Welche Probleme ein Generationswechsel im Unternehmen verursachen kann, ist bekannt. Auch dass mit dem demografischen Wandel qualifizierter Nachwuchs wichtiger wird denn je. Aber die wenigsten Firmen setzen dieses Wissen in konkretes Handeln um.
Manchmal muss der Druck erst unerträglich sein, bevor sich etwas ändert. Das gilt wohl auch für Firmen, deren langjährige Mitarbeiter irgendwann ihren Hut nehmen und sich in den Ruhestand verabschieden. Sicher, wenn alles gut läuft, gibt es eine Übergabe. Und dann?
Nach Schätzungen geht bis zu einem Drittel des Wissens, das sich ein Mitarbeiter in seinem Leben erarbeitet hat, bei seinem Ausscheiden verloren. Denn qualifizierte Kräfte nehmen oft ein Know-how mit in den Ruhestand, dessen sie sich nicht bewusst sind. An „Selbstverständlichkeiten“ müssen Nachfolger dann oft unerwartet lange arbeiten.
Schon länger beschäftigt diese Problematik die Wicke GmbH & Co. KG, ein Traditionsunternehmen aus Sprockhövel. Bei dem Hersteller von Rädern, Lenk- und Bockrollen wird deshalb seit Jahren eine betriebliche Altersstatistik geführt und über demografische Herausforderungen nachgedacht. Peter Steinmann, Leiter des Personalwesens bei Wicke: „Wir beschäftigen eine Reihe älterer Mitarbeiter, deren Wissen und Kompetenz beträchtlich ist. Deshalb passte Nova.PE genau zu unseren Zielen, nämlich vorhandenes Wissen nicht zu verlieren, sondern möglichst auf andere Mitarbeiter zu transferieren.“
Hinter dem Kürzel Nova.PE steht eine Lösungsstrategie, die von 2005 bis 2007 mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Bundesministeriums für Arbeit von vier Partnern, darunter der Ruhr-Universität Bochum, entwickelt worden ist. Analyse, Beratung und Hilfe beim Wissenstransfer hatte sich das Projekt auf die Fahnen geschrieben, „damit das Wissen nicht in Rente geht“.
Rund 15 mittelständische Firmen, viele aus der metallverarbeitenden Industrie, wurden im Rahmen des Projekts beraten und dabei über 70 Transferprozesse von „Alt zu jung“ durchgeführt. So auch bei der Wicke GmbH, wo bereits fünf solcher Transferprozesse erfolgreich zu Ende geführt wurden und zwei derzeit noch andauern. Peter Steinmann kommt dabei eine wichtige Rolle zu: die des „Kümmerers“.
Was das ist, erklärt Dr. Rüdiger Piorr von bkp, dem beteiligten Beratungsunternehmen in Bochum, so: „Wir versetzen Firmen in die Lage, selbst sicher zu stellen, dass erfolgsrelevantes Know-how erhalten bleibt. Dazu brauchen wir eine interne Anlaufstelle, einen Motor und Organisator – den Kümmerer.“ Als solcher ist Steinmann Vertrauensperson für den Wissensgeber und den Wissensnehmer – die beiden wichtigsten Personen in diesem Transferprozess.
Bevor die beiden jedoch zusammen kommen, sind erst noch viele andere Schritte nötig. „Das fängt an mit der Erfassung unverzichtbarer Kenntnisse in der Gruppe der über 55-Jährigen“, zählt Piorr auf. „Dann werden Wissensträger aus der Gruppe derjenigen identifiziert, die bald ausscheiden werden und mit der Hilfe von Checklisten und Personenreports der Wissensgeber und -nehmer ausgewählt.“
Zur Unterstützung trägt hier der so genannte Kompetenzpilot bei. Das ist eine Software, die zur Visualisierung des Expertenwissens dient, aber auch bei Einschätzungsinterviews, Checklisten und Transferplänen hilft. „Die Tankanzeige“ macht zum Beispiel bildlich klar, wo das Risiko des Verlustes von Wissen am ehesten droht.
Motivation ist das eine – Planung das andere. Bei der Umsetzung unterstützt der verbindliche Transferplan, der sicherstellen soll, dass die Übergabe in den laufenden Arbeitsalltag integriert wird.Nun beginnt der eigentliche Transferprozess, der von einem externen Coach aus dem Beratungsteam moderiert wird. Und dabei entsteht auch der „Wissensbaum“, der alles das visualisiert, was der Geber sich im Laufe seines Arbeitslebens an Know-how erarbeitet hat. „Für den Wissensgeber symbolisiert dieses Bild des Baums sein Lebenswerk, die Summe all dessen, was er weiß und erreicht hat“, erklärt Piorr. „Viele sind dann selbst überrascht über den Umfang ihres Wissens und um so motivierter, das Erreichte an einen jüngeren Kollegen und in gute Hände weiter zu geben“.
Der Transfercoach hält in den regelmäßigen Reflektionsgesprächen mit Geber und Nehmer das Erreichte fest und die Ziele im Blick. Sehr wichtig ist dabei der Rückhalt aus der Führungsetage, hat Steinmann die Erfahrung gemacht. „Unsere Geschäftsführung war sehr engagiert und hat uns immer unterstützt“. Dazu gehört auch, dass die Ergebnisse etwa in der Mitarbeiterzeitung veröffentlicht wurden, um Transparenz auch gegenüber anderen zu zeigen. „Deshalb habe ich in all den Zeiten keine negative Stimme bei den Mitarbeitern gehört“ zieht Steinmann ein positives Fazit.
Kristina Sellmann, Personalleiterin bei der VDT-Vobra Druckgusstechnik GmbH in Enger, sieht das Ganze skeptischer. Auch sie war bei dem Unternehmen mit rund 100 Mitarbeitern, das Präzisionsdruckgussteile aus Aluminium herstellt, als Kümmerer unmittelbar einbezogen. Bei den Transferprozessen ging es rein um Fachkompetenzen im gewerblichen Bereich, dennoch war nach Einschätzung der Personalexpertin „das Projekt für unser Unternehmen zu groß. Bei mehr Mitarbeitern und einem höheren Anteil von Fach- und Führungskräften steht Aufwand und Nutzen eventuell in einem besseren Verhältnis.“ So wurde nach dem Abschluss von drei Transferprozessen bei VDT-Vobra keine weiteren mehr durchgeführt. Ganz ausschließen mag Kristina Sellmann eine Wiederholung aber nicht: „Es kommt auf den Umfang und den Aufwand an.“
Wie einige andere Unternehmen, die an Nova.Pe teilgenommen haben, konnte die Firma in diesem Fall auch auf eine Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen bauen Damit wird ein Großteil der Kosten für die Beratung gefördert.
Gabriele Müller Journalistin in Wuppertal
Wissen übertragen Schritt für Schritt
Das Projekt Nova.PE
Verschiedene Partner beteiligten sich am Projekt Nova.PE:
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- Der Lehrstuhl für Arbeitsorganisation und -gestaltung der Ruhr-Universität Bochum (www.aog.rub.de),
- das Bochumer Beratungsunternehmen bkp, das die Arbeit von Nova.Pe weiterführt (www.bkp-team.de), (www.die-mit-der-pizza.de)
- der Dortmunder Verein Zwischen Arbeit und Ruhestand e.V. (Zwar) (www.bagso.de/zwar.98.html),
- und das Zentrum für Weiterbildung (ZfW) der Universität Dortmund
Bilder statt Worte
Im Wissensbaum wird bildlich festgehalten, was für den Wissensgeber selbstverständlich und manchmal schwer in Worte zu kleiden ist: Die Summe seines Wissens und seiner Erfahrungen. Dabei repräsentieren die Wurzeln die Quelle des Wissens, etwa die Ausbildung. Der Stamm steht für die Kernkompetenzen und die Früchte stellen die Tätigkeiten dar. Der Wissensbaum bleibt während des gesamten Transferprozesses für die Beteiligten sichtbar.
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