Felix Wader
Senior Consultant, AMC Group
Die Digitalisierung verändert den Einkauf und damit auch das Verhältnis zu seinen Stakeholdern. Die Vernetzung in die Fachbereiche sowie zu Anbietern und Lieferanten nimmt zu. Die Auswirkungen sind unternehmensweit spürbar. Oft verhindern allerdings Skepsis und Unsicherheit, dass die Systeme in der Breite konsequent genutzt werden. Für die Implementierung ist das eine Herausforderung. Denn wer Prozesseffizienzen und Wettbewerbsvorteile schnell heben will, muss dafür sorgen, dass alle Nutzer von Beginn an im Boot sind. Ein begleitendes Changemanagement gehört zu jedem E-Lösungsprojekt im Einkauf deshalb „zwingend“ dazu.
Operativer Einkauf
Die Auswirkungen der Digitalisierung und somit Automatisierung auf den operativen Einkauf werden immens sein. Seine Aufgaben und Arbeitsweisen ändern sich massiv. Mitarbeiter, die bis heute noch Bestellungen schreiben und Bezugsquellen recherchieren, sehen sich plötzlich mit den Anforderungen eines elektronischen Katalogmanagements oder Lieferanten-Onboardings konfrontiert. Auch die Prozessverantwortung verlagert sich und geht in eine neue Organisationseinheit aus Beschaffung und Finanzen über. Das Ziel lautet: Den Ablauf „Requistion to Pay“ (R2P) komplett zu automatisieren und sich sukzessive selbst abzuschaffen. Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning werden auf lange Sicht dazu führen, dass operative Beschaffungsvorgänge sogar völlig autonom ablaufen können.
Zunächst sind jedoch die Voraussetzungen durch die Standardisierung von Abläufen und Prozessen zu schaffen, ehe anschließend durch eine elektronische Lösung die Automatisierung erfolgen kann. Schon während der Auswahl- und Pilotphase wird deutlich, dass die künftigen Beschaffungsprozesse auch Auswirkungen auf die Gesamtorganisation haben. Das frühe Mitwirken der Stakeholder des Einkaufs erleichtert den Veränderungsprozess erheblich, denn sie müssen die Veränderungen und die Automatisierung durch E-Lösungen mittragen und unterstützen.
Der Erfolg hängt zudem in hohem Maße davon ab, welche Datenqualität der Einkauf seinen Bedarfsträgern zur Verfügung stellt. Wettbewerbsvorteile in der Prozesseffizienz generieren jene Unternehmen, die sich geschlossen hinter die digitalen Prozesse stellen und mit Leben füllen. Letztlich lautet das Ziel jedoch unbestritten: Komplette Automatisierung der operativen Beschaffungsprozesse.
Taktischer Einkauf
In vielen Unternehmen wird der sogenannte Source-to-Contract-Prozess bereits über Ausschreibungsplattformen und ein nachgelagertes Vertragsmanagement digital unterstützt. Die Automatisierung geht jedoch auch hier weiter und gehört der künstlichen Intelligenz (KI). Die vorhandenen Daten und anstehenden Bedarfe werden dabei über Algorithmen aufbereitet und in Ausschreibungsprozesse überführt, einheitliche Vorgehensweisen vorausgesetzt. Die Vorteile liegen vor allem darin, dass selbstlernende Systeme proaktiv den geeigneten Beschaffungszeitpunkt identifizieren können. Außerdem betrachten sie externe Einflussfaktoren wie Wechselkurse und Rohstoffindizes und verarbeiten die Informationen in Sekundenschnelle.
Doch während im operativen Einkauf die komplette Automatisierung an vorderster Stelle steht, kann auf die Erfahrung des Einkaufs in taktischen Belangen nicht verzichtet werden. Die KI kann die Schnittstelle zu einem Lieferanten zwar auf technische Weise sicherstellen, jedoch lassen sich Einkaufserfolge vielfach auch über persönliche Beziehungen erzielen. Künstliche Intelligenz unterstützt den taktischen Einkauf in den komplexen Vorarbeiten und macht auf Marktgegebenheiten aufmerksam. Sie wird den Einkäufer im taktischen Umfeld jedoch nicht ersetzen.
Der strategische Einkaufsprozess hat eine Vielzahl komplexer Aufgaben. Neben Analysen der Beschaffungsmärkte und einem umfassenden Lieferantenmanagement gehören Ausarbeitung und Umsetzung von Warengruppenstrategien zum Alltag strategischer Einkäufer. Die Auswirkungen der Digitalisierung sind für den strategischen Einkauf noch überschaubar, die Entwicklung ist aber auch hier nicht aufzuhalten. Die von vielen Anbietern elektronischer Lösungen verfügbaren Lieferantennetzwerke verkürzen zum Beispiel die Analyse- und Qualifizierungsphasen deutlich. Das steigert die ohnehin schon wertschöpfende Aufgabe des strategischen Einkaufs prozessseitig und verknüpft bislang unbekannte Lieferanten und deren Portfolio mit einem Klick.
Viel elementarer ist die Veränderung der Gesamtfunktion des Einkaufs. Bildlich gesprochen wird der Einkauf zur Spinne im Netz. Als interne und externe Schnittstelle entwickelt der Einkauf sich zu einem Business-Partner im eigenen Unternehmen, verbindet Produktentwicklung mit potenziellen Lieferanten, baut Partnerschaften intern wie extern aus und stellt mit Weitblick die Versorgung des Unternehmens sicher.
Services des Einkaufs
Durch den Einsatz von elektronischen Katalogen, Freitextanforderungen mit Smartform und kleinen Preisanfragen werden Bedarfsträger zu Einkäufern. Der gewohnte Griff zum Telefonhörer, um bei den bekannten Lieferanten schnell den Bedarf zu decken, wird hinfällig, sogar unterbunden. Da im privaten Umfeld Shopping-Portale schon lange genutzt werden, dürfte die Handhabung mit E-Lösungen im operativen Beschaffungsbereich keine Probleme mehr bereiten.
Die frühzeitige Einbindung der Bedarfsträger in den Auswahl- und Implementierungsprozess der E-Lösung ist in diesem Zusammenhang jedoch sehr wichtig: Denn je komfortabler und nutzenstiftender die Besteller das System erleben, desto eher werden sie es nutzen. Umgekehrt gilt: Sorgt der Einkauf nicht für den passenden Input der operativen Lösung, schwindet die Akzeptanz zusehend. Bietet der Einkauf jedoch ein umfassendes Portfolio an Materialien und Dienstleistungen und sorgt für einen reibungslosen Workflow, ist der Erfolg im wahrsten Sinne vorprogrammiert.