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Fit und leistungsfähig bis zur Rente

Beschäftigung älterer Arbeitnehmer
Fit und leistungsfähig bis zur Rente

Altersrente wird es in Zukunft erst mit 67 Jahren geben. Aber Arbeitnehmer müssen nicht nur länger arbeiten, sie sollen auch voll leistungsfähig bleiben. Geht das überhaupt? Es geht! Allerdings sollten Unternehmen einen Mitarbeiter nicht erst entdecken, wenn er über 50 ist.

Lange Zeit war Deutschland in Europa Schlusslicht, wenn es um die Beschäftigung älterer Mitarbeiter ging. Das hat sich geändert. Kein Wunder, der vielzitierte demographische Wandel ist in vollem Gange und das hat Konsequenzen. Große Unternehmen wie Volkswagen, Opel oder BMW engagieren sich schon länger beim Thema altersgerechte Arbeitsplätze und Beschäftigung – gerade im gewerblichen Bereich. Unter dem Motto „Ergonomie statt Frühverrentung“ hat etwa der Automobilzulieferkonzern Continental in diesem Jahr ein Pilotprojekt gestartet, um mit einer „Arbeitsplatzampel“, einem Belastungsdokumentationssystem, 25 000 Arbeitsplätze in der Produktion unter die Lupe zu nehmen.

Arbeitnehmer werden bald länger arbeiten und älter in Rente gehen, schließlich wird die Grenze für die Regelaltersrente auf 67 Jahre angehoben. Aber wie soll das gehen? Schließlich ist, wer älter und alt ist, doch auch körperlich eingeschränkt und geistig weniger belastbar, oder?
Professor Dr. Michael Falkenstein hält energisch dagegen. „Die Wissenschaft hat schon längst bewiesen, dass, wer sich ein Leben lang gesund ernährt und körperlich fit hält, als 65-Jähiger leistungsfähiger sein kann, als ein untrainierter 25-Jähriger“. Der Mediziner und Psychologe lehrt und forscht am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung der Technischen Universität Dortmund (IfADo) und beschäftigt sich unter anderem mit dem Thema Altern und Veränderungen des Zentralen Nervensystems. „Es gibt eigentlich keine Arbeitsplätze für Jüngere oder für Altere“, sagt er. „Es gibt nur gute oder schlechte Arbeit.“
Was das konkret heißt? „Gute Arbeitsplätze sind die, die Abwechslung bieten, dem Arbeitnehmer Entscheidungsspielraum lassen, ihn immer wieder neu geistig fordern. Sie berücksichtigen seine individuellen Fähigkeiten und ermöglichen soziale Kontakte“, sagt Falkenstein. „Schlechte Arbeitsplätze zeichnen sich dagegen durch Monotonie und großen Zeitdruck aus.“ Aber lassen denn mit zunehmendem Alter etwa Hör- und Sehfähigkeit nicht nach? „Doch, das tun sie, aber das lässt sich weitgehend durch geeignete Hilfsmittel ausgleichen“, so Falkenstein. Und schwere, körperlich belastende oder einseitige Arbeit kann durch ergonomische Hilfsmittel erleichtert werden.
Aber sind Ältere nicht weniger lernfähig und langsamer bei Entscheidungen? „Im Vergleich ist der ältere Arbeitnehmer zu Beginn vielleicht etwas langsamer, holt aber gut auf und hat eine niedrigere Fehlerquote als ein jüngerer Kollege“, weiß der Mediziner. Außerdem können „kognitive Fähigkeiten, die Lernfähigkeit, die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit und die Erinnerungsfähigkeit – Aspekte, die im Alter häufig nachlassen, durch entsprechendes Training wieder gestärkt werden.“ Dafür werden am Dortmunder Leibniz-Institut computerbasierte Trainingsprogramme zusammengestellt oder neu entwickelt, die in Firmen zum Einsatz kommen. Zum Beispiel beim Projekt „Pfiff“ bei Opel in Bochum. Hier wird ein vielseitiges Training geistiger Kompetenzen für über 40-Jährige Beschäftigte aus der Produktion angeboten, kombiniert mit Modulen zu erfolgreicher Stressverarbeitung. Die Ergebnisse zeigen eine deutliche Verbesserung in den meisten der trainierten kognitiven Fähigkeiten, die sich mit psychologischen Tests und sogar in der Hirnstromaktivität nachweisen lässt.
„Wir hatten schon früh eine Situation, in die Andere heute erst kommen“. Wenn Armin Zisgen, Leiter Personalwesen bei der KSB AG in Frankenthal, auf das Jahr 2000 zurückblickt, dann erinnert er sich: „Schon damals war bei uns jeder dritte Mitarbeiter über 50 Jahre alt. Uns war klar, dass wir etwas tun mussten.“ An der Altersstruktur hat sich bis heute nicht viel verändert. Im Durchschnitt sind die rund 4500 KSB-Beschäftigten in Deutschland 41,5 Jahre. Was sich seit damals sehr verändert hat, ist der Umgang mit dem Thema „ältere Mitarbeiter und altersgerechte Arbeit.“ Die wichtigste Erkenntnis aus über zehn Jahren: „Man kann den Mitarbeiter nicht erst entdecken, wenn er über 50 ist“, so Zisgen. „Wir haben eine Personalpolitik, die auf das gesamte Arbeitsleben in allen Phasen ausgerichtet ist, denn Qualifikation und Flexibilität müssen für alle in allen Altersstufen kontinuierlich gefördert werden.“
Arbeitszeitkonten etwa gibt es beim Hersteller von Pumpen, Armaturen, Steuer- und Regelsystemen schon seit den 90er-Jahren. Früh setzte das Unternehmen auch Mitarbeiterbefragungen als Instrument der Motivation ein. Das wichtigste Ergebnis: „Ältere Beschäftigte können nicht aus dem Leistungsprozess herausgenommen werden und wollen das auch gar nicht“, so Zisgen.
Statt Frust und Frühverrentung existiert bei KSB ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die unter anderem aus solchen Befragungen entstanden sind. Ab 55 Jahren gibt es einen kostenlosen Gesundheitscheck und spezielle EDV-Trainings. Ab 58 kann auf Wunsch die Nachtschicht entfallen, die Wochenarbeitszeit kann aus Beständen des Langzeitkontos reduziert werden. Ab 63 gibt es zusätzliche Urlaubstage, verlängerte Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und ein Seminar mit dem Thema Vorbereitung auf den Ruhestand. Dazu kommen Anti-Stress-Seminare, arbeitsmedizinische Betreuung, arbeitsplatzbezogene Prävention oder Schulungen zum Thema Projektmanagement, Patenmodelle zwischen Jung und Alt, Nachfolgeregelungen mit maßgeschneiderten Einarbeitungszeiten. Alles das unter dem Motto: „Demografische Fitness.“
Das Wichtigste aber: „Was ältere Arbeitnehmer fordern, ist Wertschätzung und Auseinandersetzung mit ihrer Leistung durch Unternehmen und Führungskräfte“, weiß Armin Zisgen. Dementsprechend sind bei KSB schon seit einigen Jahren nicht nur Führungskräfteseminare obligatorisch, sondern auch ein Feedback „von unten nach oben“. In einem Fragebogen bewerten die Mitarbeiter anonym ihren Chef, parallel dazu tut dieser das selbst auch. Nach der Auswertung werden die Ergebnisse im Team offen gelegt und diskutiert.
Alles in allem eine ungeheuer aufwändige Beschäftigung mit dem Thema ältere Arbeitnehmer, so scheint es. Armin Zisgen kennt die Frage nach Kosten und Nutzen. „Ob sich das rechnet? Vielleicht nicht sofort in Euro und Cent, aber mittel- und langfristig sicher“, ist er überzeugt. Und fügt ganz nüchtern hinzu: „Was wäre die Alternative? Wir benötigen immer noch Fachkräfte, besonders Ingenieure. Wir können es uns einfach nicht erlauben, wertvolles Wissen zu früh zu verlieren.“
Gabriele Müller Journalistin in Wuppertal
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