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EN 9100: Grundlegende Neuerungen für die Luft- und Raumfahrtindustrie

EN 9100
Grundlegende Neuerungen für die Luft- und Raumfahrtindustrie

Die ISO 9001:2015 wurde nach umfassender Revision im September 2015 veröffentlicht. Die Änderungen betreffen auch die Normenreihe für Qualitätsmanagement in der Luft- und Raumfahrtindustrie: die EN 9100 ff.

Fachleute und Anwender sind sich einig: Die Revision von 2015 ist die umfassendste und tiefst greifende in der inzwischen 30-jährigen Geschichte der internationalen Qualitätsnorm – und erfordert zwar zunächst einiges Umdenken, bringt aber letztlich viele Vorteile. Das beginnt mit der gemeinsamen Grundstruktur (High Level Structure), die künftig für alle ISO-Managementsystemnormen übernommen wird und damit die Implementierung integrierter Managementsysteme wesentlich erleichtert. Mit der Struktur wurden auch neue Kapitel eingeführt, die mit normübergreifenden Kerntexten, Begriffen und Definitionen arbeiten und jeweils normenspezifisch ergänzt werden.
Neu eingeführte Begriffe und Definitionen sind in ISO 9000:2015 festgehalten. Dazu zählt unter anderem der „(interne oder externe) Anbieter“, der den Begriff „Lieferant“ ersetzt. Oder die neue Übersetzung von „continual“ im Zusammenhang mit dem Thema Verbesserung: Hier wurde „ständig“ durch „fortlaufend“ (im Sinne wiederkehrender Tätigkeiten) ersetzt. Auch „Dienstleistung“ wurde nun als Begriff aufgenommen und ist somit nicht mehr automatisch im „Produkt“ enthalten. Einige Begriffe wurden abgeschafft, etwa der „Beauftragte der obersten Leitung“ (QMB). Dieser soll durch die klare Zuweisung von Verantwortlichkeiten ersetzt werden; wer will, kann die Funktion aber beibehalten. Ebenso ist das Führen eines QM-Handbuches keine Pflicht mehr.
Über die Struktur hinaus sind auch einige wesentliche Neuerungen normübergreifend angelegt, etwa die konsequente Prozessorientierung, die ISO 9001:2015 im Gleichschritt mit dem risikobasierten Ansatz fordert. Bei der Revision stand nicht zuletzt die Absicht im Vordergrund, durch gezielte Intensivierung oder Vereinfachung von Anforderungen den Anwendernutzen zu erhöhen. Daher rühren auch die spürbar höheren Freiheitsgrade bei der Erfüllung vieler Anforderungen, die Unternehmen im Gegenzug jedoch mehr Verantwortung abverlangen.
Wichtige Neuerungen auf einen Blick
Im neuen Kapitel 4 geht es um das Kennenlernen des Kontextes der Organisation (Kap. 4.1) anhand der Bestimmung der relevanten internen und externen Themen, die zudem überwacht und überprüft werden müssen. Diesem folgt die Anforderung nach der Ermittlung der relevanten interessierten Parteien (Kap. 4.2) und das Verstehen ihrer Bedürfnisse und Erwartungen. Die Norm fordert dazu übrigens keine dokumentierte Information, obwohl das im Zusammenspiel mit anderen Anforderungen durchaus sinnvoll ist. Kapitel 4.4 behandelt die Prozesse des Qualitätsmanagementsystems (QMS) mit Anforderungen, die alle auf strikte Prozessorientierung abheben.
In Kapitel 5 geht es um das Thema Führung. Neu ist hier die explizit geforderte Verantwortung der obersten Leitung mit Blick auf die Wirksamkeit des QMS. Neues Stichwort: die Rechenschaftspflicht (Kap. 5.1.1), die es zu übernehmen gilt. In Kapitel 6.1 steht der risikobasierte Ansatz im Vordergrund. Neu ist die Anforderung, Risiken und ausdrücklich auch Chancen zu betrachten und dahingehend geeignete Maßnahmen zu planen und zu treffen. Im Fokus stehen dabei besonders die beabsichtigten Ergebnisse des QMS und damit die Prozesse und relevanten interessierten Parteien. Zur Umsetzung wird jedoch weder ein eigener Prozess, geschweige denn ein komplettes Risikomanagementsystem nach ISO 31000 gefordert. Entfallen sind im Gegenzug die früher geforderten Vorbeugemaßnahmen.
Zwei weitere Neuerungen stecken in Kapitel 7. In Kapitel 7.1.6 wird gefordert, das Wissen einer Organisation, das es zur Durchführung seiner Prozesse braucht, zu bestimmen, aufrechtzuerhalten und sicherzustellen. Im Fokus: die Fähigkeit, Konformität von Produkten und Dienstleistungen zu erreichen. Dies gilt auch für die dokumentierte Information (Kap. 7.5), wie „Dokumentation“ nun präzisiert wurde. Diese kann jetzt anhand jedweder moderner Medien erfolgen. Dokumentierte Information wird von der Norm, wo nötig, ausdrücklich gefordert.
Auswirkung auf Normenreihe EN 9100 ff.
Die Normenreihe besteht im Wesentlichen aus den drei Standards EN 9100 für Organisationen von Luft- und Raumfahrt und Verteidigung, EN 9110 für Wartungsbetriebe und EN 9120 für Händler und Distributoren. Mit der Revision von ISO 9001 wurde auch eine Anpassung der Normenreihe unumgänglich, da diese auf der Qualitätsmanagementnorm basiert. Sie wurde unter anderem deshalb mit Start 2014 einer Revision unterzogen, die für die amerikanische Version SAE AS 9100D:2016 seit Oktober letzten Jahres abgeschlossen ist. Die Veröffentlichung der finalen deutschen Version wird für die zweite Jahreshälfte 2017 erwartet.
Die Revision wurde jedoch auch vorgenommen, um die Anforderungen stärker an den Bedürfnissen der interessierten Parteien (Stakeholder) auszurichten und weil auf Wunsch der IAQG (International Aerospace Quality Group) Präzisierungen gegenüber der Vorgängerversion von 2009 vorgenommen werden sollten.
Die an ISO 9001 vorgenommenen Änderungen wurden im Zuge der Revision von EN 9100ff. mit wenigen Ausnahmen komplett übernommen. Eine solche ist etwa die zwingende Beibehaltung des Beauftragten der obersten Leitung, was speziellen Anforderungen internationaler Luftfahrtbehörden wie zum Beispiel der amerikanischen FAA oder der europäischen EASA geschuldet ist. Das QM-Handbuch (Quality Manual) ist hingegen nicht mehr zwingend gefordert. Die branchenspezifischen Anforderungen der Normenreihe wurden umfassend überarbeitet beziehungsweise ergänzt. Die Änderungen – knapp 100 neue Anforderungen vor allem zur Produktsicherheit und zum Einfluss des Faktors Mensch – sind teils in zusätzlichen Abschnitten festgehalten. Wesentliche Ergänzungen gibt es vor allem in Kapitel 8. Überarbeitet wurden auch Anforderungen zu den Themen Planung und Herstellung, Garantie, Gewährleistung, Tätigkeiten nach der Lieferung, Entwicklung und Lieferanten- und Projektmanagement.
Die Zeit läuft
Die Zeit für den Übergang von den alten auf die neuen Zertifikate läuft – und sie ist knapp: Die Übergangsregeln, festgehalten im so genannten Supplemental Rule 003, sehen vor, dass Zertifizierungen ab 15. Juni 2017, also bereits jetzt, nur noch nach EN 9100/9110/ 9120/:2016 beziehungsweise in Deutschland nach der als Entwurf vorliegenden Version (prEN 9100:2017) vorgenommen werden können. Die Restlaufzeit der nach der Vorgängerversion von 2009 ausgestellten Zertifikate wurde an die von ISO 9001:2008 angepasst. Dort steht als Stichtag für den Ablauf der 14. September 2018.
Carsten Pfister, Produktmanager Luft- und Raumfahrt, DQS GmbH Deutsche Gesellschaft zur Zertifizierung von Managementsystemen, Frankfurt/M.
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