischer Kunden wettbewerbsfähige Produkte zu entwickeln. Umso mehr sind lokale Entwicklungsteams nötig.
  • Mitarbeiterqualifikation und Weiterbildung: Mitarbeiter mittelständischer Unternehmen sind zumeist in Deutschland ausgebildet. Sie haben Fach- und Sachkompetenz erlangt, weniger jedoch Know-how in puncto Projektmanagement und interdisziplinärer interkultureller Zusammenarbeit. Junge Mitarbeiter sollten deshalb schnellstens ins Ausland geschickt werden, wenn auch nur für drei Monate.
  • Sprachkenntnisse: Eine Globalisierung ist erst dann erfolgreich, wenn auch die Mitarbeiter der zweiten und dritten Ebene im Mutterhaus mit den Auslandstöchtern kommunizieren können. Da alle Abteilungen zu internationalisieren sind, muss sich die interne Kommunikation entsprechend ausrichten. Es wird weniger deutsch, sondern vermehrt englisch gesprochen werden.
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